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05.06.10 / Leben ohne Gesetz / Entrechtung, Terror und Zwang nach 1945 in den deutschen Vertreibungsgebieten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-10 vom 05. Juni 2010

Leben ohne Gesetz
Entrechtung, Terror und Zwang nach 1945 in den deutschen Vertreibungsgebieten

Ein deutsch-polnisches Herausgeber-Team plus fünf Autoren aus Deutschland, Tschechien und Russland – so entsteht ein  außergewöhnliches Buch. Zudem nimmt sich das leider erst verspätet zur Kenntnis genommene Buch zu drei WDR-Filmen der spannenden Frage an: „Was geschah eigentlich, als die Deutschen weg waren“ aus ihren Heimatorten in Ostrpeußen, Schlesien und Sudetenland. Bislang sei die Frage „tabu“ gewesen, behauptet der Klappentext, was nicht stimmt.

Das Thema sind Millionen Deutsche, die das Kriegsende 1945 der härtesten Prüfung unterzog: Die meisten flohen, nicht wenige blieben vor Ort, freiwillig oder vom Feind „überrollt“, manche kehrten sogar zurück, weil sich niemand die Amputationen am deutschen Land vorstellen konnte, die die Sieger längst beschlossen hatten. Keiner der am Buch beteiligten Autoren bestreitet das Massenunrecht, das damals geschah, und bezüglich der Ursprünge sind sie sich einig: „Das Dritte Reich hatte die Grundlagen der europäischen Zivilisation zerstört und trägt die ursächliche Verantwortung für das Schicksal der Deutschen.“

So der polnische Historiker  Wlodzimierz Borodziej in seinem Beitrag über Schlesien. Ähnlich urteilte der Russe Juri Kostjaschow über Ostpreußen und der Prager Adrian von Arburg über das Sudetenland. In der „Arbeitsteilung“ des Buchs übernahmen sie den Part der Hintergrundberichte, während deutsche Autoren nochmals aufarbeiteten, was sie zuvor in den WDR-Filmen gezeigt hatten: Wie sich die Umwälzungen der ersten Nachkriegszeit aus der Froschperspektive des ostpreußischen Tollmingkehmen, des oberschlesischen Groß Döbern und des nordböhmischen Gablonz ausnahmen.

„Das Nachkriegsleben ... ist ein Leben ohne Gesetz“, heißt es in Hans-Dieter Rutschs Bericht über Groß Döbern. Rutsch und Borodziej, die mit deutsch-polnischen Verhältnissen befassten Autoren, haben die längsten und schrecklichsten Aufsätze verfasst: Was hier über Entrechtung, Terror und Zwang berichtet wird, welche Folgen die zynische Planung hatte, aus der Ukraine vertriebene Polen in den Regionen vertriebener Deutscher anzusiedeln, wie brutal die „Polonisierung“ Deutscher ablief – das alles lässt auch den Leser schaudern. Aber gerade er soll auch lesen, dass noch 1944 deutsche Truppen den Warschauer Aufstand für die Polen verlustreich niederschlugen. Der noch frische polnische „Erfahrungshintergrund von Massenmord, Bedrohung und Entwurzelung“, so Borodziej, bestimmte auch die Nachkriegspolitik zu Deutschen.

Gemessen an den „polnischen“ Passagen sind die über das Sudetengebiet erträglicher – erstaunlich, nachdem der tschechische Historiker Tomas Stanek, der im Buch erwähnt wird, ganz andere und schrecklichere Dinge bezeugte. Eher am Rande wird ein grundlegender Unterschied deutlich: Das kommunistische „Volks-Polen“ behauptete ab 1948, es beherberge keine Deutschen mehr, ließ aber bis zuletzt Hunderttausende Deutsche ausreisen – die erst spät kommunistisch gewordene Tschechoslowakei warf in „wilder“ oder „geordneter Vertreibung“ schon früh über drei Millionen Deutsche hinaus. Von „ethnischer Säuberung“ sprechen die Autoren – zu Recht.

Und sie betonen die Nutzlosigkeit der Vertreibungen, die Lücken riss, welche keine „Neusiedlungen“ „Kolonisierungen“ schließen konnten. Am allerwenigsten in Ostpreußen, dessen rund 100000 verbliebene Deutsche erst im Oktober 1947 in die Sowjetische Besatzungszone ausgesiedelt wurden. Bis dahin hatten die Sowjets nicht versucht, von deutscher Technik und Landwirtschaft zu lernen, weswegen die ursprünglich geplante kommunistische Musterregion ein lachhafter Fehlschlag wurde. Heute überlegen die Russen, wie sie aus der „Region Kaliningrad“ eine Brücke zu Deutschland und Europa machen können – schreibt Jurij Kostjaschow in seinem Ostpreußenkapitel, das leider schandbar schlecht übersetzt wurde.    Wolf Oschlies

Adrian von Arburg. Wlodzimierz Borodziej, Jurij Kostjaschow:  „Als die Deutschen weg waren“, rororo, Berlin, broschiert, 317 Seiten, 9,95 Euro

 

Weitere Neuerscheinungen

Dieckert/Großmann: Wiederauflage von „Der Kampf um Ostpreußen – Der umfassende Dokumentarbericht über das Kriegsgeschehen in Ostpreußen“, von 1960, Lindenbaum Verlag, Beltheim-Schnellbach 2010, 268 Seiten, 16,80 Euro

Erika Morgenstern: „Überleben war schwerer als sterben – Ostpreußen 1944 bis 1948“, Herbig, 4. Auflage München 2010, geb., 302 Seiten, 9,95 Euro

Thomas E. Woods jr.: „Sternstunden – Sternstunden statt dunkles Mittelalter – Die katholische Kirche und der Aufbau der abendländischen Zivilisation“, MM Verlag, Aachen 2010, geb., 305 Seiten, 22 Euro

Inge Wunsch: „Schicksal – Was machst du mit mir? – Gedichte“, Triga, Gründau-Rothenbergen 2009, broschiert, 92 Seiten, 8,30 Euro


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