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10.07.10 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27-10 vom 10. Juli 2010

Der Wochenrückblick mit Hans Heckel
Dann kam Lindner / Was Merkel in der Früh so alles hören muss, worüber Gabriel unbedingt reden will, und was Schäuble besser sein lässt

Aus dieser Kanzlerin werde einer schlau. Unnahbar sei sie, maulen Politiker und Berlin-Korrespondenten, irgendwie unterkühlt. Entlarvend oft wird Angela Merkel, die seit 20 Jahren nur noch Politik macht, an ihren beruflichen Ursprung als Physikerin erinnert: An nackten Zahlen und toten Materien geschult und eben nicht an Menschen.

Ja, das ist die eine Merkel. Doch dann gibt es da noch die ganz, ganz andere: Nachdem die deutsche Mannschaft quasi mit dem Anpfiff ihr erstes Tor gegen Argentinien geschossen hatte, da lachte und hopste die Kanzlerin und schlug vor Freude in die Hände wie das Rotkäppchen, das nach tagelanger Wanderung dem dunklen Tann entronnen ist und endlich eine Lichtung gefunden hat. Schade nur, dass sie nicht im deutschen Fanblock saß, sondern neben dem dicken Zuma, der wie eine schlecht gelaunte Buddhastatue regungslos sitzenblieb.

Es war auch wirklich sehr finster in Berlin, kurz vor Merkels Abreise nach Afrika. Die Wölfe hätten sie fast gekriegt. Bis auf vier von der FDP hat sich leider keiner von den Beißern zu erkennen gegeben. Aus dem Dunkel der geheimen Wahl des Bundespräsidenten schnappten sie nach der Kanzlerin, die übel gezaust aus dem Dickicht von Rache und Missgunst hervorkroch.

Ihrem Vize erging es nicht besser. Guido Westerwelles Gesicht hat streckenweise die Farbe einer vergilbten Rupfentapete angenommen. Ein verantwortungsbewusster Arbeitgeber würde den Mitarbeiter, der ihm mit diesem Teint unter die Augen tritt, umgehend in Urlaub schicken: „Bevor Sie uns hier noch umfallen!“

Ja, umfallen. Bei der FDP löst dieses Verb in etwa die gleichen verschwitzten Reaktionen aus wie das Wort „Stasi-Akte“ bei Vertretern der Linkspartei. Mit dem Unterschied, dass sich die Dunkelroten zu Recht erschrecken,  die Liberalen hingegen eigentlich nicht. Das Etikett „Umfaller“ verweist hauptsächlich auf das Jahr 1982. Doch damals ist die FDP wohl kaum „umgefallen“, viel eher hat sie die Bundesrepublik vor einer immer unberechenbareren SPD und die Politik von Kanzler Schmidt vor dessen eigener Partei gerettet. Aber die Chronisten wollten es partout anders sehen. Seitdem hat sich das Schimpfwort wie ätzender Vogeldreck ins Revers der Liberalen gefressen.

Deshalb kann es nur ein heftiger Schub von Masochismus gewesen sein, der den FDP-Generalsekretär Christian Lindner auf diese wirklich verheerende Idee brachte: Lindner meint, wir sollten unbedingt noch mal über die Absenkung der Mehrwertsteuer für Hotelübernachtungen reden. Ja immer doch!, johlte SPD-Chef Sigmar Gabriel vor Begeisterung auf: am besten jeden Tag und das noch vorm Frühstück. Die seit 1. Januar geltende Ermäßigung ist im Sprachgebrauch der naturgemäß bösartigen Opposition längst zum „Mövenpick-Bonus“ geronnen und als Auswurf ruchlosester Klientelpolitik enttarnt. Kurz: Sie gehört zu den giftigsten Pfeilen im Köcher der Regierungsgegner, und gerade die FDP sollte froh sein, dass darüber zuletzt nicht mehr so viel geredet wurde. Irgendwann nutzt sich sowas ja auch mal ab.

Dachten wir, bis Lindner kam. Und das ausgerechnet jetzt, wo traditionsgemäß die Themen placiert werden, mit denen wir die öde Weite des Sommerlochs bevölkern. Die SPD wird Sorge tragen, dass die Hotelsteuer zu einem der penetrantesten Sommerhits aufsteigt, die wegen der Nachrichtenarmut während der Parlamentspause wochenlang rauf- und runtergedudelt werden. Dabei werden Gabriels Mannen  nicht nur die Einführung der Ermäßigung geißeln, sondern dabei stets auch den Blick auf die Losung des Federviehs am FDP-Revers lenken, wo doch die Blaugelben – typisch! – schon wieder umgefallen sind.

