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19.06.10 / Pulverfass Ferganatal / USA und Russland fürchten Flächenbrand um Kirgisien

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-10 vom 19. Juni 2010

Pulverfass Ferganatal
USA und Russland fürchten Flächenbrand um Kirgisien

Wut und Verzweiflung über Arbeitslosigkeit, Korruption und zuletzt Kostensteigerungen von 200 bis 500 Prozent für Strom und Wasser sind die Auslöser für die Unruhen in Kirgisen. Führte der Volkszorn im April zum Sturz des als korrupt geltenden und selbst von Moskau fallen gelassenen Präsidenten Kurmanbek Bakijew, ergießt sich die Wut seit Tagen in pogromartigen Überfällen auf die im Süden des Landes ansässige usbekische Minderheit. Die Zahl der Toten und Verletzten steigt täglich, obwohl immer wieder von der Einstellung der Kampfhandlungen die Rede ist. Die Übergangsregierung Rosa Otunbajewa wirkt hilflos, wenn sie einerseits erklärt, ein Drahtzieher der Unruhen sei festgenommen worden (eine bekannte Persönlichkeit überdies, die bei den für Herbst angekündigten Präsidentschaftswahlen kandidieren wollte), andererseits die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS), in der Russland den Ton angibt, um Hilfe bittet.

Moskau gab sich zurückhaltend, wollte erst mit den anderen Mitgliedsstaaten über eine militärische Intervention beraten. Humanitäre Hilfslieferungen sagten mehrere Länder zu. In den USA ist man über die Lage auf dem für die Versorgung der Afghanistantruppen wichtigen Militärstützpunkt bei Bischkek beunruhigt. Die USA und Russland wollen in engem Kontakt bleiben, um einen Flächenbrand in der Region zu verhindern. Der Kreml entsandte schon zu Beginn der Unruhen 150 Soldaten zur Sicherung seines Militärstützpunktes Kant nach Kirgisien. Das kleine zentralasiatische Land ist eine strategisch wichtige Region, in der sowohl die USA Russland als auch China um Einfluss ringen. Hinzu kommt ein erstarkter Islam, der in Zentralasien weiter an Bedeutung gewinnt.

Kirgisien ist ein armes Land, in dem neben der kirgisischen Mehrheit große usbekische und russische Volksgruppen leben. Auch Uiguren, chinesische Muslime, Ukrainer und andere Minderheiten bevölkern die von Hochgebirgen und unzugänglichen Tälern geprägte Republik. Kirgisien hat kaum Bodenschätze, 40 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze und sind auf Transferleistungen ihrer meist in Russland als Gastarbeiter tätigen Verwandten angewiesen. Obwohl die Bevölkerung jung ist, 50 Prozent sind unter 24 Jahre alt, fehlt vielen eine Perspektive.

Der Konflikt in der Stadt Osch, die im zu Kirgisien gehörenden Teil des Ferganatals liegt, hat seine Ursprünge in den 20er und 30er Jahren, als Stalin ohne Rücksicht auf Ethnien willkürlich Staatsgrenzen zog. So entstanden usbekische Enklaven in Kirgisien und umgekehrt. Ein Teil des fruchtbaren Ferganatals gehört zu Tadschikistan, es kam immer wieder zu Grenzkonflikten. Im Gegensatz zu Kirgisien hat sich Usbekistan aufgrund seines Baumwollexports und seines Reichtums an Bodenschätzen mit Hilfe ausländischer Kredite zu einem Exportland entwickelt. Weil die Staatsführer der drei Länder sich nicht grün sind, könnte der Konflikt im Pulverfass Ferganatal sich zu einem Flächenbrand ausweiten. Die islamische Befreiungspartei Hizb ut-Tahrir hat dort starken Rückhalt in der Bevölkerung. Die schon zu Talibanzeiten aus Afghanistan operierende und radikalere Islamische Bewegung Usbekistans (IBU) will im Ferganatal ein Kalifat, einen islamischen Gottesstaat, errichten. Sie wartet auf ihre Chance, die durch das Anheizen des Konflikts in greifbarere Nähe rückt.         M. Rosenthal-Kappi


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