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29.05.10 / Emotional Gehemmte / Erzählungen über Menschen mit Gefühlsproblemen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21-10 vom 29. Mai 2010

Emotional Gehemmte
Erzählungen über Menschen mit Gefühlsproblemen

Viel Beachtung in den Feuilletons fand der erste Erzählband von Annette Pehnt, die bisher mehrere Romane veröffentlichte. Der ausgefallene, weil aus zwei Sätzen bestehende Titel „Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern“ enthält keinen Hinweis auf den Inhalt, lässt aber wie ein Stimmungsbarometer eine durchaus gedämpfte Gefühlslage anklingen. Pehnt begleitet ihre Protagonisten auf einer kurzen Strecke ihres Lebensweges. Es sind Menschen, denen man überall begegnen könnte. Ihre Träume, ihre Wünsche sind allgegenwärtig, vor allem zwischen den Zeilen.

In den ersten drei der sechs kurzen Erzählungen kommen Ich-Erzähler zu Wort. Hinter deren Wortreichtum verbirgt sich der Mensch, der redet. Wenn „Die Zugbegleiterin“ erzählt, verschwimmen die einzelnen Fahrten und die vielen Menschen, denen sie täglich begegnet. Alles wird zu einem einzigen Strom von Erlebnissen und Eindrücken der ihrer Gedankenwelt eingesponnenen, vermutlich noch jungen Frau. Sie wirkt rastlos wie die dahin eilende Bahn, ihr Arbeitsplatz. Sicherlich sucht die Zugbegleiterin nach einem Ankerplatz in ihrem Leben, aber sie scheint nicht zu wissen, was ihr eigentlich fehlt. Die Erzählung hört wie die anderen einfach irgendwann auf.

„Wünschen darf man sich alles“ ist eine Erzählung überschrieben, in der nacheinander einige jugendliche Bewohner eines Behindertenheims im Mittelpunkt stehen. Trotz ihrer zum Teil erheblichen körperlichen Einschränkungen haben die jungen Menschen altersübliche Interessen, pflegen Freundschaften und haben Antipathien. Um sie herum agieren ihre stark beanspruchten Betreuer, denen sie das Leben mitunter unnötig schwer machen. Auch in dieser Hinsicht verhalten sich die Behinderten wie ihre nichtbehinderten Altersgenossen. In schlichter Sprache wird fortlaufend handlungsnah erzählt, wobei die literarische Verarbeitung vergleichsweise wenig zutage tritt.

„Georg“ ist die bedrückende Geschichte über eine Mutter, die, vom Klinikpersonal vergessen, ihr Baby durch die Geburtshilfe einer Putzfrau zur Welt brachte, und über Georg, ihren kleinen Sohn. Schweigsam und distanziert geht Birgit H. mit Georg um. Offenbar leidet sie unter Depressionen. Die aneinander gereihten Momentaufnahmen lassen nur Mutmaßungen über die Vorgeschichte der Frau zu. Etwas deutet darauf hin, dass sie sich schon vor der Geburt ihres Kindes von ihrer Umwelt abgekapselt hat. Kein Wunder, dass auch Georg sonderbare Verhaltensmuster entwickelt. Der Kinderpsychologe erkennt die fatalen Zusammenhänge, kann den ratlosen, aufgeregten Eltern aber nicht helfen. Was er ihnen mit auf den Weg gibt? Man erfährt es nicht. Eines Tages absentiert sich Georg von seiner Mutter.

Die Erzählungen regen zum Nachdenken an. Dennoch, hier wäre „mehr“ mehr gewesen. Am Ende bleiben zu viele Fragen offen. Annette Pehnt hat durchgehend auf eine Verdichtung der Handlung verzichtet. Dementsprechend ist der Inhalt weniger umfänglich, als die ganz gewöhnliche Dicke des Bandes zunächst glauben macht, aufgrund von Großdruck und entsprechender Papierstärke. Dagmar Jestrzemski

Annette Pehnt: „Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern“, Piper Verlag, München 2010, geb., 186 Seiten, 16,95 Euro


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