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22.05.10 / Berlin nimmt Fahrt auf / DIW-Studie sieht die Hauptstadt überraschend an der Spitze der Wachstumsrangfolge

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20-10 vom 22. Mai 2010

Berlin nimmt Fahrt auf
DIW-Studie sieht die Hauptstadt überraschend an der Spitze der Wachstumsrangfolge

Berlin ist endlich nicht mehr nur gefühlt „jung und dynamisch“ – eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) mit Sitz in Berlin stellt der Hauptstadt im deutschen Metropolenvergleich gute Noten aus.

Das Papier im Auftrag der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung würdigt Berlin allerdings nicht aufgrund der absoluten Zahlen. Dazu gibt es auch wenig Anlass. München und Hamburg, aber auch Frankfurt am Main schneiden in den untersuchten Bereichen teils deutlich besser ab. Auffällig sei jedoch der Aufstieg der Spree-Metropole im Hinblick auf die Gesamtsituation, so die Wissenschaftler. Mehr junge Menschen, vor allem mehr Frauen, ziehe es in die Stadt. Auch mehr Arbeit gebe es hier als noch vor einigen Jahren, und zwar nicht nur im unteren Lohnsegment. Der Tourismus-Boom tue ein Übriges.

Um diesen relativen Aufstieg gegenüber anderen Zentren sowie dem Deutschlandtrend zu beweisen, haben die Macher des Papiers für das Jahr 2005 eine Art Trennstrich gezogen. Gerade die Entwicklung danach sei in Berlin besonders erfreulich, so ihr Tenor. Berlin habe in diesem zweiten Abschnitt im Vergleich mit allen anderen betrachteten deutschen Großstädten „die größte Veränderung vollzogen“, lobt die Studie. Nach einem Rückgang der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung um ein Zehntel zwischen 1999 und 2005 sei in der zweiten Teilperiode (2005 bis 2009) die Beschäftigung um „gut neun Prozent“ gewachsen.

„Zusammen mit Hamburg liegt Berlin jetzt an der Spitze der Wachstumsrangfolge“, analysiert das Forscherteam. Klassische Aufsteiger wie München und Stuttgart hätten sich dagegen in Sachen Beschäftigung seit 2005 unterdurchschnittlich entwickelt. Das Papier bilanziert, dass daraus „auf dauerhaft ungünstigere Entwicklungspfade dieser Städte geschlossen werden“ müsse. Im Umkehrschluss bedeute das: Die Berliner hätten spätestens seit 2006 viel Gutes geleistet, wahrscheinlich aber schon in den Jahren zuvor, zumal sich manches erst mit Verzögerung in messbaren Zahlen niederschlägt.

Dieser eher unterschwelligen, da anhand der präsentierten Zahlen bestenfalls in Teilbereichen belegbaren Botschaft folgt eine Abrechnung mit München. Bei allen Unterschieden der Städte stehe fest, viel Industrie sei kein zwangsläufiger Vorteil mehr und überhaupt, die qualifizierten Köpfe – auch „kreative Klasse“ genannt – suchten einen Lebensstil mit interessanter Kunstszene und kultureller Vielfalt, wie sie vorzugsweise in den großen Städten zu finden seien. Allen anderen deutschen Städten voran empfehle sich Berlin offiziell mit diesem Standort-Mix – mangels harter Faktoren wie einer starken Industrie, blühendem Handel oder Entwicklung.

Dass es trotz unbestritten positiver Trends eher zu Fehlsteuerungen des Senats statt zu echter Unterstützung für einen aufkeimenden Aufschwung kommt, zeigt, unabhängig von der Studie, die aktuelle Lage auf dem Ausbildungsmarkt. Schon im Vorfeld des Mai-Gipfels zur Ausbildungsplatzsituation in Berlin kritisierten Arbeitgeber sowie Industrie- und Handelskammer (IHK) den gastgebenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) heftiger denn je. An den Berliner Oberstufenzentren (OSZ), insbesondere den dortigen einjährigen Berufsfachschulen, würden Auszubildende nur „geparkt“, statt sie ernsthaft weiterzuqualifizieren. Die Plätze beim Senats-Vorzeigeprojekt könnten „drastisch reduziert werden“, sagt Christoph von Knobelsdorff, Geschäftsführer für Aus- und Weiterbildung der IHK.

Das Berliner Problem: Bei weniger Auszubildenden nimmt zugleich der Bedarf an ausbildungsreifen Jugendlichen zu. Doch da hapert es, nicht nur in Berlin. Gewerkschafter kritisieren das Beharren der Wirtschaft auf „Sekundärtugenden“ wie Pünktlichkeit und Ordnung.

Doch bislang hat der Senat auch auf die steigende Nachfrage nach Gymnasialplätzen und damit höhere Ausbildung als Grundlage der vielgelobten „qualifizierten Köpfe“ nur mit Wartelisten reagiert. So läuft die Stadt Gefahr, den eigenen Bedarf allein durch Zuwanderung decken zu können. Und: „Die in Berlin starke Medien-, Kunst-, und Kulturszene“ halte oft nur befristete Arbeit bei schwankenden Einkommen bereit, heißt es in der Studie. Auch könnten die entsprechenden Firmen so kein „Humankapital“ bilden, sprich Leute dauerhaft binden.

Dennoch könne man mit all dem leben, „wenn wie im Fall Berlins ein großer räumlicher Arbeitsmarkt zur Verfügung steht“. Dieser Arbeitsmarkt aber ist in Gefahr, wenn Unternehmen, wie die IHK betont, immer weniger und zugleich auch noch geringer qualifizierten Nachwuchs in Berlin-Brandenburg finden. Auch wenn Ursache und Wirkung vieler Trends sich nicht „eindeutig identifizieren“ ließen, so die Studie, sprächen inzwischen Fakten dafür, „dass sich hoch Qualifizierte bei ihrer Wohnortwahl immer mehr nach der Lebensqualität und nicht so sehr nach dem Arbeitsplatzangebot richten“.

Kurzum, Berlins Zuwachs an jungen, gut ausgebildeten Menschen ist bisher weder einem tragfähigen Aufschwung noch politischen Leistungen geschuldet, sondern der Anziehungskraft der einzigen richtigen Metropole Deutschlands als kulturelles Zentrum. Es ist ein hilfreicher Faktor, auf dem sich der Senat allerdings auszuruhen droht. Sverre Gutschmidt


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