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05.06.10 / Neue Runde im Dauerstreit / Das ungarisch-slowakische Verhältnis bleibt gespannt – 98 Prozent für ungarisches »Doppelpass-Gesetz«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-10 vom 05. Juni 2010

Neue Runde im Dauerstreit
Das ungarisch-slowakische Verhältnis bleibt gespannt – 98 Prozent für ungarisches »Doppelpass-Gesetz«

Kaum haben sich im ungarisch-slowakischen Dauerkonflikt die Wogen um das slowakische Sprachengesetz gelegt, sorgt das neue ungarische Staatsbürgerschaftsgesetz für Aufregung zwischen den beiden EU-Ländern. Die Grundlage des Konflikts wurde schon im Jahre 1920 mit einer fragwürdigen Grenzziehung gelegt.

Nachdem im Jahr 2004 die EU das seinerzeit geplante ungarische Doppelpass-Gesetz noch als „nationalistische“ Außenpolitik kritisiert hatte und dessen Ablehnung per Volksentscheid wegen zu geringer Wahlbeteiligung mitbewirkte, sorgt die frisch gewählte nationalliberale Regierung von Viktor Orbán jetzt mit einer Neuauflage für Schlagzeilen.

Am 26. Mai stimmte das Budapester Nationalparlament mit 97,7 Prozent einer Änderung des Staatsbürgerschaftsgesetzes zu, mit der Angehörigen ungarischer Minderheiten in den Nachbarländern künftig auf Wunsch ein Doppelpass verliehen werden kann. Voraussetzung ist lediglich, dass sich unter den Vorfahren mindestens ein ungarischer Staatsbürger befindet und die Beherrschung des Ungarischen nachgewiesen werden kann.

Bislang konnten nur solche nicht im Land lebenden Personen den ungarischen Pass erhalten, die diesen schon einmal besessen hatten, was rückwirkend auch ihre Nachfahren zu ungarischen Staatsbürgern machte. Eine Teilnahme an Wahlen in dem kleinen ostmitteleuropäischen Land wäre für Doppelpass-Inhaber unter den rund 2,5 Millionen Auslandsungarn in den Gebieten der ehemaligen k.u.k. Monarchie aber ebenso umöglich wie die Inanspruchnahme von Sozialleistungen. Für beides ist ein ständiger Wohnsitz in der Republik Ungarn erforderlich.

In der Slowakei hat das minderheitenpolitische Signal aus Budapest, das hochsymbolisch am 20.August – dem ungarischen Nationalfeiertag – in Kraft treten und ab 1. Januar 2011 umgesetzt werden soll, für heftige Proteste gesorgt. Das Parlament verabschiedete postwendend ein Gesetz, nach dem jeder slowakische Staatsbürger, der eine andere Staatsbürgerschaft annimmt, seine slowakische verliert. Der slowakische Regierungschef Fico dramatisierte die Lage am 25. Mai mit den Worten: „Was in Ungarn geschieht, ist für die Slowakei lebensgefährlich.“

Der Doppelpass-Streit bedeutet für die ohnehin schwierigen Beziehungen beider Länder auch insofern eine Belastungsprobe, als er zu einem wichtigen Thema für die in der Slowakei am 12. Juni anstehenden Parlamentswahlen geworden ist, und die Auseinandersetzungen über die Folgen des unlängst novellierten Sprachengesetzes für die noch etwa 500000 (von einst 720000) in der Südslowakei lebenden Madjaren keineswegs ausgestanden sind. Anders ist es in Rumänien, dem Heimatland der mit 1,4 Millionen größten auslandsungarischen Volksgruppe. Dort schweigt die Regierung in dieser Angelegenheit, weil es ein ähnliches Gesetz für die Auslandsrumänen gibt, mit dem bereits Hunderttausende von Menschen in der Republik Moldawien auch die rumänische Staatsbürgerschaft erwerben konnten. Hinsichtlich Serbiens, wo es in der Wojwodina noch knapp 300000 Ungarn gibt, oder der kleinen madjarischen Bevölkerungsgruppe in der Karpaten-Ukraine sind ebenfalls keine internationalen Verwicklungen zu erwarten.

Der im ungarischen Parlament mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit regierende Bürgerbund (Fidesz) kann dem diplomatischen Schlagabtausch mit der Slowakei jedoch gelassen entgegensehen. Man genießt im Streit über das Staatsbürgerschaftsgesetz die Unterstützung fast aller Abgeordneter und wohl auch nahezu der gesamten Bevölkerung. Der alte und neue ungarische Ministerpräsident Orbán tritt nicht nur konsequent für eine Aufhebung der Benesch-Dekrete ein, sondern erhob die „Wiedervereinigung aller Ungarn“ einst sogar zur Kernaufgabe seiner Regierungsarbeit – allerdings nicht im Sinne etwaiger Grenzverschiebungen, sondern in kultureller und sozialer Hinsicht.

Ernstzunehmende interne Kritik kommt lediglich von jenen, die die Frage aufwerfen, ob ein Doppelpass den madjarischen Minderheiten in ihrer jeweiligen Heimat überhaupt nützt. Denn einerseits gäbe der gleichzeitige Besitz der ungarischen Staatsbürgerschaft Sicherheit; die Auslands-ungarn könnten jederzeit problemlos ins Mutterland übersiedeln und in diesem Wissen – zumindest theoretisch – die weitere Entwicklung in der Heimat abwarten. Andererseits besagt eine vor Jahren durchgeführte Erhebung, dass 14 Prozent der Ungarn in Rumänien den Doppelpass zur unverzüglichen Abwanderung nutzen würden.

Man darf zunächst vor allem gespannt sein, ob die Europäische Union erneut gegen die mit dem Doppelpass angestrebte eher symbolische Abmilderung der Folgen des Trianon-Vertrages von 1920 wettert oder ob Brüssel angesichts der Euro-Krise diesmal andere Sorgen hat. Auf jeden Fall dürfte der Streit auch Bewegung in die aktuelle Diskussion in Österreich und Südtirol über eine doppelte Staatsbürgerschaft für die dortigen Deutschen und Ladiner bringen. Martin Schmidt


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