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19.06.10 / Aufbruch oder PR-Ente? / Berlins rot-roter Senat hat die Stadt zur Metropole der Wissenschaften erklärt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-10 vom 19. Juni 2010

Aufbruch oder PR-Ente?
Berlins rot-roter Senat hat die Stadt zur Metropole der Wissenschaften erklärt

Die einst blühende Industrie ist dramatisch geschrumpft, der Handel stagniert in der Krise und vom Tourismus allein kann Berlin auch nicht leben. Nun kündigt der rot-rote Senat voller Elan an, Berlin solle führender Standort der Wissenschaften werden. Die Realität macht skeptisch.

Die Zukunft Berlins gehört der Wissenschaft – so sieht es der Senat und hat ein Kuratorium ins Leben gerufen, die Metropole dieses Jahr international als „Hauptstadt für die Wissenschaft“ zu vermarkten. Anlass bieten fünf große Jubiläen: Die Staatsbibliothek wird 350 Jahre alt, die Charité 300 Jahre, ebenso die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, die Humboldt-Universität bringt es auf 200 Jahre und die Max-Planck-Gesellschaft auf 100.

Der rot-rote Senat sucht neue Perspektiven jenseits von Hartz IV, will „thematische Zusammenhänge“ finden, auch für „Berufe“, sprich Arbeitsplätze. Preußische Wissenschaftler kommen nebenbei zu neuem Ruhm. Doch ein rigoroser Sparkurs bedroht aktuell die „Leuchttürme“ des Projekts. Zudem fehlen der wirtschaftlichen Neuausrichtung die wichtigsten Partner: Unternehmen.

Was haben senkrecht startende Flugzeuge, die Cargolifter-Luftschiffe und Berlins Wissenschaftsträume gemein? Sie sind voll hochfliegender Erwartungen und zeigen: Je größer der wirtschaftliche Druck auf die Politik, desto größer die Hoffnung auf Wunder der Wissenschaft. Während die Briten einst vergeblich auf den Verkaufs-Boom ihrer Senkrechtstarter hofften und Brandenburg mit den Luftschiffen für Fracht an einer Wiederholung deutscher Zeppelin-Erfolge scheiterte, blickt jetzt das politische Berlin gebannt auf seine forschenden Institutionen. Berlin habe nicht nur Tradition, es „wird auch in Zukunft ein bedeutender und vielfältiger Wissenschaftsstandort von regionaler, nationaler wie internationaler Bedeutung sein“, beschwört das Kuratorium die Pläne. Angesichts von nur noch acht Prozent Beschäftigten im verarbeitenden Gewerbe ist der Senat alarmiert. Die Industrie hat Berlin verloren. Und selbst der Handel verspricht angesichts rückläufiger Umsätze dieses Frühjahr ebenfalls nicht die erhofften Impulse für Beschäftigung und Aufschwung.

Die Wissenschaft soll der Ausweg sein – schließlich lebten wir in der „Wissensgesellschaft“, so die Planer. Sie legen die Messlatte hoch: Rom und Babylon „waren frühe Orte machtvoller Wissensgesellschaften – Boston, San Francisco, Shanghai, London und Paris sind es heute“. Berlin soll nun als „Spree-Athen“ alte Strahlkraft erneuern: „Namen wie Leibniz, Friedrich der Große, Humboldt, Schinkel, Hegel, Virchow, Helmholtz, Siemens, Koch, Planck und Einstein sind mit Berlin eng verbunden. – Im Jahre 2010 wird es darauf ankommen, diese Tradition und die gestaltenden Kräfte wissenschaftlicher Erkenntnisse in allen Lebensbereichen deutlich werden zu lassen“, so die glanzvolle Idee.

In der sehr viel nüchterneren Wirklichkeit verzeichnet Berlin beim Anlocken von Forschung bestenfalls Teil-erfolge. Beim großen Pharmakonzern Schering gingen seit der Übernahme durch Bayer 2006 rund 950 Berliner Arbeitsplätze verloren. Gut 4500 Menschen arbeiten noch für den Konzern an der Spree, 2000 davon im weiteren Sinn forschend. Bayer-Pläne, die Krebsforschung in Berlin anzusiedeln, brachten im Ausgleich nur einzelne Stellen zurück – Medien zufolge ganze fünf.

Doch das Unternehmen will mit einem neuen „Pharma-Campus“ als Investor ein „klares Bekenntnis zu Berlin und seinem Potenzial“ abgeben, so Ulrich Köstlin, Mitglied des Vorstands der Bayer Schering Pharma AG. Ob dort weitere Firmen und die erhofften „Synergie-Effekte“ einziehen, ist offen.

An der Charité, dem Jubilar, wird derweil weiter gespart. Charité-Vorstandschef Karl Max Einhäupl sagt zu den Kürzungen, es könnten nun keine neuen Professoren berufen und Gelder aus der Wirtschaft nicht mehr wie bisher eingeworben werden, Leistungsträger verließen gar das Haus. Dass der Senat den Zuschuss für die Prestigeeinrichtung um 13 Millionen Euro senkt, schadet dem Konzept. Da hilft die jetzt an Journalisten versandte Hochglanzbroschüre „Berlin – Hauptstadt für die Wissenschaft“ wenig. Deren Tenor: „Die Berliner Wissenschafts-Community genießt einen exzellenten Ruf – ein Grund dafür ist ihre vielfache und dichte Vernetzung.“

Das greift zu kurz. Denn das Kuratorium bietet unter dem großspurigen Motto nur einen kalendarischen Überblick über ohnehin geplante, allgemeinwissenschaftliche Vortragsreihen. So werden beispielsweise „Pforzheim schmückt Berlin“, eine Schmuckpräsentation am 13. Juni, oder der Vortrag „Körperbilder, Konzepte und Repräsentationen von Geschlecht“ am 15. Juni in der Freien Universität angepriesen. Die Stadt empfiehlt sich über die Jubilare zudem recht museal, mit institutionell anmutender Arbeit in willkürlicher Zusammenstellung – wie einem Vortrag über „häusliches Leben in einer multi-ethnischen Stadt“ am 2. Juli. Als „Höhepunkte“ preisen die Macher die „Wissenstage Südwest“, die „Lange Nacht der Wissenschaften“ und die Ausstellung „Weltwissen“ an.

Firmen der Realwirtschaft weist die Broschüre kaum auf. Der Humboldt-Universität fehlen währenddessen dieses Jahr fünf Millionen Euro, so der scheidende Präsident Christoph Markschies. Er wird im Herbst ersetzt durch Jan-Hendrik Olbertz, der prompt mehr „Elitenförderung“ ankündigte. Richtige Ideen drohen so auch dort wegen mangelhafter Schwerpunktsetzung zu verebben.         Sverre Gutschmidt

Foto: Medizin nach neuestem Wissensstandard: Die Berliner Charité hatte bisher genügend Strahlkraft, um internationale Koryphäen anzuwerben.


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