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19.06.10 / Weiteres Gewürge absehbar / Die Lage der Bundesregierung ist desolat, dennoch ist nicht mit dem vorzeitigen Aus zu rechnen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-10 vom 19. Juni 2010

Weiteres Gewürge absehbar
Die Lage der Bundesregierung ist desolat, dennoch ist nicht mit dem vorzeitigen Aus zu rechnen

Weiter sinken kann die Bundesregierung kaum mehr im öffentlichen Ansehen. 37 Prozent geben die Demoskopen den beiden Regierungsparteien momentan noch − zusammen, wohlgemerkt. Eine große Zeitung schrieb sarkastisch, die Strategen von CDU, CSU und FDP hätten den Überblick über ihre vielen Konflikte verloren. Dennoch ist ein Weiterwursteln wahrscheinlich.

Die Aufzählung der Konfliktfelder zwischen CDU, CSU und FDP liest sich wie eine Liste der politischen Themen überhaupt: Krankenversicherung und AKW-Laufzeiten, Steuererhöhungen für Gutverdienende und Umsetzung des Sparpakets, Opel-Hilfe, Wehrpflicht und Wahl des neuen Bundespräsidenten. Die Fronten sind oft unübersichtlich, ja geradezu wirr: Bei der Gesundheitsprämie liegen CSU und FDP im Clinch, das ist klar. Aber schon bei der Frage der Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken geht der Riss mitten durch die CDU, auch die eben erst vereinbarte neue „Brennelemente-Steuer“ versteht Fraktionschef Volker Kauder anders als sein CDU-Parteifreund, Finanzminister Wolfgang Schäuble. Über den Umgang mit der FDP streiten CSU-Minister in Bayern und CSU-Landesgruppe in Berlin wie die Kesselflicker, und innerhalb der FDP wiederum fliegen die Fetzen bei den Themen Bundespräsidentenwahl und auch bei der Frage, ob man in Düsseldorf mit der SPD über eine Koalition verhandeln solle oder nicht.

Manchmal bleibt unklar, wo die raffinierte Unverbindlichkeit der Kanzlerin einen handfesten Konflikt überdeckt, wo es sich nur um die in der Politik üblichen Positionsunterschiede handelt und wo eventuell sogar Einigkeit besteht und nur dem Publikum ein Spiel mit verteilten Rollen geboten wird, damit jede Lobby das zu hören bekommt, was sie eben gerne aus Politikermund hört.

Beispiele dafür sind die Themen Opel-Rettung und Wehrpflicht: Selbst professionelle Beobachter der Berliner Szene waren uneinig darüber, ob der offenkundige Gegensatz zwischen Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) und der Kanzlerin in Sachen Staatshilfen für Opel ein handfester Krach war, der die Koalition für ein paar Stunden an den Rand des Nervenzusammenbruchs gebracht hat, oder ob Brüderle in der Pose des musterhaften Marktwirtschaftlers und mit entschlossener Geste nur solche Bundeshilfen für Opel verweigerte, die auch die Bundeskanzlerin zu keinem Zeitpunkt hätte gewähren wollen.

Ähnliche Fragen haben die schnellen Volten von Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg in Sachen Wehrpflicht, Bundeswehrverkleinerung und Kundus-Untersuchungsausschuss aufgeworfen. Am Ende blieb ein Interpretationsstreit, ob nun eher zu Guttenberg die Kanzlerin unter Druck gesetzt habe oder umgekehrt oder ob der eine beim Versuch, den anderen auszutricksen, nur sich selbst ein Bein gestellt habe.

Was übrig bleibt, ist der unübersehbare Befund, dass sehr grundlegende Probleme des Landes nicht angepackt, geschweige denn gelöst werden. Eliten und Volk wenden sich angewidert ab. In einer Umfrage unter 533 hochrangigen Führungskräften aus Wirtschaft, Verwaltung und Politik äußerten sich zuletzt 92 Prozent unzufrieden mit der Regierung. Auch das Ansehen der Kanzlerin hat demzufolge tiefe Kratzer bekommen. Die Institute Forsa und Infratest wiederum ermittelten in der „Sonntagsfrage“ zuletzt Zustimmungswerte für Union und FDP von 32 und fünf beziehungsweise 31 und sechs Prozent.

Allerdings sind diese insbesondere für die FDP katastrophalen Zahlen zugleich ein starkes Argument dafür, dass es in Berlin nicht zum Äußersten kommen dürfte: Neuwahlen würden SPD und Grünen nützen, Union und FDP hingegen schaden. Da aber die parlamentarische Minderheit vorgezogene Neuwahlen nicht erzwingen kann, wird es sie nicht geben. Am wahrscheinlichsten ist aus heutiger Sicht darum ein von Querelen begleitetes „Weiter so“ ohne Impulse und Visionen.

Ein Hinweis dafür sind auch die Worte von CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe, „die Koalition fliegt nicht auseinander, sie steht zu dem gemeinsam Verabredeten“. Das gibt einen Vorgeschmack auf das zu erwartende  Gewürge bis 2013, schließlich stehen im Koalitionsvertrag vom Herbst 2009 kaum konkrete Projekte, sondern lauter Formelkompromisse und Prüfaufträge. Eine wirkliche Reformvision hatte die schwarz-gelbe Koalition schon zu diesem Zeitpunkt nicht. Dies hängt mit der Erfahrung Merkels und der CDU bei den Wahlen des Jahres 2002 und 2005 zusammen, deren eindeutige Lektion ja tatsächlich lautete: Mutige Reformen, so notwendig sie auch sein mögen, sind unbeliebt und im Grunde nicht mehrheitsfähig. Die Umsetzung der wenigen konkreten Vorhaben wird nunmehr zusätzlich durch den sich abzeichnenden Verlust der Bundesratsmehrheit erschwert.

Es ist nicht erkennbar, wie Bundeskanzlerin Merkel den im Herbst 2009 verpassten Aufbruch unter den gegebenen Umständen, in der die finanziellen Spielräume so eng sind wie schon lange nicht mehr, noch nachholen könnte. Auch ein Wahlerfolg Christian Wulffs in der Bundesversammlung am 30. Juni dürfte daran nichts ändern.      Konrad Badenheuer

Foto: Heitere Mienen in ernster Lage: Selbst wenn Christian Wulff die Wahl zum Bundespräsidenten gewinnt, wäre der im Herbst 2009 verpasste Aufbruch nicht mehr nachzuholen. Links CDU-General Hermann Gröhe.


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