Merkel traute ihren Sinnen nicht, als sie von Lindners Griff in den Gully hörte. Das darf doch nicht wahr sein! Hat der sie noch alle? Gerüchten zufolge hat die Kanzlerin in der Koalitionsrunde getobt und dem FDP-General einen ordentlichen Rüffel erteilt. „Ich dachte, wir wollten hier etwas ruhiger werden, und dann muss ich in der Früh so etwas hören“, wird die CDU-Chefin zitiert.

Guido Westerwelle sah nach dem Treffen noch ein bisschen vergilbter aus als sonst und versuchte, eine Brücke zu bauen, über die sein Generalsekretär zurückrobben kann in den Kreis der erwachsenen Politiker. Man solle das Thema zwar nicht jetzt diskutieren, das Vorhaben einer umfassenden Mehrwertsteuerreform aber auch nicht auf die lange Bank schieben.

Der Beschluss lautet nun, Finanzminister Wolfgang Schäuble solle bis September einen Vorschlag erarbeiten, wie man das Durcheinander bei der Verteilung von ermäßigter und normaler Mehrwertsteuer entrümpeln könne.

Ob der Herr Schäuble schon ein Hotel für den Sommerurlaub gebucht hat? Wenn ja, dann wird jetzt irgendwo ein Zimmer frei. Der Minister bleibt in Berlin, um ein Monster zu zähmen. Gedacht war die Ermäßigung des Mehrwertsteuersatzes mal dazu, Waren des Grundbedarfs günstig zu halten. Nach über 40 Jahren intensiver Wühlarbeit unterschiedlichster Lobbygruppen ist von diesem klugen Gedanken etwas übriggeblieben, was nur noch für die Witzbeilage taugt.

So wird dünnflüssiger Fruchtsaft mit vollen 19, dickflüssiger dagegen mit nur sieben Prozent besteuert, ebenso wie Marmelade. Auch Babynahrung kriegt die vollen 19 ab, Hundenahrung wiederum bloß sieben. Besonders gern baden die Spaßvögel der Republik in der Besteuerung von Holz: Auf Kaminholz, Sägespäne oder Pellets schlägt der Fiskus sieben Prozent auf, auf einen ganzen Holzstamm 19. Blödsinn, aber wenigstens Quatsch mit System, könnte man meinen, aber von wegen: Die sogenannten Holz­hackschnitzel werden nämlich auch mit 19 Prozent belegt, weil sie direkt aus dem Baumstamm geschlagen werden und daher „im Sinne der Verordnung“ als Baumstamm gelten. Aha, und woraus wird – im Sinne der Verordnung – das  Kaminholz geschlagen? Wachsen Sägespäne als Sägespäne im Wald oder werden Holzpellets von Weizenfeldern geerntet? Wolfgang Schäuble muss sein Amt wirklich lieben. Wenn nicht, wäre dies der Moment, um abzuhauen. Niemand könnte ihm ernsthaft übelnehmen, dass er vor diesem Tinnef Reißaus nimmt.

Allerdings bietet sich die Chance, unter dem Mäntelchen der „Privilegien-Abschaffung“ das Mehrwertsteuer-Aufkommen unterm Strich kräftig anzuheben. So etwas kommt keinem Finanzminister ungelegen. Zumal sich die Debatte wunderbar sozialneidisch aufladen ließe: Wussten Sie, dass auch Gänseleber und Froschschenkel zum ermäßigten Satz über den Tresen gehen, wohingegen bei Mineralwasser 19 Prozent fällig sind? Wenn wir das richtig breitgetreten haben, gehen alle Schleusen auf und die Milliarden neuer Steuereinnahmen fließen unter dem jauchzenden Beifall von uns „kleinen Leuten“. Erst wenn wir ausgejauchzt haben, werden wir feststellen, dass auch viele von den Dingen, die wir selber einkaufen, plötzlich teurer geworden sind, weil deren Ermäßigung mit der von Froschschenkeln gleich mal mitgestrichen wurde.

Allerdings sind in Berlin bereits die unvermeidlichen Miesmacher in Stellung gegangen, die behaupten, gar nichts werde sich ändern. Ein wenig sehen sie sich sogar in den jüngsten Äußerungen von Schäuble selbst bestätigt. Denn zu den großen Reformplänen sagte der Minister kaum mehr als: „Wir werden mal sehen.“ Ein schneidiger Anlauf zum epochalen Durchbruch wird anders besungen.

Noch heftiger zweifeln lässt uns das ewige „So kann es nicht weitergehen“, das alle Debatten zum Mehrwertsteuerchaos    überwölbt. Der erfahrene Politikbetrachter weiß: Wenn ständig hi­nausposaunt wird, dass dies oder das „so nicht weitergehen“ könne, dann geht es mit höchster Wahrscheinlichkeit noch viele, viele Jahre so weiter.


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