19.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
22.05.10 / Blitzstart in London / Die neue britische Regierung beginnt schnell mit der Arbeit – Koalitionspapier in wenigen Stunden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20-10 vom 22. Mai 2010

Blitzstart in London
Die neue britische Regierung beginnt schnell mit der Arbeit – Koalitionspapier in wenigen Stunden

In rekordverdächtigem Tempo hat  sich in London die liberal-konservative Koalitionsregierung unter Ministerpräsident Cameron gebildet. Vorgaben der britischen Verfassung, aber auch das abschreckende Beispiel Berlins haben das schnelle Vorgehen befördert.

Der deutsche Beobachter steht staunend vor dem gegenwärtigen politischen Geschehen auf den britischen Inseln. Nur wenige Tage nach seiner Wahlniederlage verlässt der bisherige Premier Gordon Brown seinen Regierungssitz in Downing Street 10, verabschiedet sich kurz und kehrt ins Privatleben zurück. Fast gleichzeitig wird der neue Premierminister David Cameron von Königin Elisabeth II. empfangen, begrüßt die „Majestät“ mit Handkuss und ist in der Regierungsverantwortung. So reibungslos hätte kaum jemand den Regierungswechsel erwartet, da es sich hier immerhin um die erste Koalitionsregierung in Großbritannien seit über 60 Jahren handelt.

Aber auch die Koalitionsverhandlungen zwischen den beiden Parteiführern, David Cameron von den Tories und Nick Clegg von den Liberalen, gingen in atemberaubendem Tempo vor sich. Nur wenige Stunden brauchten sie, um ein sechs Seiten kurzes Papier mit den wichtigsten Maßnahmen der neuen Regierung auszuhandeln. Ebenso schnell wurden die 21 Kabinettsressorts und weitere rund 80 Staatssekretärs- und Unterstaatssekretärsposten verteilt. Gut 20 Prozent dieser Aufgaben fielen – entsprechend den errungenen Sitzen – an die Liberaldemokraten.

Die Schnelligkeit des Regierungswechsels sorgt in der britischen Demokratie dafür, dass ein Machtvakuum vermieden wird. Ein Koalitionsausschuss wird in den nächsten Tagen eingesetzt, der nun einen detaillierten Vertrag der beiden so unterschiedlichen Koalitionäre aufsetzen soll. Große Meinungsverschiedenheiten bestanden etwa in der Europapolitik, über das seegestützte Atomwaffensystem „Trident“ oder beim Bau neuer Atomkraftwerke. Das sechsseitige gemeinsame Papier der beiden Koalitionäre regelt daher erst einmal in kluger Weise, wo die Partner sich einig sind, zum Beispiel bei der Förderung neuer Arbeitsplätze, Reformen im Bankwesen und bei der Haushaltskonsolidierung. Im letzten Punkt vereinbarten Cameron und Clegg eine sofortige Kürzung des Staatshaushalts um umgerechnet sieben Milliarden Euro. Angesichts eines Defizits von 178 Milliarden Euro oder 11,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes eher ein Tropfen auf den heißen Stein.

Die beiden Partner teilen in gewisser Weise auch die Verantwortung für die Staatsfinanzen. Der erst 38-jährige George Osborne von den Konservativen wird Schatzkanzler, David Law von den Liberalen zum „Chief Secretary of the Treasury“, eine Art Junior-Finanzminister mit Kabinettsrang. Dabei ist der Schotte Law ein erfahrenerer Sanierer und der bei weitem Kompetentere der beiden. Er absolvierte sein Wirtschaftsstudium am renommierten Kings College in Cambridge und arbeitete dann als Investmentbanker bei JP Morgan und Barclays de Zoete Wedd, bevor er in die Parteipolitik ging. Sein konservativer Kollege hat Geschichte in Oxford studiert und ist politisch noch unerfahren.

David Cameron soll sich kurz nach seiner Ernennung zum Premierminister bei Bundeskanzlerin Angela Merkel nach den Schwierigkeiten einer Koalitionsregierung erkundigt haben. Angesichts der bislang desaströsen Zusammenarbeit der schwarz-gelben Koalitionäre, deren Krachen und Knirschen bis auf die britischen Inseln vorgedrungen sind, sannen Cameron und Clegg offenbar auf schnelle Abhilfe. In ihrem Kurz-Koalitionspapier nennen sie auch die Dissenspunkte, sie regeln aber dennoch, wie in Streitfragen entschieden werden soll. In mindestens vier Fällen ist dies ausdrück-lich vermerkt, so dass die Stabilität des Regierungsbündnisses gesichert scheint. Cameron und Clegg sind fest entschlossen, mindestens die nächsten fünf Jahre zu regieren.

So bleibt die offizielle Regierungslinie bei der Erneuerung der seegestützten Atomraketen zunächst unverändert, während die Liberalen weiterhin nach besseren Alternativen suchen dürfen. Ähnlich hat man sich beim Bau neuer Atomkraftwerke arrangiert: Die Liberalen dürfen sich hier bei Abstimmungen im Parlament enthalten, aber nicht die konservative Stimmenmehrheit zu Fall bringen. Über das umstrittene Mehrheitswahlrecht, das den Liberaldemokraten bei einem Stimmenanteil von 23,0 Prozent nur 57 von aktuell 649 Parlamentssitzen brachte, soll das Volk befragt werden.

Die unkomplizierte und schnelle Regierungsbildung und die Einigung in den wichtigsten Sachfragen konnte nur funktionieren, weil Clegg und Cameron viele Dinge unter vier Augen besprachen und entschieden haben. Auch hier mag das deutsche Beispiel von Koalitionsverhandlungen mit zahlreichen Ausschüssen, nächtelangen Sitzungen, hunderten Seiten von Protokollen und einer „moderierenden Kanzlerin“ abschreckend gewirkt haben.

Die beiden Koalitionspartner pflegen ein typisch englisches, sportliches und intelligentes Miteinander. Klar ist beiden, dass in der Politik Führung verlangt wird und schnelle Entscheidungen im richtigen Moment alternativlos sind.

Unverkennbar ist für alle, denen das britische Inselreich nicht ganz fremd ist, dass in Cameron und Clegg zwei Vertreter der „Upper Class“, der reichen und gebildeten Elite, zusammenarbeiten. Dazu gehören nicht nur gut sitzende Anzüge, sondern auch eine neue Hausordnung im Kabinetts-Saal. Die Benutzung von Mobiltelefonen oder BlackBerrys ist während der Sitzung verboten.    H. E. Bues


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren