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19.06.10 / Die besten Steine nach Moskau / Der Zeitzeuge Ojars Blumbergs berichtet vom Schicksal der jüdischen Friedhöfe in Königsberg und Riga

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-10 vom 19. Juni 2010

Die besten Steine nach Moskau
Der Zeitzeuge Ojars Blumbergs berichtet vom Schicksal der jüdischen Friedhöfe in Königsberg und Riga

Von den damals lebenden und arbeitenden Personen bin ich der einzige Übriggebliebene auf dieser Welt. Ich erfülle nur ein Versprechen, das ich einmal meinem deutschen Meister Waldmann gegeben habe, dem ich es verdanke, in den 50er Jahren das Steinmetz-Handwerk in der Firma „Granit“ in Riga, Friedensstraße, erlernt zu haben.

Wir arbeiteten im Wechsel: zwei Wochen Nachtschicht, worauf eine Woche Tagschicht folgte. Das gab die Möglichkeit, beim Schichtwechsel am Abend in Riga das 8. Rainis-Abend-Gymnasium für die Arbeiterjugend zu besuchen. Es gibt keinen Menschen, der das noch heute erzählen könnte. Ich hatte damals 17 Jährchen, der nächstjüngere Fabrikarbeiter, A. Bulga junior, war über 40. Mir gefiel diese Arbeitsstelle auch deswegen, weil es hier keine Komsomol-Organisation gab, auch nicht in der Abendschule. Schon seit früher Jugend hatte ich den Grund zu meinem „Apolitismus“ in der herrschenden bolschewistischen Gesellschaft erworben.

Am 15. März 1952 – ich erinnere mich gut an diesen Tag, denn ich verspürte eine leichte Müdigkeit von der Feier meines Geburtstages am 14. März. An diesem Morgen, am Anfang der Schicht, versammelte Meister Kirpitschow nach einer Liste die Jüngeren und Stärkeren für eine sehr wichtige Entlade-Arbeit. Es würden bald zwei Studebaker-Laster erwartet. Für die, die es nicht wissen: Das sind die großen dreiachsigen Armee-Lastwagen mit sechs oder zehn Rädern, die die USA der UdSSR geleast hatten, um beim Krieg gegen Deutschland zu helfen. In den angekommenen zwei Studebakern waren um die 50 sehr eindrucksvolle, große und gut beschliffene Grabsteine behutsam gestapelt, an allen Kanten kunstvoll bearbeitet, so wie die Steinmetze auf Bestellung nach Wunsch und Geschmack im Stil der Vorkriegszeit gearbeitet haben, ohne jede Schramme, ohne „Wunde“, wie die Steinmetze es nennen. Das war eine große Überraschung, denn die Ladung kam aus Königsberg vom Judenfriedhof, aus einer Stadt, die von gnadenlosen Kriegsstürmen zerstört war, wo auch jahrelang die von der Ideologie beherrschte Politik der realisierten gnadenlosen Judenvernichtung erfolgt war. Selbst ich war ein wenig verwundert, dass die Faschisten die Gräber der verstorbenen Juden ohne Beschädigung gelassen hatten. In meinem Gedächtnis haben sich einige Namen auf den Grabsteinen erhalten, in Deutscher – man kann auch sagen in jüdischer Sprache: Kinkelstein, Kirschbaum, Bermann, Zuranski, Mogilewski und so weiter. Ich hatte viele aufgeschrieben, aber im Lauf der Jahre ist das Blatt verschwunden. Aufschriften gab es auch in Iwrit, aber im Allgemeinen wenige. Alle diese Raubzüge und Operationen der Überführung nach Riga – später folgten noch viele solche – geschahen unter Beteiligung oder gar Leitung eines NKWD-Obersten, denn ohne die Tscheka konnte solches nicht geschehen, da schon die betreffenden Grenzübergänge streng überwacht wurden. Es ist klar, dass diese grausigen Grabplünderungen mit der entsprechenden Moskauer Machtinstanz abgestimmt waren, ebenso mit ihren Filialen in Riga und Königsberg/Kaliningrad. Sie konnten niemals ohne Wissen oder Wink der höchsten kommunistischen Partei-Organe geschehen. Nach Auslese wurde ein Teil der besten Steine weiter transportiert – direkt nach Moskau.

Einige seltene, besonders prächtige Steine zieren die Grabstellen der höchsten Moskauer Parteileute, einige, an die ich mich erinnere, befinden sich auf dem Friedhof von Nowodjewitschi. Es wurden neue Inschriften auf der Rückseite eingraviert, nachdem von der ehemaligen Vorderseite die jüdischen Namen mit einem Zahnhammer und scharfen grobkörnigen Reiben sauber abgeschliffen waren – eine gewohnte tägliche Arbeit der Steinhauer. Auf den Gräbern mussten die Steine nur mit der neuen Schauseite aufgestellt werden. Einen sah ich sogar in Armenien auf dem Grab eines Obersten. Auch nach Georgien wurden viele gebracht, wo unter anderem der Name eines hervorragenden Helden eingraviert wurde. So kann man sagen, ist der Bolschewik lebenslang ein Bruder für den Hebräer. Kurz gesagt – eine kleine Fortsetzung vom Rationalismus in Mauthausen, Buchenwald und anderen faschistischen Todeslagern, nur in den praktischen Formen der Bolschewistischen Partei.

Wenn ich betrübt diese Zeit überdenke, ist mir ein anderer Moment in Erinnerung geblieben. Der Firmendirektor von „Granit“ war nach Herkunft polnischer Jude und fing damals an, hemmungslos zu trinken, und verkürzte dadurch sein Leben sehr. Sein jüngerer Bruder arbeitete als Graveur und wegen seiner professionellen Meisterschaft verehrte ich ihn sehr. Beide hatten die Kriegszeit in der Roten Armee verbracht und viele Auszeichnungen erhalten. Beide waren Parteigenossen. Was dachten sie über das Vorgefallene?

Foto: Hier war einst Königsbergs jüdischer Friedhof: Orthodoxe Juden weihen im März 2002 eine Gedenktafel für Rabbi Israel Salanter an dessen Grab ein. Zeitzeuge Ojas Blumbergs berichtet nun, wie dieser Friedhof im Jahre 1952 zerstört wurde.


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