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29.05.10 / Die Deutschen sind der Feind / Brasilien kämpft gegen die Herrschaft von Drogenbaronen in den Armenvierteln − Bizarre Namensgebung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21-10 vom 29. Mai 2010

Die Deutschen sind der Feind
Brasilien kämpft gegen die Herrschaft von Drogenbaronen in den Armenvierteln − Bizarre Namensgebung

Brasilien versucht, Elend und Rechtlosigkeit in den Slums in den Griff zu bekommen. Tatsächlich hat die Bevölkerung der Favelas in den vergangenen zehn Jahren um 16 Prozent abgenommen. Trotzdem sind die Armenviertel immer noch weitgehend rechtsfreie Räume.

„Alemão“ heißt auf Portugiesisch: deutsch oder Deutscher. Dieser Name hat in Brasilien zumeist einen guten Klang. Einer der besten brasilianischen Fussballspieler der 1980er Jahre, Ricardo Rogério de Brito, legte sich den Namen „Alemão“ sogar als Künstlernamen zu. In den letzten Jahren hat „Alemão“, zumindest in Rio de Janeiro in der Teenagersprache jedoch eine neue, negative Bedeutung bekommen: Es heißt jetzt so viel wie „Feind“. Das hängt damit zusammen, dass die größte und berüchtigtste Favela Rios „Complexo do Alemão“, übersetzt „Deutschenkomplex“, heißt. Die Bewohner dieser Favela werden ebenfalls „Alemães“ (Deutsche) genannt. 750 Favelas gibt es in der Stadt unterm Zuckerhut, die 2014 die Fußball-Weltmeisterschaft und 2016 die Olympischen Spiele ausrichten wird. Die Zahl dieser Elendsviertel wächst ständig weiter. Man schätzt, dass ein Viertel der acht Millionen Einwohner im Großraum Rio in Favelas lebt, die meisten Bewohner sind aus dem armen Nordosten Brasiliens in die Stadt gezogen. 

Die Favela „Complexo do Alemão“ war in den letzten Jahren durch Gewaltaktionen von Seiten der Drogenbarone, aber auch von Seiten der Polizei so oft in den brasilianischen Medien, dass die Bedeutung „Alemão“ gleich Feind mittlerweile auch in den Rio benachbarten Bundesstaaten São Paulo und Espirito Santo in die Jugendsprache  übergeschwappt ist. Die Favela „Complexo do Alemão“ liegt im Norden Rios, um den Wallfahrtsort La Penha. Die Favela gehört zu einem Gebiet, das im Volksmund inzwischen wegen der Gesetzlosigkeit, die dort herrscht, „Gazastreifen“ genannt wird, mehr als eine Million Menschen wohnen hier. Zwei Drittel aller Überfälle auf Autofahrer und fast die Hälfte aller Morddelikte Rios finden in der „Zona Norte“ von Rio statt. In der Zona Norte gibt es ganze Viertel, in die sich die Polizei höchstens bei militärischen Einsätzen noch hinein traut. Viele Favelas, auch jene im „Complexo do Alemão“, werden vom Drogenkartell „Comando Vermelho“ (Rotes Kommando) beherrscht. Das „Comando Vermelho“ entstand einst als eine Art Zusammenschluss von linken Oppositionellen und gewöhnlichen Gefangenen unter der Militärdiktatur (1964–1985). Das Motto der Organisation klingt heute wie Hohn: „Freiheit – Gerechtigkeit – Friede“. Inzwischen übt der C.V. längst selbst eine Diktatur aus. Überall im Complexo weisen die auf Mauern gesprühten Initialen „C.V.“ darauf hin, wer hier die Macht besitzt. Der „Complexo do Alemão“ befindet sich fest in den Händen des Drogengroßhändlers Fabiano Anastácio da Silva, besser bekannt als „Fabiano, der Geier“. Der Favelakomplex, der auch von der Hauptverbindungsstraße vom Stadtzentrum zum internationalen Flughafen „Galeão“ gut sichtbar ist, hat die niedrigste Infrastruktur aller Favelas von Rio, es gibt keine öffentliche Verwaltung, keine Versorgungseinrichtungen, in einigen Fällen haben sogar die Drogensyndikate die medizinische und soziale Versorgung der Bevölkerung selbst in die Hand genommen.

