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05.06.10 / Erst noch etwas Deflation, dann massive Inflation

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-10 vom 05. Juni 2010

Gastbeitrag
Erst noch etwas Deflation, dann massive Inflation
von Prof. Dr. Gerald H. Mann

Angesichts der verantwortungslosen öffentlichen und privaten Schuldenmacherei in den „PIIGS“-Staaten (Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien) sowie des Rettungspaketes über eine Dreiviertelbillion Euro fürchten viele zu Recht Inflation. Im Blick auf diesen Einstieg in einen faktischen europäischen „Länderfinanzausgleich“ mit einer dem Vertrag von Maastricht widersprechenden Solidarhaftung äußerte der Präsident des Münchner Ifo-Instituts Hans-Werner Sinn Verständnis, „wenn sich nun viele Deutsche hereingelegt fühlen“.

Außerdem mogelt sich die Politik bislang am öffentlichen Eingeständnis vorbei, dass es einen Zielkonflikt zwischen Rettung des Euroraumes und des Euros gibt. Beides geht jedoch nach simpler ökonomischer Logik nicht zusammen. Entweder rettet man den Euro als stabile Währung, indem man nicht wettbewerbsfähigen Euro-Partnern wie Griechenland ihren Austritt abkauft. Oder aber man rettet den Euroraum in seiner jetzigen Zusammensetzung, indem er zur faktischen Transferunion inklusive Zinssubvention für schwache Länder wird. Dann kann aber der Euro nicht dauerhaft stabil bleiben. Letzteren Weg hat man eingeschlagen – der Verfall des Euro an den Devisenmärkten bestätigt es.

Und da liegt auch ein weiteres Kalkül dieses Rettungsversuchs. Die Finanzkrise seit 2007 ist ja keineswegs vorbei, sondern als Staatsschuldenkrise in eine neue Phase eingetreten. 2009 ist die wirtschaftliche Leistung so stark eingebrochen wie nie zuvor in Friedenszeiten seit der Weltwirtschaftskrise der Jahre 1929 bis 1932. Damals versuchten Staaten, sich Wettbewerbsvorteile durch Handelhindernisse, etwa Zollerhöhungen, und die Abwertung ihrer Währungen zu verschaffen. Dies verschärfte die Krise, weil es die internationale Arbeitsteilung reduzierte. Einen vergleichbaren Aufbau von Handelshemmnissen verhindert heute das Welthandelsregime. Verordnete Abwertungen sind bei flexiblen Wechselkursen auch nicht mehr möglich.

Doch kann ein Währungsraum durch Erhöhung der Geldmenge die eigene Währung abwerten. Weil USA und Japan das im großen Stil tun, hat sich in den letzten Jahren durch den starken Euro die globale Wettbewerbsfähigkeit des Euroraumes verschlechtert. Und insofern kommt der auf die Ankündigung des Rettungspaketes folgende Sinkflug des Euro eigentlich gelegen, weil er Waren aus Euroland im Rest der Welt preiswerter macht und durch steigende Importpreise deflationäre Tendenzen unwahrscheinlicher macht. Kurzum, Euroland hat sich auf einen impliziten Abwertungswettlauf eingelassen.

Zurück zur Staatsverschuldung. Es gibt vier Wege, diese abzutragen:

Erstens, durch Haushaltsüberschüsse zur direkten Schuldentilgung. Steuererhöhungen werden kommen, auch ein paar Ausgabenkürzungen; aber schon angesichts der Zinslast ist nicht mit Überschüssen zu rechnen. Diese Einschätzung gilt übrigens nicht nur für Länder wie Griechenland. Zweitens, Kriege mit dem Ziel einer entsprechenden Beute. Davor bewahre uns Gott.

Drittens, ein teilweises Wegstreichen der Schulden; „Haircut“ (Haarschnitt) nennen das die Angelsachsen: Heute noch haben Sie noch 10000 Euro Staatsanleihen im Depot, morgen sind es noch 7000. Dreißig Prozent wurden zu Ihren Lasten weggestrichen, der Staat dadurch entsprechend entschuldet. Damit könnte man den Euro zwar halbwegs stabil erhalten, hätte jedoch wegen des Abschreibungsbedarfes wieder wackelnde Banken zu retten. Und Lebensversicherer müssten ihren Kunden erklären, warum sie deutlich weniger bekommen. Dieser Weg ist möglich, aber für Deutschland aus heutiger Sicht eher unwahrscheinlich, weil damit die Politik vor allem inländische Sparer teilenteignen würde, was massive Widerstände und Rechtsstreitigkeiten hervorrufen dürfte. Bei den PIIGS-Ländern ist diese Lösung noch eher vorstellbar, weil der größere Teil ihrer Schulden im Ausland liegt.

