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19.06.10 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-10 vom 19. Juni 2010

Reichsparteitag / Wie sich die Geschichte reimt, warum Diktatur doch noch eine Chance hat, und worüber Dr. Goebbels im Jenseits lacht
Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich“, hat der US-Schriftsteller Mark Twain einst herausgefunden. Ein kluger Spruch, der zum Auftakt der WM eine lautstarke Bestätigung erfuhr. Der „Reim“ geht so: Wer vor 70 Jahren Witzeleien über das NS-Regime öffentlich zum Besten gab, der musste damit rechnen, von bigotten Denunzianten als „Feind der nationalsozialistischen Bewegung“ angeprangert zu werden. Wer heute die kritischen Witzeleien von damals zitiert, muss damit rechnen, von bigotten Denunzianten unserer Tage als „Verharmloser des NS-Regimes“ angeprangert zu werden.

So ging es ZDF-Moderatorin Katrin Müller-Hohenstein mit ihrem Spruch von Miroslaw Kloses „innerem Reichsparteitag“. „Reich“ hatte bis zur Gründung der Bundesrepublik kaum einen anderen Klang als heute „Bund“, und stand damit allem voran, was irgendwie regierungsamtlich war. Damit ließ sich trefflich wortspielen: Wer beispielsweise „Reichskristallnacht“ sagte, verneinte damit die Lüge des Dr. Goebbels, dass der Exzess gegen Juden im November 1938 eine „spontane“ Eruption des Volkes gewesen sei. „Reichskristallnacht“ benannte bewusst zynisch, was da wirklich abgelaufen ist: eine von oben streng orchestrierte Bestialität des Regimes.

Wer das heute noch weiß, der ist nach Meinung der Empörten höchst verdächtig. Vor einiger Zeit ist „Reichskristallnacht“ daher auf dem Index der „Verharmlosungen“ gelandet (worüber Goebbels in teuflisches Lachen ausbrechen dürfte). Wie der „innere Reichsparteitag“, mit dem kühle Köpfe die bombastischen NS-Inszenierungen konterten.

Im Internet kursiert ein vorgefertigter Protestbrief ans ZDF, den der schreibfaule Feierabenddenunziant nur noch zu unterzeichnen  braucht. Das Ding gehört gerahmt und für alle Zeiten aufbewahrt, denn so viel schäumenden Schwachsinn kriegt man selbst in unseren Tagen selten geboten: Müller-Hohenstein habe mit ihrem „menschenverachtenden Spruch“, der „spaltet und diskriminiert“ und „fast eine Verherrlichung des Nationalsozialismus“ darstelle, einen „Zusammenhang Kloses und der deutschen Nationalmannschaft, der WM 2010 mit dem Nationalsozialismus“ hergestellt. Das Formschreiben gipfelt in holprigem Pathos: „Ich fordere Sie und den (sic!) ZDF deshalb, auch im Namen aller weiteren international gesinnten Fußball-Zuschauerinnen und Zuschauer auf, sich von diesem Spruch und dem Nationalsozialismus zu distanzieren.“

Hitler und Stalin sind tot, Ul­bricht ist dahin und Honecker lebt auch nicht mehr. Doch die Freunde von Gewaltherrschaft können neue Hoffnung schöpfen: Solange es Leute gibt, die solche Briefe verfassen, hat Diktatur noch eine Chance! Die künftigen Büttel üben schon.

Durch die WM geraten die Krisenherde der Welt für ein paar Wochen aus dem Blickfeld, wie etwa der Nahe Osten, wo sich etwas zusammenbraut. Vielen ist erst nach den Vorfällen vor der Küste von Gaza bewusst geworden, wie weit sich die Türkei schon in islamistische Gefilde bewegt hat. Jetzt wissen es alle, was einigen gar nicht gelegen kommt. Washington ist stinksauer über die plötzliche Klarheit, mit der die islamistische Schlagseite Ankaras über Nacht ins weltweite, vor allem europäische Bewusstsein schoss.

Seit Jahr und Tag sind die USA nämlich darauf aus, dass die EU die Türkei endlich aufnimmt: 75 Millionen orientalisch geprägte Muslime in der EU, mit chronisch empörten Politikern und manisch nationalistischen Medien, die das Volk aufpeitschen – das würde die europäische Konkurrenz auf immer lähmen, so die Hoffnung im Weißen Haus. Damit das gelingt, musste jedoch dafür gesorgt werden, dass der Beitritt unter Dach und Fach ist, bevor die europäische Öffentlichkeit begreift, was auf sie zukäme. Man kann den Plan als gescheitert betrachten, seitdem der türkische Premier Erdogan öffentlich mit Irans Machthabern kuschelt und so die Katze vorzeitig aus dem Sack gelassen hat.

