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22.05.10 / Kinder in desolater Lage / Die traurigste Seite von Russlands demographischer Krise

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20-10 vom 22. Mai 2010

Kinder in desolater Lage
Die traurigste Seite von Russlands demographischer Krise

Die Lage von Kindern hat sich in Russland seit 2000 so verschlimmert, dass Ältere sich an 1930 erinnert fühlen, als das Internationale Rote Kreuz in der Sowjetunion zwölf Millionen elternlose oder unbetreute Kinder zählte. Derzeit leben in Russland über 35 Millionen Kinder, von denen nur zwölf Prozent als „gesund“ gelten. Laut Kinderschützern streunen bis zu sechs Millionen kindliche Alkoholiker, Kriminelle, Drogensüchtige, Aids-infizierte und Prostituierte durch Russland. Und die Lage wird schlimmer, warnen Experten.

Zahlenmäßig erträglicher erscheint das Problem der russischen Waisenkinder, bei denen jedoch der Sozialpolitiker Grigorij Rapota eine unerwartete Entdeckung machte: Es gibt seit Jahren mehr Kinder in sogenannten Waisenhäusern als selbst in der Nachkriegszeit: 1945 wurden in Russland 600000 gezählt, Anfang 2007 748000 und derzeit über 800000. Wie Rapota berichtete, haben zwei Drittel dieser „Waisen“ beide Elternteile, denen aber die Elternrechte entzogen wurden, um die Kinder vor ihnen zu schützen. Im Jahr 2007 wurden so 65585 Eltern 77416 Kinder „weggenommen“.

Das Elend dieser „Waisen“ ist nur ein Aspekt der langanhaltenden und tiefgehenden Bevölkerungskrise Russlands. Mittlerweile kommen auf zehn Eheschließungen acht Scheidungen und auf 100 Geburten 92 Schwangerschaftsabbrüche. Die chronische Wohnungsnot und die jüngste Wirtschaftskrise haben sich negativ auf die Bevölkerungsentwick-lung ausgewirkt – das 2008 mit großem Aufwand begangene „Jahr der Familie“ brachte in der Bilanz weniger Ehen, mehr Scheidungen und 120000 zusätzliche „Waisen“.

Die beste Lösung für letztere wären wohl Adoptionen – zumal solche ins westliche Ausland, von denen es früher 10000 pro Jahr gab, aber die wurden mittlerweile von der Bürokratie nahezu unmöglich gemacht. Auch die einst populären Pflegefamilien gingen 2008 und 2009 um jeweils 20 Prozent zurück und betreuen jetzt nur noch 68000 Kinder. Wenn der Staat kein Geld für solche Familien hat, sinkt auch deren traditionell ohnehin eher geringes Interesse. Um Waisenkinder soll sich der Staat kümmern, denn sie verkommen sowieso – das war die zynische Mehrheitsmeinung, die im Jahr 2008 eine Umfrage ans Licht brachte.

Während die „Waisen“ mehr werden, geht die Zahl der Waisenhäuser laufend zurück. In Russland sind Waisenkinder und junge Rechtsbrecher Opfer mangelnden Mitgefühls mit Unglücklichen, das aus traditionell russischer Antifamiliarität und tief verwurzelten „Lagerinstinkten“ rührt: Wie konnten leibeigene Bauern ein Familienleben führen, wenn jeder Angehörige einzeln verkauft wurde? Welches Leben erwartete Kinder, deren Eltern als „Volksfeinde“ in Stalins Gulag endeten? Was wird aus Waisen, die gegenwärtig in „geschlossenen Heimen“ unter unfähigen, vorbestraften „Erziehern“ zu leiden haben? Wie unterscheiden sich „Strafkolonien“ für kriminelle Jugendliche und manche Waisenhäuser? Wen wundert’s, wenn die einen wie die anderen nach gewisser Lehrzeit als „pazani“ entlassen werden, als junge Schwerverbrecher? Wolf Oschlies


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