Bleibt der vierte Weg: Inflation, die den Staat real entschuldet. Hier brauchen Politiker keine entsprechenden Beschlüsse zu fassen, sondern die Notenbank erhöht die Geldmenge, in Folge steigt früher oder später das Preisniveau.

Einen weiteren Schritt in diese Richtung ist die EZB jüngst mit dem Aufkauf von (bereits börsennotierten) Staatsanleihen gegangen. Damit sind die Frankfurter Währungshüter noch nicht so weit wie ihre Kollegen in New York und London, die von ihren Finanzministern neue Staatsanleihen aufkaufen. Dennoch wurde der EZB dieser Schritt, der wohl durch politischen Druck zustande kam, zu Recht als „Sündenfall“ ausgelegt. Es „riecht“ förmlich nach Geldentwertung.

Doch zwei Gründe sprechen auf kurze Sicht gegen viel Inflation: Erstens, eine Erhöhung der Geldmenge führt solange nicht zu Geldentwertung, wie dies durch eine rückläufige Umlaufgeschwindigkeit des Geldes kompensiert wird. Läuft eine höhere Geldmenge entsprechend langsamer um, bleibt das Produkt aus beidem gleich. So haben beispielsweise viele Griechen ihre Ersparnisse abgehoben und horten nun Bargeld zu Hause. Das reduziert die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes. Erst wenn immer mehr Haushalte dem Geldwert nicht mehr trauen und beispielsweise palettenweise Sardinen in Dosen im Keller als Wertspeicher dem Bargeld vorziehen und darum die Supermärkte stürmen, kommt die Inflation ins Laufen. Diesen Zeitpunkt kann niemand vorherbestimmen, weil hier die Psychologie entscheidet.

Zweitens, die Inflationsmessung bezieht sich auf den Warenkorb eines Modellhaushalts, der Lebensmittel, Energie, Kleidung, Mieten und so weiter konsumiert. Nicht enthalten sind die Preisveränderungen von Aktien, Edelmetallen und Immobilien. Wegen der sich vor uns mittelfristig aufbauenden Inflationswelle werden Menschen aber heute nicht mehr essen, größere Wohnungen mieten oder mehr Autos kaufen und so durch steigende Nachfrage in diesen Bereichen die Preise in die Höhe treiben. Also droht hier aktuell wenig Gefahr für die Preise, und der Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB gefährdet kurzfristig auch nicht die Preisstabilität.

Im Gegenteil, es besteht aus zwei Gründen zunächst sogar eine Gefahr von deflationären Tendenzen (analog zu Japan): Erstens bestehen trotz der wieder anziehenden Konjunktur Überkapazitäten in der Industrie. Dies hindert Unternehmen daran, ihre Preise auf breiter Front zu erhöhen. Sollte die Konjunktur im Herbst wieder schwächer werden, sind sogar Rabattschlachten wahrscheinlich. Dies drückt Gewinnerwartungen, Aktienkursen und tendenziell auch das Zinsniveau. Zweitens, ein noch kleiner, aber steigender Anteil der Bürger spart verstärkt in Edelmetallen oder in „Betongold“. Sofern dadurch der Konsum eingeschränkt wird, steigen die Preise langsamer.

Will man in dieser Gemengelage das sich aufstauende Inflationspotenzial annähernd erkennen, lohnt sich insbesondere ein Blick auf den Goldpreis. Und der hat vor wenigen Tagen ein Allzeithoch über 1000 Euro je Unze erreicht.

Fazit: Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird es erst einmal eine kleine „Deflationsebbe“ geben, bevor auf mittlere Sicht der „Inflationstsunami“ losbricht.

 

Gerald H. Mann lehrt Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule für Ökonomie und Management (FOM) in München.


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