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10.07.10 / Wie es zu den Abstimmungen kam / Die ohne Volkbefragung erhaltenen Provinzen Posen und Westpreußen waren vielen Polen nicht genug

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27-10 vom 10. Juli 2010

Wie es zu den Abstimmungen kam
Die ohne Volkbefragung erhaltenen Provinzen Posen und Westpreußen waren vielen Polen nicht genug

Am 8. Januar 1918 schwärmte der US-amerikanische Präsident Woo­drow Wilson vor seinem Kongress von einem gerechten und dauerhaften Verständigungsfrieden auf der Basis des Selbstbestimmungsrechts der Völker. In diesem Zusammenhang stellte Wilson 14 Forderungen auf, die sogenannten 14 Punkte. Für die deutsch-polnische Grenze relevant war vor allem Punkt 13. Da heißt es: „Ein unabhängiger polnischer Staat sollte errichtet werden, der alle Gebiete einzubegreifen hätte, die von unbestritten polnischer Bevölkerung bewohnt sind; diesem Staat sollte ein freier und sicherer Zugang zum Meer geöffnet werden, und seine politische wie wirtschaftliche Unabhängigkeit sollte durch internationale Übereinkommen verbürgt werden.“ Der Kriegsgegner, in concreto das Deutsche Reich, erklärte sich im November 1918 zum Waffenstillstand auf der Basis dieser 14 Punkte bereit.

Ende 1918, zur Zeit der Waffenstillstandsverhandlungen, war Wilson keineswegs geneigt, den Polen etwa deutsches Reichsgebiet zuzugestehen. Um Polen einen freien Zugang zum Meere zu gewährleisten, wollte er die Weichsel neutralisieren und in Danzig einen polnischen Freihafen entstehen lassen. Aber die unermüdliche polnische Propaganda in Paris schaffte es bis zum Frieden von Versailles, die führenden Staatsmänner der Entente für die Abtretung der größten Teile der Provinzen Posen und Westpreußen sowie des Soldauer Gebietes im Süden des ostpreußischen Kreises Neidenburg zu gewinnen, und das ohne eine Volksabstimmung, wie es dem Selbstbestimmungsrecht der Völker entsprochen hätte.

Der Landhunger der polnischen Verantwortlichen war damit aber noch nicht gestillt. Sie forderten vom alten Ordensland neben Westpreußen auch Ermland und Masuren.

Im Falle Ermlands wurde argumentiert, es sei wie Westpreußen „erst“ durch die Polnischen Teilungen zu Preußen gekommen und die Ermländer hätten mit dem Katholizismus den Glauben der Polen. Völlig unter den Tisch fiel dabei, dass Polen vor den Teilungen des 18. Jahrhunderts auch große Gebiete unterworfen hatte, in denen seit Jahrhunderten Deutsch, Weißrussisch und Ukrainisch gesprochen wurde.

Im Falle Masurens, das weder katholisch war noch „erst“ in den Polnischen Teilungen zu Preußen gekommen war, wurde anders argumentiert. Die Masuren sprächen mit Masurisch einen polnischen Dialekt und seien durch Germanisierung ihrem Volkstum entfremdete Polen. Dagegen sprach indes die in nationalen Fragen tolerante Politik Preußens und der Umstand, dass seitens der Masuren solche Klagen gar nicht erhoben wurden.

Bereits 1872 war von Lemberg aus behauptet worden, die Masuren seien ein polnischer Volksstamm und folglich ihr Siedlungsgebiet polnisch. Damit begannen die eigentlichen Vorarbeiten der polnischen Politik auf Inbesitznahme ostpreußischen Landes. Dieses Ziel hat sie in den folgenden Jahrzehnten konsequent weiter verfolgt. Die Entwicklung dieses Verlangens nach fremdem Land führte dazu, dass bereits vor der Jahrhundertwende das Zentralkomitee zur Rettung Masurens durch Polen gegründet wurde. 1905 gründeten sie den nationalpolnischen Kampfverband „Strasch“. Sie scheuten sich aber auch nicht, einen evangelischen Volksbildungsverein zu gründen und suchten über polnische evangelische Geistliche die evangelischen Masuren anzusprechen. Mit großem finanziellen Aufwand wurde bis zum Ersten Weltkrieg im Bezirk Allenstein versucht, polnische Vereine und Genossenschaften zu bilden, ja sogar polnische Zeitungen in deutscher Sprache herauszugeben. Allerdings blieben diese Bemühungen unter den Masuren ohne Bedeutung und Wirkung, wie die Wahlergebnisse der Kaiserzeit zeigen.

