19.04.2024

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05.06.10 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-10 vom 05. Juni 2010

Der Wochenrückblick mit Hans Heckel
Käßmann wäre perfekt / Was ein Bundespräsident können muss, was er gar nicht darf, und wie die Politik unsere WM-Mannschaft angesteckt hat

SPD-Chef Sigmar Gabriel fordert einen „überparteilichen Kandidaten“ für das Amt des Bundespräsidenten. Das würde ich auch machen, wenn die anderen die Mehrheit haben. Noch vor Ablauf des Monats muss ein neues Staatsoberhaupt her. Dabei haben wir die Angelegenheit mit dem Rücktritt noch nicht ansatzweise verdaut. Was denkt sich das Grundgesetz eigentlich bei dieser entsetzlichen Hast?

Leichenblass sei Frau Merkel gewesen, als sie nach dem Telefonat mit Horst Köhler zurück in die Sitzung kam. Der Kanzlerin ist die Sache übel in die Glieder gefahren. Als der Streit um Köhlers Bundeswehr-Äußerungen (merkwürdig verspätet) ins Rollen kam, da dachte sich die Kanzlerin zunächst: Angela, du machst das so wie immer. Lass sie sich hauen und angiften und warte einfach ab. Wenn die nicht mehr können, dann stelle dich gelassen ans Moderatorenpult und verteile keck Noten. Danach sind die anderen wieder ein bisschen kleiner und abgekämpfter, du wieder ein wenig mächtiger.

Das ging diesmal gründlich in die Kostümhose: Noch bevor sich Angela Merkel der Bühne überhaupt genähert hatte, ging Köhler einfach weg. Er hatte aber auch einen ziemlichen Knaller losgelassen, so dass die Empörung der Opposition und zahlloser Medien nur zu verständlich war: Deutsches Militär sei auch dazu da, unsere Handelswege zu schützen, traute er sich zu sagen!

Wie bitte? Die Marine beschützt vor Somalia die Frachter unserer Neokapitalisten? „Wirtschaftliche Großmachtphantasien“ sprächen aus so etwas, schnaubt eine große Zeitung. Sind die Köhler-Kritiker bislang davon ausgegangen, dass wir unseren Ostasienhandel über den Mittellandkanal und die Oder und dann die letzte Querstraße rechts abwickeln?

Nein, so doof sind die natürlich auch nicht. Aber sie wissen was, was Köhler bis zum Schluss nicht begriffen hat: Zwischen Wahrheit wissen und Wahrheit sagen klafft in Deutschland ein Abgrund, den wir mit „historisch gewachsener Sensibilität“ füllen, die es uns erlaubt, aus jeder Pelzwäsche absolut trocken hervorzugehen – gut geschirmt von dem dichten Gewöll aus watteweichen Vokabeln und moralischen Bedenken.

So sind wir immer auf der sicheren Seite: Natürlich fordern, dass die Handelswege geschützt werden. Auch werfen wir der Bundeswehr jederzeit gern „Versagen“ vor, wenn sie dabei nicht erfolgreich ist. Kommt sie aber voran, was gelegentlich zu Opfern auch auf der anderen Seite führen kann, dann jagen wir die Uniformierten mit Wonne wochenlang durch die Schlagzeilen unserer moralischen Entrüstung.

Nun also ist er weg, der Horst Köhler. Gabriel will also einen „Überparteilichen“. Viel wichtiger aber ist ein Kandidat, der die angemahnte „Sensibilität“ mitbringt, die er benötigt, um die indiskutable Wirklichkeit so einzuschleimen, dass sie ihm nicht mehr gefährlich werden kann.

Als einer der möglichen Nachfolger wurde treffenderweise  Margot Käßmann angeführt. Eine exzellente Wahl, gerade nach den letzten Erfahrungen mit dem ungeschickten Köhler: „Nichts ist gut in Afghanistan“, hatte die Theologin ausgerufen. Damit hat sie ihre pazifistische Unschuld gegen alles abgesichert und deutlich gemacht, dass sie sich für die hässlichen Seiten der Weltpolitik nicht zuständig fühlt. Damit sollen sich andere bekleckern. Bundespräsidentin Käßmann würde sich daher auch nie und nimmer zu Themen wie „militärischer Schutz von Handelsrouten“ herablassen, um statt dessen verlauten zu lassen, dass Gewalt schlecht sei und es darum gehen müsse, den friedlichen Dialog mit den Piraten, den Terroristen und allen anderen zu suchen. Wenn die keinen Dialog wollen? Dann sind wir eben „besorgt“ und können auch nichts machen.