Woher der Name „Alemão“ für diesen Favelakomplex exakt stammt, wusste im Viertel eigentlich niemand, bis 2007 das brasilianische Magazin „Globo“ herausfand, dass die Namensgebung mit einem Einwanderer aus Polen, Leonard Kaczmarkiewicz, zusammenhing, der nach dem Ersten Weltkrieg, als das Gebiet noch außerhalb der Stadt lag, dort eine große Fazenda erworben hatte. Dessen „deutsches“ Aussehen soll für die Namensgebung verantwortlich gewesen sein. Ab Mitte der 1950er Jahre, als Kaczmarkiewicz angefangen hatte, sein Land zur Besiedlung freizugeben, entstanden auf der Fazenda die ersten Favela-Baracken von Zuwanderern aus dem armen Nordosten Brasiliens, die dann unter dem großem demographischem Druck während der Zeit der Militärdiktatur anwuchsen, bis sie danach, unter der Amtszeit des sozialistischen Gouverneurs Leonel Brizola, ab 1985 toleriert wurden. In der Amtszeit der korrupten Gouverneure Garotinho und seiner Frau Rosinha Matheus, beides Anhänger neupfingstlerischer Sekten, zwischen 1998 bis 2006 wurde der Favelakomplex zu einem der Zentren der Drogenkriminalität ganz Brasiliens, verschiedene Drogenkartelle lieferten sich hier tagelange Kämpfe. Der neue Gouverneur Sergio Cabral wollte 2006 der Gesetzlosigkeit ein Ende bereiten und berief Einheiten der weniger korruptionsverdächtigen Militärpolizei in das Gebiet. Im Juni 2007 kam es im „Complexo do Alemão“, nach der Ermordung zweier Militärpolizisten, zu einem Großeinsatz der Polizei mit 1300 Mann und einem Massaker, bei dem 19 Menschen starben, die meisten davon Unbeteiligte. Nach dem Massaker im Deutschenkomplex wurde diese Favela in das groß angelegte wirtschaftliche Sanierungsprogramm „Programm zur Beschleunigung des Wachstums“ miteinbezogen, mit dem Staatspräsident Lula da Silva seit Beginn seiner zweiten Amtszeit 2007 die Armut bekämpfen und die Wirtschaft sanieren möchte. Das PAC hat insgesamt ein Volumen von 503,9 Milliarden Reais (zirka 200 Milliarden Euro).

Der „Complexo do Alemão“ soll von den PAC-Maßnahmen in großem Umfang profitieren, rund 260 Millionen Euro sollen dorthin fließen. Gebaut werden die größte Gesundheitsstation des Bundesstaates Rio de Janeiro, Wohneinheiten für Bedürftige und eine Drahtseilbahn mit sechs Drahtseilstationen, die die Bewohner des Viertels mit dem Stadtzentrum verbinden und so ihre Beweglichkeit erhöhen soll.

Im Dezember 2009 wurde auch bekannt, dass der Gouverneur Rios, Sergio Cabral, die Firma des ehemaligen New Yorker Bürgermeisters Rudi Guiliani „Giuliani Security & Safety“ damit beauftragt hat, ein Sicherheitskonzept für die Fußball-WM 2014 und Olympia 2016 auszuarbeiten. Doch letztlich wird eine soziale Lösung benötigt, denn für viele Bewohner der Favelas ist der Drogenhandel oft die einzige Hoffnung auf einen Ausweg aus der Armut.          Bodo Bost


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