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10.07.10 / Afrika wird armregiert

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27-10 vom 10. Juli 2010

Gastkommentar
Afrika wird armregiert
von Volker Seitz

Zur Fußball-Weltmeisterschaft präsentierte sich Südafrika als der wahrgewordene Traum vieler Fernreisenden. Die Medien nahmen dieses Bild gerne auf und vergaßen schnell, dass der schwarze Kontinent bisher in ihrer Berichterstattung nur für Bilder von Bürgerkriegen und hungernden Kindern gut gewesen war. Doch diese Armen Afrikas gibt es immer noch und sie haben zwei gewichtige Hindernisse zu überwinden: untätige, korrupte Politiker und eine Entwicklungsindustrie, die weitgehend mit sich selbst beschäftigt ist. Sie haben keine Lobby, denn Popgrößen wie Bob Geldof, die bei unseren Politikern ein und aus gehen, vertreten nicht die Bedürftigen. Die kennen sie gar nicht.

Fest steht, der Unterschied zwischen arm und reich ist in den letzten Jahren größer statt kleiner geworden. Doch wir müssen wegkommen von der Vorstellung, dass es nur um Geld gehe. Es geht genauso darum, andere Lebenskulturen mit großem Respekt und Anerkennung wahrzunehmen. Wir haben in der Vergangenheit – und da schließe ich mich ein – immer gemeint, wir müssten die Afrikaner von unseren Wertvorstellungen überzeugen und Afrika brauche unsere Hilfe. Noch immer beziehen Tausende von Helfern ihre Daseinsberechtigung aus dieser Einstellung.

Eine Chance auf Veränderung wird es nur geben, wenn die Staaten zum Beispiel in Afrika eine vernünftige Agrarpolitik verfolgen. Die dortigen Eliten müssen sich mehr für die Entwicklung und Infrastruktur ländlicher Gebiete und damit der Ernährungssicherung interessieren. Andernfalls lässt sich das weder durch mehr Hilfe noch durch fairen Handel ausgleichen. Die unerhört tüchtigen Bauern gerade in den kargen Sahelländern werden sowohl von ihren Eliten als auch von der Entwick-lungspolitik wenig unterstützt. Dass es auch anders geht, hat die Führung in Malawi bewiesen. Innerhalb von vier Jahren wurde aus dem südafrikanischen Armenhaus ein Maisexporteur. Der Staatspräsident hatte sich nach einer Dürre im Jahre 2005 der Landwirtschaft angenommen und Saatgut sowie Dünger subventionieren lassen. Darüber hinaus wurden Bewässerungsanlagen und Silos für das Erntegut gebaut. Übrigens hat der indische Nobelpreisträger Amartya Sen nachgewiesen, dass es zu Hungerkatastrophen immer nur in Diktaturen kam.

Nach 50 Jahren Entwicklungshilfe geht es den meisten Afrikanern im Durchschnitt wirtschaftlich meist schlechter als kurz nach der Kolonialzeit. Die Teilhabe an den wirtschaftlichen Wachstumsprozessen bleibt den oberen Schichten der afrikanischen Gesellschaft vorbehalten. Unrechtsbewusstsein oder Selbstzweifel sind bei den Dauerpräsidenten höchst selten. Sie setzen fest, was Recht ist. Ihr Machtsystem beruht auf berechnender Verteilung von Gefälligkeiten und nicht auf gemeinschaftlichem Wohl. Welcher der führenden Politiker mit Ausnahme der Staatslenker in Botswana, Ruanda, Malawi, Mauritius oder Ghana hat eine Vorstellung von der Zukunft seines Landes und davon, wie er Wachstum und Jobs schaffen will?

Der sudanesische Geschäftsmann Mo Ibrahim hat 2007 – weil er die Führungskrise Afrikas als Wurzel allen Übels betrachtet – einen Preis geschaffen, der afrikanische Politiker belohnen soll, die mit demokratischem Denken und Handeln regiert haben und sich verfassungsmäßig von der Macht verabschieden. 2009 empfahl sich aus den 53 Staaten Afrikas kein Staatslenker für das Amt.