Arme Angela Merkel. Um sie werde es jede Woche einsamer, schreibt uns die Hauptstadtpresse. Man kann sich halt auch in die Sackgasse siegen: Alle ihre Rivalen haben schlappgemacht oder sich resigniert ins Glied gefügt. Was übrig blieb, ist ziemlich langweilig. In einer Umfrage kratzt die Union bereits an der 30-Prozent-Marke.

Gut, da wäre ja noch die FDP, die den Kampf um bürgerliche Mehrheiten übernehmen könnte. Könnte – wenn es der nicht noch schlechter ginge als dem schwarzen Bruder. Die Schwierigkeit für die Liberalen, noch Wähler zu finden, wird noch von der Schwierigkeit der Wähler übertroffen, die Liberalen zu finden. Wo stehen die eigentlich? Wie war das gleich? „Niemals werden wir mit den ruchlosen Sozen eine Koalition in Düsseldorf eingehen, wenn die den Kommunisten auch nur ein Briefchen schicken“, donnerte es aus der FDP.

Das Briefchen ging raus, die Liberalen warteten ein Weilchen, dann fing Guido Westerwelle vergangenes Wochenende an herumzuampeln. Man sei für alle demokratischen Parteien offen. Ähnlich bei der Steuerdebatte: Monatelang fuchtelten die Westerwelles mit ihren Wahlversprechen und dem Koalitionsvertrag herum, dann ging, mit einem leisen Pfffff ... die Luft raus aus den großen Tönen.

Eigentlich keine Katastrophe, wenn die FDP andere Töne hätte, mit denen sie die Stille vertreiben könnte. Hat sie aber nicht. Alles, was man jetzt noch hören kann, ist das anschwellende Gemaule aus den Parteirängen über den einsamen Vorsitzenden.

Das wäre die Gelegenheit für Sigmar Gabriel, die ratlosen gelben „Umfaller“ johlend durchs Dorf zu jagen. Aber er lässt das lieber. Erstens, weil seine Hannelore Kraft mit den Freidemokraten noch was vorhat, vorhaben muss, wenn sie Landesmutter werden will. Und zweitens, weil er eben einen Blick in die SPD geworfen hat.

Was Gabriel dort sah, hat ihm den Magen verdorben, und mit bösem Bauch attackiert es sich nicht gut. Eine Parteiumfrage brachte das Bild einer Ruine hervor: Die Volkspartei ist eigentlich am Ende, möchte man danach meinen. Lauter alte, vor allem aber müde gewordene Leute öden sich in den SPD-Ortsvereinen gegenseitig an.

Ist denn nirgends mehr eine dynamische Truppe, die richtig was reißen kann? Am liebsten möchte man weglaufen. Sogar die Medien haben keine Lust mehr. Deshalb verdrängte Lena tagelang alle Politikmeldungen auf die Plätze. Endlich mal was nicht so Depressives, jubelten die Nachrichtenredakteure und krallten sich über ellenlange Beiträge hinweg an das Goldkehlchen wie der Verhungernde ans Brathuhn. Dann platzte der Köhler in die Party und aus war’s mit der Fröhlichkeit.

Zum Glück muss Berlin nur noch ein paar Tage durchhalten, bis es sich hinter der WM verbuddeln kann. Wissen Sie noch? Vor vier Jahren? Einen Monat lang schien es tatsächlich so, als gäbe es den ganzen Politzirkus gar nicht. Als dann jedoch Angela Merkel den Rasen betrat, nachdem die deutsche Mannschaft im Halbfinale verloren hatte, war unsere Ernüchterung nur umso schmerzhafter.

Das war schlimm genug. Doch langsam steigt in uns eine finstere Ahnung hoch: Möglicherweise ist bei dem Treffen zwischen Kanzlerin Merkel, Bundespräsident Köhler und der deutschen Nationalmannschaft zum Ende der WM 2006 noch etwas anderes, viel Schlimmeres passiert, das wir damals gar nicht ahnen konnten. Ist da vielleicht ein verhängnisvoller Virus übergesprungen?

Es fällt schon auf: Wie im Führungskader der Politik lichten sich auch in Jogi Löws Mannschaft bedenklich die Reihen, wie um Frau Merkel wird es immer einsamer um den Bundestrainer. Einer nach dem anderen hat irgendwas und humpelt durch den Hinterausgang.

Die Hinfälligkeit dieser Leute macht bange. Am Ende fliegen die, auf ein kleines Häufchen geschmolzen, schon bei der ersten K-o.-Runde raus. Dann müssen wir uns schon nach zwei statt erst nach vier Wochen wieder mit Merkel, Westerwelle, Gabriel, Künast und den anderen quälenden Krisenherden unserer Zeit befassen. Köhler, irgendwie beneiden wir Dich.


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