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03.07.10 / Verschmähte Volksparteien / Patzelt: »Verfallsgeschichte« der Großparteien ist eine Normalisierung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-10 vom 03. Juli 2010

Verschmähte Volksparteien
Patzelt: »Verfallsgeschichte« der Großparteien ist eine Normalisierung

Professor Werner Patzelt, Politikwissenschaftler an der TU Dresden, erklärt im Gespräch mit Rebecca Bellano, warum die Volksparteien immer weniger Menschen an sich binden können.

PAZ: In den letzten Tagen wurden die aktuellen Mitgliederzahlen der Parteien veröffentlicht. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Gründe für den Schwund bei CDU und SPD?

Patzelt: Wir messen die Mitgliederzahlen der Parteien immer an deren Maximalpegel, der am Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre erreicht war. Das war die hohe Zeit bundesdeutscher Politisierung nach der Studentenrevolution, in der es einfach sexy war, sich politisch zu betätigen. Darin war diese Zeit freilich ein Ausnahmezustand unserer politischen Kultur. Hinter der „Verfallsgeschichte“ der letzten 35 Jahre steckt also eine Normalisierungsgeschichte. Die erklärt aber nicht alles. Vor allem nahm überhaupt der Reiz des aktiven Politikmachens drastisch ab, seit man akzeptierte, dass sich für lange Zeit nicht mehr großartige Gestaltungsprogramme durch Erhöhung der Staatsausgaben verfolgen lassen, sondern unpopuläres Sparen angesagt ist. Obendrein sorgte der Wertewandel dafür, dass viele vom politischen Engagement schon kurzfristig vorzeigbare Ergebnisse erwarten, sich aber nicht langjährig in einer vielleicht beim Kampf um die Regierungsmacht chancenlosen Mannschaft engagieren wollen. Das zieht politisch Interessierte in Bürgerinitiativen, lässt sie aber um die politischen Parteien einen Bogen machen.

PAZ: Bei Kommunalwahlen liegt die Wahlbeteiligung immer öfter unter 50 Prozent. Warum nehmen immer mehr Bürger ihr urdemokratisches Recht, dieses Land mit ihrer Stimme politisch mit zu gestalten, nicht mehr wahr?

Patzelt: Fragt man die Deutschen, ob oder wie sehr sie sich für Politik interessieren, dann schwankt der Wert der halbwegs politisch Interessierten seit Jahrzehnten um die 50 Prozent. Jede Wahlbeteiligung oberhalb von 50 Prozent verdankt sich offenbar dem Mobilisierungseffekt von Wahlkämpfen. Der ist um so größer, je mehr das überregionale Fernsehen und weithin bekannte Spitzenkandidaten im Wahlkampf eine Rolle spielen. Doch beides ist bei Kommunalwahlen nicht gegeben; also entfällt dort die auf Landes- und Bundesebene durchaus beobachtbare Mobilisierungswirkung von Wahlkämpfen. Obendrein halten viele die Kommunalpolitik für viel weniger wichtig als die Landes- oder Bundespolitik, so dass es auch weniger Anreize gibt, sich mit ihr näher zu befassen. Das aber führt angesichts des geringen Stellenwerts der Kommunalpolitik im Fernsehen leicht zum Gefühl, eigentlich gar keine begründete Entscheidung treffen zu können. Und wenn das Kommunalwahlrecht, wie in Deutschland durch Kumulieren und Panaschieren üblich, in einer solchen Lage sogar besonders differenzierte Entscheidungen erlaubt, dann schreckt die Verbindung aller Effekte leicht vom Lottospielen in der Wahlkabine ab.

PAZ: 75 Prozent der Bürgermeister in Thüringen gehören den Freien Wählern an oder sind Parteilose. In anderen Bundesländern sieht es ähnlich aus. Was können die Freien Wähler besser?

Patzelt: An sich können die Freien Wähler oder Parteilosen nichts besser als die politischen Parteien und die Parteimitglieder. Es ist einfach so, dass inzwischen viele Bürger zwar einen Bogen um die Parteien machen, doch sehr wohl am politischen Leben auf Gemeindeebene teilhaben wollen. Im Einzelfall mag hinzukommen, dass die örtlichen Parteien mitmachwillige Leute vergnatzt oder sich um eigentlich politisch tüchtige Mitbürger gar nicht bemüht haben – vielleicht auch deshalb, weil man keine Konkurrenz auf der eigenen Hofmark haben wollte. Das kann man einesteils als „Krise der Parteien“ deuten: Der Nachwuchs läuft an ihnen vorbei. Andernteils kann man das als Normalisierung ansehen, denn die Parteipolitisierung der kommunalen Ebene ist – in den alten Bundesländern – ja eine Erscheinung erst der letzten 30, 40 Jahre. Mir selbst scheint, dass wir es vor allem mit Veränderungen im Rekrutierungssystem der Politik zu tun haben. Wenn nämlich der Königsweg in die Politik nicht mehr die Mitgliedschaft in einer Partei ist, zugleich aber die Parteien unverzichtbare Trägerorganisationen der Demokratie bleiben, dann muss man es wohl möglich machen, einen außerhalb von Parteien unternommenen Einstieg in die Politik mit einer anschließenden Parteikarriere zu verbinden. Und nach dafür geeigneten Formen müssen wir eben suchen.


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