Als sich im Ersten Weltkrieg, der von vielen polnischen Nationalisten als Selbstzerfleischung der als Besatzer empfundenen Teilungsmächte begrüßt wurde, die deutsche Niederlage abzeichnete, nutzte der Polenführer Albert/Wojciech Korfanty diese Lage, um am 25. August 1918 im deutschen Reichstag weitreichende polnische Ansprüche auf Ostdeutschland zu erheben. Am 1. November 1918 trat dann der polnische Staat mit der Forderung auf, das ostpreußische Masuren mit Ermland und Allenstein, „wenn es sein müsste, durch einen Volksentscheid Polen einzuverleiben“. Die widerstrebende Formulierung lässt schon erkennen, dass Warschau der wahre nationale Charakter des südlichen Ostpreußens durchaus bekannt war. Gleiches gilt für die Forderung, vor einer Volksbefragung die Abstimmungsgebiete erst einmal 150 Jahre lang (!) unter polnische Verwaltung zu stellen. Doch diese Winkelzüge wurden von der Entente abgewiesen. Statt eineinhalb Jahrhunderte fand bereits knapp zwei Jahre nach Kriegsende eine Volksabstimmung statt. Grundlage für die vor 90 Jahren durchgeführte Abstimmung war der Versailler Vertrag.         PAZ

 

CHRONIK

28. Juni 1919: Unterzeichnung des Versailler Friedensvertrages.

13. Oktober 1919: Der alliierte Kriegsrat beschließt, dass die alliierten Truppen im Abstimmungsgebiet Allenstein unter britischem und im Abstimmungsgebiet Marienwerder unter italienischem Kommando stehen sollen.

4. November 1919: Es wird beschlossen, dass die Macht, die den Oberbefehl im Abstimmungsgebiet stellt, auch den Vorsitzenden der Interalliierten Kommission stellen soll.

1. Februar 1920: Rückzug der deutschen Truppen aus dem Abstimmungsgebiet

14./17. Februar 1920: Die Interalliierten Kommissionen übernehmen in Allenstein und Marienwerder die Verwaltung.

21./28. Februar 1920: Die Kommissionen ordnen die völlige Gleichberechtigung von Deutsch und Polnisch an.

25. Februar 1920: Das britische Mitglied der Kommission in Marienwerder Henry Beaumont berichtet dem Foreign Office: „Die Haltung der Polen in den kürzlich besetzten Gebieten soll wahrscheinlich nicht die Sympathien ändern. Ich glaube, sie wird absichtlich eingenommen, um die Schwierigkeiten aufzuzeigen, denen die Einwohner ausgesetzt sein werden, wenn sie sich entscheiden deutsch zu bleiben.“

10. März 1920: Beaumont berichtet dem Foreign Office: „Unser Aufenthalt in diesem Bezirk war schon ausreichend, um alle Mitglieder dieser Kommission zu überzeugen, dass das Ergebnis der Abstimmung eine von vornherein feststehende Entscheidung ist und dass die überwältigende Mehrheit der Einwohner für Deutschland stimmen wird.“

27. März 1920: Die Kommission in Marienwerder ordnet an, dass jeder Landrat einen polnischen Beigeordneten erhält.

31. März 1920: Beaumont berichtet dem Foreign Office: „Seit unserer Ankunft hat sich uns die Überzeugung aufgedrängt, dass die Regelung der polnischen Frage in Paris zu dem Zwecke absichtlich ersonnen worden sein muss, falls sie nicht auf einer Überschätzung der polnischen Fähigkeiten und einer oberflächlichen Kenntnis der örtlichen Bedingungen beruht, um eine offene Wunde zwischen Polen und Deutschland zu lassen, welche durch die Zeit wahrscheinlich eher vergiftet, denn geheilt werden wird.“

29. April 1920: Beaumont schreibt Sir Eyre Crowe vom Foreign Office: „Meine Meinung ist nur, dass der Wunsch Frankreichs, einen starken Staat an Deutschlands Ostflanke zu schaffen, wahrscheinlich zu Schwierigkeiten führen soll. Natürlich mag es an meiner Unwissenheit liegen, aber ich kann mir kaum vorstellen, dass die Gründung dieses Frankenstein-Monsters anders erklärt werden kann. Wir kamen als Sympathisanten Polens her, aber seitdem wir die Dinge aus unmittelbarer Nähe gesehen haben, haben wir ohne Ausnahme – einschließlich der Franzosen – unsere Ansichten geändert. Sogar der preußische Militarismus war glimpflich, verglichen mit dem, was überall an unseren Grenzen vor sich geht. Unser Eindruck ist, dass eine Aggression von seiten Polens wahrscheinlicher als von seiten Deutschlands ist.“

