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12.06.10 / Sah die bildungsferne Massengesellschaft voraus / Zwei neue Bücher erinnern an den vergessenen Bestsellerautor Joachim Fernau – Anspielungsreich, aber leicht lesbar

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 23-10 vom 12. Juni 2010

Sah die bildungsferne Massengesellschaft voraus
Zwei neue Bücher erinnern an den vergessenen Bestsellerautor Joachim Fernau – Anspielungsreich, aber leicht lesbar

Mit zwei Bänden erinnert die Edition Antaios an den deutschen Schriftsteller und Journalisten Joachim Fernau. Der in Bromberg geborene Bestsellerautor ist aus dem Gedächtnis der Nation, über die er vorzugsweise schrieb, fast ganz verschwunden. Zu seinem 70. Geburtstag im Jahre 1979 hatte Armin Mohler in der „Welt“ noch über ihn geschrieben: „Fernau ist ein Platz in der deutschen Geistes- und Seelengeschichte sicher.“ Auch wenn „die den Markt überwachende Garde unserer Literaturkritiker aus allen Rohren gegen Fernau“ geschossen habe, seinen Erfolg beim Publikum habe dies nicht verhindern können.

Gut also, dass sich Leser, die der Ansicht sind, dass anspruchsvolle Literatur leicht lesbar sein kann, Fernau wieder leichter nähern können. Dazu tragen zum einen die „Fragmente eines Soldatenlebens 1939 und 1940“ bei, die unter dem Titel „Tausend Tage“ als schöner schmaler Band vorliegen. Zum anderen dient dazu die von Götz Kubitschek und Erik Lehnert zusammengestellte Bildbiographie „Joachim Fernau – Leben und Werk in Texten und Bildern“, die unter anderem auf Unterlagen von  Gabriele Fernau und Edith Mohler, den Witwen Fernaus und Mohlers basiert. In „Tausend Tage“ berichtet der überzeugte Zivilist Fernau über seine Zeit als Soldat. Die Erzählung bricht im April oder Mai 1940 ab. Kubitschek betont, dass Fernau zu keinem Zeitpunkt überzeugter Nationalsozialist gewesen sei. Auch dann nicht, als er zur Kriegsberichter-Kompanie (KBK) der Waffen-SS versetzt worden sei.

Der renommierte Germanist Peter Wapnewski hat 1967 mit einem Artikel in der „Zeit“ versucht, Fernau zum Schweigen zu bringen. Grund der moralischen Entrüstung war ein Artikel des Gescholtenen, der noch am 30. August 1944 geschrieben hatte, der Sieg im Zweiten Weltkrieg sei „wirklich ganz nahe“. Wer damals so etwas geschrieben habe, so Wapnewski, sei „entweder ein Schwachkopf von unvorstellbarem Format – oder aber ein infernalischer Lügner“. Das eine wie das andere zwinge Fernau dazu, „das Handwerk des Schreibens zu lassen, die Kunst der Prophetie aufzugeben, vor der Geschichtsdeutung zu kapitulieren, das eigne Volk mit Bestandsaufnahmen künftig zu verschonen“. Interessanterweise wurde viel später, im Jahre 2003, über Wapnewski bekannt, dass er ab 1940 selbst als Mitglied der NSDAP geführt wurde. „Ich weiß das erst jetzt“,  gab er sich in ähnlicher Weise überrascht wie Walter Jens.  Seine Polemik gegen Fernau hat durchaus eine Parallele mit der maßlosen Empörung des früheren Waffen-SS Soldaten Günther Grass gegen seine früheren Kameraden.

Fernau hatte damals in der „Zeit“ zumindest die Chance, sich zu verteidigen. Und so schrieb er zu den Vorwürfen des Berliner Altgermanisten: „Das liegt nur 23 Jahre zurück. Aber wenn man jemand ‚fertig‘ machen will, muss man weit ausholen, nicht wahr? Rundschreiben, anprangern, nicht wahr? Berufsverbot, Bücher verbrennen – oh pardon, jetzt bin ich aus Gründen der Ähnlichkeit in die falsche Spalte gekommen. Mein armer, mein furchterregend-deutscher Richter! Sie gestehen mir in Ihrem ‚Zeit‘-Aufsatz ausdrücklich zu, dass ich wenigstens weiterleben dürfe, ‚das ist Menschenart‘. Herr der Himmel, beschütze uns vor Deinen Gerechten!“

Fernau war vom ersten bis zum letzten Tag des Weltkriegs Soldat. Wie schwer es war, diese Zeit unbelastet zu überstehen, belegen unter anderem die Schilderungen seiner Tätigkeit im 103. Polizei-Bataillon in Posen. Beklommen liest man, wie Fernau – offenbar auf Befehl – polnische Familien aus ihren Häusern vertreiben musste. Ihm schlagen dabei weniger Wut als vielmehr nackte Verzweiflung und Trauer entgegen. Nachdem die ersten 40 Jahre zu großen Teilen fremdbestimmt waren, bemühte sich Fernau danach bis zu seinem Tod am

24. November 1988 umso konsequenter, ein selbstbestimmtes Leben zu führen und sein eigener Herr zu sein. 1949 wurde er als „nicht belastet“ entnazifiziert, denn er hatte keiner Partei angehört und konnte nachweisen, dass er zur Waffen-SS zwangsversetzt worden war. Er arbeitete nun zunächst als angetellter Journalist. Seine populären Geschichtswerke „Deutschland, Deutschland über alles …“, „Rosen für Apoll. Die Geschichte der Griechen“, „Disteln für Hagen. Bestandsaufnahme der deutschen Seele“, „Cäsar lässt grüßen. Die Geschichte der Römer“ oder auch „Sprechen wir über Preußen. Die Geschichte der armen Leute“ waren große Erfolge. Auch in seinen belletristischen Werken zeigte sich Fernaus Gabe, mit leichter Feder Menschen zu unterhalten und zu belehren. Dass Fernau noch einmal viele Leser finden wird, daran hat Herausgeber Kubitschek keine Zweifel: „Man kann konstatieren: Fernau sah den ‚Blindflug‘ seiner Nation in die bildungsferne Massengesellschaft voraus, er wusste, dass er so über kurz oder lang für seine anspielungsreichen Bücher und seine subtile Art der Erziehung kaum noch Leser finden würde. Gleichzeitig war Fernau aber auch klar: Vermissen würde diese Lese- und Empathiefähigkeit am Ende nur der Autor selbst, und mit ihm eine kleine Schar, die noch einen Begriff davon hat, auf welchem Niveau Schriftsteller und Leser eigentlich ihre Fäden miteinander knüpfen könnten.“   Ansgar Lange

Joachim Fernau: „Tausend Tage – Fragmente eines Soldatenlebens 1939 und 1940“, Band 16 der Reihe Kaplaken, Albersroda, 96 Seiten, 8,50 Euro

Erik Lehnert und Götz Kubitschek (Hrsg.): „Joachim Fernau – Leben und Werk in Texten und Bildern“, Antaios, Albersroda 2009, gebunden, 144 Seiten, 24 Euro


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