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19.06.10 / Belgien »verdunsten« lassen / Flamen und Wallonen können nicht mehr miteinander und Niederländer wählen eigenwillig

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-10 vom 19. Juni 2010

Belgien »verdunsten« lassen
Flamen und Wallonen können nicht mehr miteinander und Niederländer wählen eigenwillig

Während das Land der niederländischen Königin Beatrix vermutlich bald von einer neuartigen Regierungskoalition regiert wird und möglicherweise sogar größer wird, muss der belgische König Albert II. mit dem Zerfall seines Reiches rechnen.

Ist Belgien noch zu retten? Zahlreiche Kommentatoren haben diese Hoffnung endgültig fahren lassen und fuhren nach dem Wahlsonntag schon mal mit dem Bleistift über die Karte Westmitteleuropas. So, als sei das Auseinanderfallen des Königsreiches nach 180 Jahren Geschichte nunmehr unausweichlich.

Wahlsieger Bart de Wever strebt zwar offiziell nach Unabhängigkeit Flanderns, doch auch ein Vereinigung mit den Niederlanden gilt längerfristig nicht als ausgeschlossen. Dass Wallonien im Falle der Sezession an Frankreich fiele, gilt demgegenüber schon fast als ausgemacht. Nach einer Umfrage der französischen Zeitung „France Soir“ würden 66 Prozent der Franzosen einen Anschluss Walloniens an ihr Land befürworten.

Schwieriger wird es mit Brüssel: Ganz überwiegend französischsprachig liegt die Hauptstadt in flämischem Gebiet, genießt daher als drittes Glied den gleichen föderalen Sonderstatus wie Flandern und Wallonien. Dem EU-Verwaltungs- und Parlamentssitz könnte eine Zukunft als „Freie Stadt“ bevorstehen.

Noch komplizierter steht es mit dem deutschsprachen Ostbelgien, jenen neun Gemeinden um Eupen und St. Vith, die im Rahmen der Annexion von Eupen und Malmedy nach dem Ersten und dann erneut nach dem Zweiten Weltkrieg von Deutschland an Belgien gingen. In deutschen Medien ist die Idee zu hören, die Ostbelgier doch wie einst die Saarländer 1955 darüber abstimmen zu lassen, ob sie zu Deutschland oder Frankreich gehören wollten.

Vor Ort liebäugelt man indes mit anderen Lösungen: Etwa ein Anschluss an Luxemburg oder gar die Unabhängigkeit als sogenannte „Liechtenstein-Lösung“. Hintergrund ist, dass Eupen/St.Vith als Profiteur des flämisch-wallonischen Dauerzwists zu einem Ausmaß an Autonomie gelangt ist, dass die kleine Region als Teil Deutschlands und erst recht kaum als Teil Frankreichs behalten könnte. Mit nur 70000 Einwohnern brächte es das Gebiet innerhalb Deutschlands nicht einmal auf die Größe eines durchschnittlichen Landkreises. Umfangreiche Zugeständnisse in Richtung von Sonderrechten wiederum könnten in Berlin die Sorge schüren, dass – auf Gleichberechtigung pochend – auch andere deutsche Regionen solche Rechte einklagen könnten. Andere Länder wie etwa Spanien oder Großbritannien haben mit einem „Föderalismus à la Carte“, in dem etliche Regionen Sonderrechte genießen, die andere nicht haben, keine guten Erfahrungen gemacht.

Was auch kommen mag, Bart de Wever, der Chef der nationalkonservativen Partei „Neue Flämische Allianz“ (NVA), hat klargemacht, wohin die Reise gehen soll: Er wolle Belgien „verdunsten“ lassen. Dafür will der 39-Jährige zunächst die beim Reich verbliebenen Schlüsselkompetenzen für Justiz und Soziales auf die drei Regionen übertragen. Dafür erhielt er in manchen Regionen Flanderns 40 Prozent. Zählt man die Stimmen des rechten „Vlaams Belang“ (VB) denen der NVA hinzu, dann ist das Votum der Flamen für die Unabhängigkeit unübersehbar. Der VB hat an die NVA kräftig Stimmen verloren.

Eine Regierungsbildung wird schwierig, Bart de Wever will, obwohl er mit reichsweit 17,4 Prozent die stärkste Partei anführt, definitiv nicht belgischer Ministerpräsident werden. Das widerspräche seinem Ziel der Auflösung Belgiens.

So könnte erstmals seit Jahrzehnten ein Wallone Regierungschef werden, zur Debatte stehen der Sozialistenchef Elio di Rupo oder der Liberale Didier Reynders. Doch dies würde die Abspaltungstendenzen der Flamen, die 60 Prozent der Bevölkerung stellen und wirtschaftlich weit stärker sind, nur noch verstärken.

Tage vor Belgiens Urnengang erschütterte bereits der nördliche Nachbar Niederlande mit einer Wahl das europäische Establishment. Stimmen, die den Islamkritiker Geert Wilders bereits auf dem absteigenden Ast sahen, mussten irritiert zur Kenntnis nehmen, dass seine Freiheitspartei PVV mit 15 Prozent drittstärkte Kraft wurde. Erstmals in ihrer Parteiengeschichte stärkste Partei wurden die Nationalliberalen (VVD) mit 20 Prozent vor den Sozialisten (PvdA) mit 19. Die zuvor regierenden Christdemokraten (CDA) rutschten auf 14 Prozent hinter Wilders.

Das Ergebnis hat zumal in Deutschland einige Verwirrung ausgelöst. Nicht bloß das gute Abschneiden des „Rechtspopulisten“ Wilders führte zu Irritationen, auch die Zusammensetzung seiner Wähler und der Umgang der übrigen Parteien mit dem blonden Rebellen. Letzterer war von ausgeprägtem Respekt gezeichnet und war meilenweit entfernt von den Ausgrenzungs- und Verteufelungsreflexen gegen vermeintliche „Rechtspopulisten“ in Deutschland.

Doch auch Wilders Wählerschaft sprengt eingefahrene Denkmuster bundesdeutscher Provenienz. Besonders gut abgeschnitten hat Wilders ersten Berichten zufolge bei Hindus und Homosexuellen. Beide sehen sich als primäre Opfer der vom PVV-Chef diagnostizierten schleichenden Islamisierung der Niederlande.    Hans Heckel

Foto: Unabhängigkeit oder Anschluss an die Niederlande? Viele Flamen wollen Belgien den Rücken kehren.


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