25. Mai 1920: Die Botschafterkonferenz in Paris setzt den 11. Juli 1920 als Abstimmungstag fest.

25. Mai 1920: Der britische Vorsitzende der Kommission in Allenstein Sir Ernest Amelius Rennie berichtet dem Foreign Office: „Einer der Faktoren, welche die gegenwärtige polnische Obstruktion erklären mag, ist, dass die polnische Propaganda bis jetzt wenig Erfolg unter den Masuren gehabt hat, deren Zahl mit 200000 Menschen angegeben wird. Die polnische Kommission in Paris versuchte letztes Jahr, glaube ich, diese Menschen für sich in Anspruch zu nehmen, die tatsächlich slawischer Abstammung sind und eine polnische Mundart sprechen, aber welche Gebiete bewohnen, die – wie es scheint – niemals einen Teil des ehemaligen Königreichs Polen bildeten. Sie weigern sich jetzt offensichtlich, von polnischen Agenten gewonnen zu werden, und diese Weigerung ist ohne Zweifel für die Werber eine Enttäuschung.“

12./14. April 1920: Die Kommissionen erlassen in den wesentlichen Punkten inhaltlich übereinstimmende Verordnungen über Registrierung und Durchführung der Abstimmung.

23. April 1920: Die Kommission in Marienwerder erlässt eine Pass- und Visapflicht für die Ein- und Ausreise.

9. Juni 1920: Die Kommissionen verlautbaren, dass die Abstimmung am 11. Juli 1920 stattfinden wird.

1. Juli 1920: Die ersten auswärtigen Stimmberechtigten treffen in den Abstimmungsbieten ein. Im Abstimmungsgebiet sind 157074 auswärtige Stimmberechtigte registriert.

2. Juli 1920: Rennie berichtet dem Foreign Office: „Trotz des Protestes der Alliierten Verbindungskommission in Konitz ist mehr als 700 Personen in den ersten beiden Wählerzügen die Durchfahrt durch das polnische Gebiet verweigert worden. Als Grund für die Maßnahme wird von den polnischen Behörden angegeben, dass die Identität ungenügend ausgewiesen war, was angesichts dieser großen Menge von Reisenden unwahrscheinlich erscheint.“

Juli 1920: Der Seedienst Ostpreußen transportiert von Swinemünde beziehungsweise Stolpmünde nach Pillau 89637 Menschen zur Abstimmung und nach der Wahl 67636 zurück. Der Seedienst wurde erforderlich, weil die polnischen Behörden den Zugverkehr durch den Korridor stark behinderten oder sogar unterbanden. Dabei war die Bestimmung, dass auch vormalige Bewohner Ostpreußens abstimmen dürfen, ein Zugeständnis an die Polen gewesen, von deren Seite es geheißen hatte, dass unzählige polnische Ostpreußen von Preußen/Deutschland aus ihrer Heimat vertrieben worden wären.

5. Juli 1920: Rennie berichtet dem Foreign Office: „Die allgemeine Lage ist angesichts der Nähe des Abstimmungstages nicht unbefriedigend, und ernste Schwierigkeiten scheinen eher nach als vor dem 11. Juli wahrscheinlich. Die polnische Haltung ist jedoch provozierend, zum Beispiel sind Gerüchte verbreitet, dass unmittelbar nach der Abstimmung polnische Truppen in das Gebiet eindringen werden, während von der Behandlung der Wähler im polnischen Korridor eine Beförderung bitterer Gefühle erwartet wird.“

11. Juli 1920: Volksabstimmung in den Gebieten Allenstein und Marienwerder.

15. Juli 1920: Die polnische Regierung protestiert gegen die Abstimmung und lehnt die Anerkennung des Ergebnisses ab.

12. August 1920: Die Botschaf­terkonferenz in Paris entscheidet, dass die Dörfer Außendeich, Johannisdorf, Kleinfelde, Kramershof und Neu-Liebenau im Marienwerder Abstimmungsbiet an Polen abzutreten sind.

15. August 1920: Die Reichsregierung protestiert gegen die Entscheidung des Obersten Rates in Paris, wonach die polnische Grenze so am östlichen Ufer der Weichsel gezogen wird, dass Ostpreußen vom Strom abgeschnitten bleibt.

16. August 1920: Die Botschaf­terkonferenz in Paris beschließt die Abtretung der Dörfer Groschken, Lobenstein und Nappern im Allensteiner Abstimmungsgebiet an Polen.

19./20. August 1920: Als Vertreter Deutschlands und Preußens übernehmen Vizekanzler Rudolf Heinze und Innenminister Carl Severing die Abstimmungsgebiete.

31. Oktober 1920: Deutschland tritt Groschken, Lobenstein und Nappern an Polen ab.


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