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15.05.10 / Tagebuch des Grauens / Ein Opfer packt aus über die Massenvergewaltigungen der Roten Armee

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-10 vom 15. Mai 2010

Tagebuch des Grauens
Ein Opfer packt aus über die Massenvergewaltigungen der Roten Armee

Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges und kurz danach wurden schätzungsweise zwei Millionen deutsche Frauen und Mädchen durch Angehörige der Sowjetarmee vergewaltigt. Jede Zehnte starb an den Verletzungen, wurde ermordet oder beging Selbstmord. Nachdem die Journalistin Marta Hillers – zunächst anonym – erstmals über ihr Schicksal als Vergewaltigungsopfer plündernder Rotarmisten in Berlin im Frühjahr 1945 berichtete, packt nun eine Leidensgenossin über die schrecklichen Ereignisse im Osten aus.

Gabriele Köpp ist 15 Jahre alt, als sie am Abend des 25. Januar 1945 ihre Sachen für die Flucht vor der anrückenden Front packt. Die Mutter sagt, sie wolle nachkommen. Sie warnt ihre Tochter nicht vor dem gefährlichen Unterfangen. „In gewisser Weise ließ sie mich ins offene Messer laufen“, schreibt die heute 80-jährige emeritierte Physikerin bitter. Tags darauf verlässt sie mit ihrer älteren Schwester das Elternhaus im pommerschen Schneidemühl (heute Pila). Die Stadt steht schon unter Beschuss, als die Mädchen in einem Güterzug nach Süden fahren. Ein russischer Panzer bringt die Lokomotive zum Stehen. Während Gabi durch eine hochgelegene Luke aus dem Waggon ausbrechen kann, bleibt ihre Schwester zurück. Die beiden sehen sich nie wieder. Gemeinsam mit anderen Flüchtlingen läuft Gabi durch den Schnee auf ein Dorf zu.

Dort beginnt für die junge Frau ein zweiwöchiger Alptraum, der sie ein Leben lang begleiten wird. In einer Backstube, einem Wohnhaus, einer Scheune – nirgends ist sie sicher vor den Übergriffen der sowjetischen Patrouillen. Die Vergewaltigungen selbst schildert die Autorin nicht. Für die unfassbare Brutalität fehlen ihr die Worte. Stattdessen spricht sie vom „Ort des Schreckens“, von der „Tür zur Hölle“, von „Grobianen“ und „Schuften“. Ihre älteren Mitflüchtlinge liefern sie ein ums andere Mal „gierigen Offizieren“ aus, um nicht selbst in deren Fänge zu geraten. Für sie empfindet Köpp tiefen Hass: „Ich verachte diese Weiber!“

Auf einem Bauernhof findet sie schließlich ein sicheres Versteck. Dort schreibt sie in ihrem Tagebuch an die Mutter: „Ich habe schon immer solche Angst, weil ich mein Unwohlsein nicht habe. Es sind jetzt schon bald zehn Wochen. Du könntest mir sicher helfen. Wenn nur der liebe Gott mir das nicht antun möchte. Ach Mutti, wäre ich doch bloß nicht ohne Dich gefahren.“ Obwohl Köpp nicht schwanger ist, sollte ihre Regelblutung sieben Jahre lang ausbleiben. „Russen-Krankheit“ nannten Frauenärzte dieses verbreitete Phänomen.

Nach 15 Monaten Flucht spürt Köpp ihre Mutter in Hamburg auf. Statt einer Umarmung gibt sie der Tochter einen kurzen Begrüßungskuss und verbietet ihr, über die Erlebnisse zu sprechen. Doch Papier ist geduldig. Aus den damaligen Notizen ist ein erschütternder, authentischer Bericht entstanden. Das wissenschaftliche Nachwort Birgit Beck-Heppners ordnet das persönliche Trauma der Autorin ein als Massenphänomen und Kriegsverbrechen.

Sophia E. Gerber

Gabi Köpp: „Warum war ich bloß ein Mädchen? Das Trauma einer Flucht 1945“, Herbig-Verlag, München 2010, 158 Seiten, 16,95 Euro


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