Jedenfalls sollten die westlichen Regierungen die Politik der geschlossenen Augen gegenüber den versorgten Staats- und Machtapparaten, die den Fortschritt durch interne Korruption teils bewusst verhindern, beenden. Wir wissen, dass die Gelder aus dem Norden oftmals Afrika nicht aus der Krise helfen, sondern den Status quo zementieren. Das inflationär gebrauchte Wort von der Nachhaltigkeit hat auch die Doppelbedeutung, dass nicht nur das „Projekt“ nachhaltig sein muss, sondern eben auch der Finanzier.

Die erheblichen Fortschritte in Ruanda werden nicht wegen, sondern trotz der Entwicklungshilfe gemacht. Ruanda ist sicher keine Demokratie im westlichen Sinne, aber ein Staat, der aufgrund von stabilen Rechtsregeln für die Wirtschaft und der Förderung der Frauen wesentlich besser vorankommt als die meisten anderen Staaten in Afrika. Wirtschafts- und Bildungsreformen haben die Armut erheblich abgebaut. In Ruanda wurde erkannt, dass es die einzige Möglichkeit ist, den Sprung aus der dritten Welt zu schaffen und das Leben der Menschen zu ändern. Nur durch Bildung, egal ob jemand ein Handwerk erlernt oder eine akademische Ausbildung absolviert, können sie es schaffen, sich etwas aufzubauen und ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

Die Lage in Afrika südlich der Sahara wird sich so lange nicht verbessern, wie die Afrikaner nicht nach der Erkenntnis handeln, dass allein sie für die Bewältigung ihrer Zukunft verantwortlich sind. Natürlich ist das schwer: Die jahrzehntelange Gewöhnung ist ein Teil der Mentalität geworden, „der Norden“ sei für die Entwicklung Afrikas mitzuständig. Die Staatschefs sind nicht auf Steuergelder angewiesen, um Staatsaufgaben zu finanzieren. Das bedeutet, dass sie aus der Verantwortung gegenüber ihrem Volk befreit sind. Auf Entwicklungshilfe wird daher häufig Anspruch erhoben. Warum auch nicht? Die Geber stehen Schlange, sie legen keinen Wert darauf, dass die Regierungen eigene Lösungen erarbeiten. Alle wollen ja helfen. So werden die Kräfte zur Selbsthilfe gelähmt.

Dieses Denken, dass andere anpacken sollen, mindert Afrikas Entwicklungschancen. Mit unseren gut gemeinten Gaben erreicht man keine Änderung gesellschaftlicher Grundprobleme. Der Motor eigenständiger Entwicklung und Selbsthilfe springt nicht an. Hilfen dürfen nur noch als Nothilfe im Falle etwa von Naturkatastrophe gegeben werden. Mittelfristig sollte Unterstützung an Erziehung, Bildung, Ausbildung, Aufbau demokratischer Institutionen geknüpft werden.

Wir müssen aufhören, Regime, die Menschenrechte missachten, zu hofieren. Ich weiß, es klingt nicht realistisch, aber wir sollten aufhören, Zweckfreundschaften mit Regimen zu pflegen, die eine Ausplünderungspolitik gegen ihr eigenes Volk betreiben. Für die Regierungen Afrikas ist die Flucht ihrer Landsleute nach Europa kein Alarmzeichen, sondern willkommen, da so die Arbeitslosigkeit und Unzufriedenheit nach Europa exportiert werden kann. Sie werden dadurch den Druck los. Das Schicksal ihrer eigenen Landsleute ist ihnen egal, und sie sehen mit großer Gelassenheit zu, wenn wieder einmal Hunderte Migranten in der Wüste verdursten oder auf ihrer Fahrt in schrottreifen Booten nach Italien oder Spanien ertrinken.

Die beste Hilfe für Afrika wäre, wenn man ihm die Freiheit lässt, die eigenen Probleme ohne übereifrige Geberorganisationen zu lösen. Die unverantwortlich agierenden Führungen müssen an ihre Verantwortung erinnert werden. Bisher haben sie es sich zu leicht gemacht, wenn sie meinen, die Hauptschuld für fehlgeschlagene Entwicklung an ausländische Geber „outsourcen“ zu können.

 

Volker Seitz, Jahrgang 1943, war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das Auswärtige Amt unter anderem in Brüssel, Niger, Guinea und Libyen tätig. Bis zu seiner Pensionierung 2008 war er nacheinander Botschafter in Benin, Armenien und Kamerun. Er ist Autor des Buches „Afrika wird armregiert oder Wie man Afrika wirklich helfen kann“.


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