US-Verteidigungsminister Robert Gates ist deshalb bleich vor Wut und will es den Europäern nun wenigstens propagandistisch heimzahlen: Die Europäer seien schuld an den islamistischen Abwegen der Türkei, weil sie den Türken ihre Union und ihre Geldbörsen nicht geöffnet hätten. Nur deshalb suchten die sich neue Freunde in der Schmuddelecke. Italiens Außenminister Franco Frattini tutet ins gleiche Horn und will die Beitrittsverhandlungen nun sofort beschleunigen, bevor die Europäer noch mehr herauskriegen. Was den genau treibt, ist vor dem Hintergrund des komplizierten Beziehungsgeflechts in der italienischen Politik kaum auszumachen.

Die deutsche Kanzlerin hat sich in der Tür­keifrage auf ihre ureigenste Technik verlegt: Die Beitrittsbefürworter sollen sich in einem monotonen Schwall allgemeingehalter Floskeln aus Berlin langsam und qualvoll totlaufen. Leider geht Merkel nicht nur die Türkeifrage mit dieser Taktik an. Auch ihre Koalitionsfreunde daheim haben immer dringender den Eindruck, durch eine endlose Wüste zu marschieren auf der Suche nach dem Standpunkt ihrer Regierungschefin.

Die Opposition ist glücklich. Nur für die Kameras wischt sich Sigmar Gabriel die Freudentränen aus dem Gesicht und bietet Schwarz-Gelb hämisch seine Hilfe an. Schlimmer konnte es für Merkel und Westerwelle kaum kommen. Dass es der Opposition so gut geht, liegt daran, dass sie die Opposition ist. Wäre sie an der Regierung, stünde sie mindestens so hilflos da wie die schwarz-gelben Kesselflicker. Woran wir das erkennen? Zu den Sparbeschlüssen fiel den Roten und Grünen nicht mehr ein als die alte Leier von der „Umverteilung von unten nach oben“ – also gar nichts.

Mit dem Sozialneidgedröhn sind wir zurückgekehrt ins Deutschland jener faden Talk­showmenüs, wo dem TV-Konsumenten immer nur zwei Gänge serviert werden: Börsenmillionär im Champagnerglas und Hartz-IV-Empfänger auf Knäckebrot. Die Mittelschicht taucht da höchstens mal ganz hinten am Tellerrand auf, weil man die längst nicht so lecker als Aufreger drapieren kann. Doch das Oben-Unten-Menü hängt uns meterweit zum Halse heraus. Wir erkennen den filzigen Geschmack der künstlichen Aromastoffe aus dem Demagogenlabor und möchten speien. Sind wir froh, dass jetzt WM ist. Da haben wir wenigstens eine Alternative.

Doch irgendwas vermissen wir diesmal. Was bloß? Klar, die Spiele sind nicht in Deutschland, das nimmt der Party ein wenig Schub. Aber das ist es nicht. Sondern vielmehr: Wo sind die Bedenkenträger, die uns zwischen den Reichsparteitagen vor nationalem Überschwang warnen? Claudia Roth, warum sagen Sie nichts? Gut, da sind wir wohl selber schuld. Wir haben vor vier Jahren allzu laut über Roths hilfloses Gestammel gelacht, da hat sie der Mut verlassen.

Einer jedoch hält unverdrossen durch: NRW-Innenminister Ingo Wolf hat seinen Polizisten verboten, zur Feier der WM kleine deutsche Fähnchen an ihre Peterwagen zu heften. Fans anderer Nationen könnten, so der FDP-Politiker, die Dinger als „Provokation“ empfinden. Die deutsche Fahne in Deutschland auf deutschen Streifenwagen, das „spaltet und diskriminiert“, würden die Reichsparteitagsbriefschreiber vermutlich anfügen.

Dass solche Verbote in anderen Ländern nur Zorn oder Heiterkeit auslösen würden, ficht den Minister bestimmt nicht an. Er würde einwenden, dass wir vor dem Hintergrund unserer Geschichte ... den Rest kennen Sie auswendig. Womit sie wieder da wäre, die sich ewig reimende Geschichte: Schwarz-Rot-Gold, in der NS-Zeit abgeschafft und verpönt, sollte man wegen der NS-Geschichte heute als potenzielle nationalistische „Provokation“ nur sparsam verwenden. Noch ein später Sieg des Dr. G. – über die antideutsche Bande sozusagen.


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