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19.06.10 / Mit gefärbtem Fell und toupiertem Schwanz / Wenn Kühe auf dem Lauftsteg ihre Schönheit präsentieren, hat vorher ein Friseur Hand angelegt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-10 vom 19. Juni 2010

Mit gefärbtem Fell und toupiertem Schwanz
Wenn Kühe auf dem Lauftsteg ihre Schönheit präsentieren, hat vorher ein Friseur Hand angelegt

In den USA und Kanada gibt es sie schon lange: Cowfitter. Vor Auktionen und Schauen putzen sie die Tiere heraus, um so einen höheren Verkaufswert zu erzielen.

Lusanne wird geschoren. Einige Stunden bevor die Dreijährige bei der diesjährigen Messe vors Publikum tritt, werden ihre Haare auf exakt dieselbe Länge gebracht. Lusanne lässt alles geduldig über sich ergehen, nur manchmal trampelt sie etwas nervös hin und her. Hinrich Henke, der Lusanne mit gekonnten Handgriffen vorbereitet, lässt die Schermaschine sachte über ihren Rücken gleiten. Dann greift er zu Kamm und farbigem Haarspray. Das Muster muss gleichmäßig sein, also wird in schwarz und weiß lackiert. „Normalerweise sind die Haare etwa zwei Zentimeter lang“, sagt Henke. Etwa vier bis sechs Wochen vor einer Messe werden die Tiere erstmals geschoren. Dann wächst das Fell schön dicht nach und wird am Tag vor dem Termin noch einmal auf etwa zwei Millimeter gekürzt. „Wenn sich das Tier einen kleinen Fellfleck abgestoßen hat, wird dort mit wasserlöslicher Farbe abge-deckt“, verrät der Stylingprofi. Und da die Wirbelsäule immer etwas uneben ist, wird das Fell darüber hochgekämmt und dann zu einem schnurgeraden Rückenkamm frisiert.

Hinrich Henke kennt alle Tricks. „Milchkühe werden so geschoren, um die Körperkonturen, das heißt Beckenknochen oder Rippenbögen hervorzuheben“, erklärt er. Sogar die Haare am Euter werden mit der Schermaschine entfernt, damit die Adern gut zu sehen sind. „Kräftige Adern – also ein sogenanntes belebtes Euter – sind ein Qualitätsmerkmal“, erklärt Hinrich Henke. „Denn bis im Euter ein Liter Milch produziert ist, muss das Herz 300 bis 400 Liter Blut durchs Euter pumpen.“ Damit die Euter prall sind, werden die Kühe zweimal nicht gemolken. Das bringt bei den aufmerksamen Juroren die meisten Punkte.

Heute schicken 70 Zuchtbetriebe ihre 115 schönsten Tiere auf den Laufsteg; folglich hat Henke einiges zu tun. Er ist der Kuhfriseur – der „Cowfitter“ –, der am Rande der Halle, in der die Tiere auf ihren Auftritt warten, seinen „Schönheitssalon“ betreibt. Er stylt nicht nur Lusanne, auch zehn ihrer Artgenossinnen erhalten durch ihn mit Puder und Schere das perfekte Aussehen.

Hinrich Henke, der aus einem Dorf in Niedersachsen kommt, wo er mit seiner Lebensgefährtin und den drei gemeinsamen Kindern lebt, hat das „Trimmen“ von Rindern in Kanada gelernt. In Deutschland ist er der erste professionelle Kuhfriseur.

Gerade bringt der 38-Jährige die Schönheit von Ofrete zur Geltung. Helfer haben sie schon mit Wasser und Seife blitzblank geschrubbt. Jetzt wird der Schwanz bearbeitet. „Einige Kollegen flechten ihn, damit er schön buschig aussieht“, erzählt Henke. „Das ist mir zu aufwendig.“ Er benutzt lieber Bürste und Haarspray, bei manchen Rindern wird der Schwanz auch onduliert. Die Tiere werden vor derartigen Veranstaltungen tagelang immer wieder geputzt und geschoren, gestriegelt und geölt. Schmunzelnd sagt der Kuhfriseur: „Manch ein Bauer hat nach unserer Arbeit seine Kuh schon nicht mehr wiedererkannt.“

„Natürlich sollen die Tiere nicht nur schön sein, sondern auch einen guten Job machen und Geld bringen“, erläutert Preisrichter Markus Mock. So ist die Messe auch keine reine Unterhaltung, sondern ein Treffen von Züchtern mit handfesten wirtschaftlichen Interessen. Neben dem Schaulaufen finden Verhandlungen mit internationalen Käufern statt, werden Tiere versteigert. Gute Milchkühe erzielen auf Viehauktionen bisweilen stolze Preise. So wechselte erst unlängst eines der Tiere für den Rekordbetrag von 50000 Euro den Besitzer. Neben Abstammung und Milchleistung bestimmt vor allem das Urteil der Juroren den Wert der Milchkühe. Deshalb engagieren ehrgeizige Landwirte inzwischen immer häufiger Cowfitter wie Hinrich Henke.

„Bestimmte Kriterien haben allgemeine Gültigkeit“, erklärt Markus Mock. „Mit 40 Prozent wird das Euter bei der Einstufung am höchsten gewichtet.“ In einem Punktesystem schlagen die Beine mit 25 Prozent, der Körper- und Knochenbau mit 20 Prozent und der Milchtyp mit 15 Prozent zu Buche.

Kuhfriseur zu sein ist für Henke nicht nur Beruf, sondern Berufung: „Als ich mit dem Abitur fertig war, bin ich nach Berlin gegangen, um dort Landwirtschaft zu studieren. Dabei habe ich gemerkt, dass ich ein reiner ‚Kuhmann‘ bin: Andere Dinge wie Feldwirtschaft oder Geflügelhaltung machten mir überhaupt keinen Spaß, und so habe ich dann schon zu Studienzeiten angefangen, als Cowfitter zu arbeiten und bin mit großer Freude dabei geblieben“, erzählt Henke. „Ich denke, am meisten zählt dabei, dass man sich für die Tiere interessiert. Das ist etwas, was man nicht erlernen kann.“ Branchenfremden mag der Beruf exotisch erscheinen, zumal es bundesweit nur etwa zehn Cowfitter gibt. „In den USA und in Kanada ist das jedoch ein normaler Job“, meint Henke, der seit 15 Jahren Kühe für wichtige Termine herrichtet. Dafür reist er quer durch Europa. „Mir gefällt vor allem, dass man viel herumkommt, und ich habe es dabei mit interessanten Menschen zu tun“, sagt Henke.       Corinna Weinert

Foto: Mit Geschick und Einfühlungsvermögen: Kuhfriseur bei der Arbeit


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