18.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
26.06.10 / Die falschen Opfer / Torgau: Mit gezielten Kampagnen soll das Gedenken an rote Untaten behindert werden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-10 vom 26. Juni 2010

Die falschen Opfer
Torgau: Mit gezielten Kampagnen soll das Gedenken an rote Untaten behindert werden

Hunderten von Insassen des Sowjetlagers Torgau rettete der Mediziner Friedrich Timm zwischen 1947 und 1955 das Leben. Nun fordert ein Verein, dass der „Engel von Torgau“ von einer Gedenktafel entfernt wird, weil er ein „NS-Täter“ gewesen sei.

In Torgau an der Elbe wurde Geschichte geschrieben: Am 25. April 1945 trafen Rote Armee und US-Truppen hier erstmals aufeinander. Zahlungskräftige US-Veteranen füllen an den Jahrestagen die Hotels des sonst stillen 20000-Einwohner Städtchens – gut 40 Kilometer vom nächsten Autobahnanschluss entfernt. Die örtlichen Autoritäten – an der Spitze die von der SPD gestellte Bürgermeisterin – feiern dieses Ereignis und versuchen, es zur Touristenattraktion auszuschmücken. Widerspruch dagegen aus dem bürgerlichen Lager ist kaum vernehmbar. Ein CDU-Mitglied, das nicht genannt werden will, bemängelt: „Franzosen kämen nicht auf die Idee, die Schlacht von Waterloo oder den Wiener Kongress von 1815 zu feiern, wo das Ende der französischen Vorherrschaft in Europa eingeläutet wurde!“

Wo staatlich verordneter Antifaschismus zelebriert wird, da ist in Sachsen die NPD nicht weit. Sie demonstrierte gegen den „Elbe Day“ mit mehreren Hundert Teilnehmern. DDR-Nostalgiker haben sich dagegen unlängst beschwert, dass die Torgauer „Straße der Opfer des Faschismus“ wieder Bahnhofstraße heiße.

Dabei hat Torgau keinen Mangel an einschlägigen Gedenkorten, die meist noch aus der DDR stammen. Es gibt einen Gedenkstein für die erfolgreichste Spionageorganisation des Zweiten Weltkriegs, die „Rote Kapelle“, ein Denkmal zu Ehren der Helden der Roten Armee, ein Denkmal für die Opfer des Faschismus, ein Denkmal für das Zusammentreffen der US-Truppen mit der Roten Armee, einen Gedenkstein für hingerichtete Wehrmachtsdeserteure und eine Gedenktafel für einen kommunistischen Kreistagsabgeordneten, der 1935 Selbstmord verübt hat. Und dies ist nur eine Auswahl.

Als indes 2004 der frühere Stasibeauftragte Joachim Gauck eine Ausstellung über DDR-Unrecht in Torgau eröffnete, trat die „Bundesvereinigung der Opfer der Wehrmachtsjustiz“ und ihr Repräsentant, der heute fast 90-jährige Ludwig Baumann, auf den Plan: Nur 14 Verfolgtenporträts von NS-Opfern hätten 24 Verfolgtenporträts von Stalinismusopfern gegenüber gestanden, schimpfte Baumann.

Dieser Tage hat sich Baumanns Verein ein neues Ziel ausgeguckt. Der 1985 im Alter von 89 Jahren in Göttingen verstorbene Mediziner Friedrich Timm ist nunmehr Zielscheibe ihrer Angriffe. Timm war Lehrstuhlinhaber für gerichtliche Medizin an der Universität Jena – schon lange vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Der Mann saß ab 1947 im Sowjetlager Torgau – und überlebte. 1955 kam er frei, ging in den Westen und erhielt eine Gastprofessur an der Universität Göttingen. Was Baumann aufbringt: Timms Name ist an einer Gedenktafel zu Ehren der Torgauer Sowjetopfer vermerkt. Der Professor sei ein NS-Täter, behaupten Baumann und sein Verein nun. „Mich traf fast der Schlag – da stand die Gedenktafel für den NS-Täter Timm!“ ereiferte er sich. Timm sei Mitglied der NSDAP, des NS-Ärztebundes und des NS-Dozentenverbandes gewesen. Überdies habe er die Doktorarbeit eines SS-Mannes betreut. Über das zweifelhafte Zustandekommen der Doktorarbeit des SS-Mannes, zu der Zeit Lagerarzt in Buchenwald, wusste Timm Berichten zufolge wenig.

Die sowjetischen Besatzer fanden bei Timm jedenfalls keine Gründe, ihn als NS-Täter zu verurteilen. Nach kurzer Inhaftierung kam er frei. Was die Sowjets offenbar erst später feststellten: Der Mediziner gehörte 1943 zur internationalen Katyn-Kommission und 1944 zur Winniza-Kommission (letztere untersuchte den Mord an 2000 Juden, Polen und Ukrainern durch die Sowjets). Im Mai 1947 wurde er daher erneut verhaftet und wegen „Verleumdung der Sowjetunion“ verurteilt. Timm rettete während seiner Haftzeit Hunderte von Menschenleben, weswegen ihm der Beiname „Engel von Torgau“ verliehen wurde.

Das Gesetz über die Stiftung Sächsische Gedenkstätten kennt indes nur Opfer von politischer Gewaltherrschaft und Widerstand gegen Diktaturen, egal ob rote oder braune. Das missfällt der Linkspartei, die im Mai 2010 im sächsischen Landtag eine Änderung des Gedenkstättengesetzes verlangte. Die sächsische CDU „sperre“ sich jedoch noch gegen eine derartige Änderung, bemängelten die Postkommunisten.

In Torgau harrt noch ein anderes Stück unrühmlicher DDR-Historie seiner angemessenen Aufarbeitung. Zwischen 1964 und 1989 gab es dort einen geschlossenen Jugendwerkhof. Diesem finsteren Teil der eigenen Vergangenheit hat die Stadt nach Auffassung von Kritikern bislang zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Schon kleinste Abweichungen und Auffälligkeiten reichten bis 1989, um Kinder und Jugendliche in den berüchtigten Jugendwerkhof zu sperren, wo sie zum „sozialistischen“ Menschen erzogen werden sollten. Jugendliche, mit denen andere Jugendwerkhöfe Disziplinschwierigkeiten hatten, konnten ebenfalls nach Torgau überwiesen werden. Der Hof war eine Strafanstalt, in der sie mittels Gewalt, Schikanen und Demütigungen gebrochen werden sollten. Ehemalige Insassen der Einrichtung sind heute als Opfer politischer Verfolgung anerkannt, während der Ort ihres Schreckens bis heute ein erinnerungspolitisches Schattendasein fristet.            Theo Maass


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren