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22.05.10 / Der Italiener / Veränderungen sind das Salz der Geschichte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20-10 vom 22. Mai 2010

Der Italiener
Veränderungen sind das Salz der Geschichte

Früher kam er mit einem alten, klapprigen, dreirädrigen Karren und kündigte sich mit seiner lauten Bimmelei unüberhörbar an – der Eismann.

Heute dagegen fährt ein schicker Verkaufswagen mit einer modernen Theke durch unsere Gassen und Straßen. Neben Eis hält er auch noch kleine Törtchen und andere Leckereien bereit. Alle nennen ihn den Italiener, obwohl er fast schon so lange wie die Kirche zum Dorf gehört.

Brütende Hitze hatte sich ausgebreitet, die bis vorhin so stille Straße belebt sich etwas. Ein Signal – es kennt inzwischen jeder – der Italiener hat sich angekündigt. Auch ich sehne mich nach einer Erfrischung. Jawohl, sogar eine ansehnliche Portion Eis sollte es diesmal sein! Eine kleine Gruppe hat sich bereits um den Verkaufswagen des Italieners eingefunden.

Ganz am Rande der Gruppe steht ein kleiner Junge mit pechschwarzen Haaren. Er sieht auch etwas anders aus als zwei dieser Rangen vor mir, die auf ihr Eis warten. Ach ja, versuche ich mich zu erinnern, das ist doch einer aus der Asylantenfamilie, die mit dem unaussprechlichen Namen. die vor kurzem in das alte leerstehende Haus dort um die Ecke eingezogen ist.

Sehnsüchtig hängen seine Blicke an dem bunten Eiswagen. Nach und nach füllt der Italiener die Becher und Eiswaffeltüten mit kühlen bunten Bällchen. Verlegen lutscht der Junge am kleinen Finger – vielleicht ist der in seiner Phantasie ein Eisbällchen?

„Mach mal Platz da, du kaufst ja doch kein Eis“, herrscht ein hinzukommender Mann den kleinen Jungen an und reicht dem Italiener eine Schüssel über die Theke. Eingeschüchtert weicht der Junge einen Schritt zurück, ohne jedoch dabei seine sehnsüchtigen Blicke von dem Eiswagen zu wenden. Dabei stellt er sich sogar auf die Zehenspitzen. Der Italiener beugt sich über seine Theke, um zu sehen, ob auch alle seine Kunden versorgt sind. Da sieht er den Jungen mit den schwarzen Haaren, der immer noch eingeschüchtert, wie von Fremdheit umgeben, etwas abseits steht.

„He, du, Bambino, Junge, komm zu mir“, ruft der Italiener. Dabei langt er sich eine Waffeltüte und gipfelt eine dicke Eiskugel hinauf. „Hier, hast du Eis!“ Zaghaft und mit ungläubigem Gesicht greift der Junge nach der Tüte. „Oh je, kann ich doch nicht sehen, wie Bambino da steht! Kinder müssen fröhlich sein, immer nur fröhlich”, radebrecht der Italiener mit seinem lustigen Akzent.

Der Junge schleckt eifrig sein leckeres Eis und scheint dabei die Welt zu vergessen. Solch glückliche Kinderaugen habe ich lange nicht gesehen.

So einfach und billig kann Kinderglück sein. Hätte ich nicht auch daran denken können?    Werner Hassler


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