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17.07.10 / »Wir sind dann mal weg« / Moderne Pilger auf dem Weg zu Gott – Die berühmteste Route führt zum Grab des Apostels Jakobus in Spanien

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-10 vom 17. Juli 2010

»Wir sind dann mal weg«
Moderne Pilger auf dem Weg zu Gott – Die berühmteste Route führt zum Grab des Apostels Jakobus in Spanien

Nicht erst seit dem Bestseller von Harpe Kerkeling „Ich bin dann mal weg“ steigt die Faszination des Pilgerns für den modernen Menschen. Jährlich begeben sich mehr als 100000 Pilger allein auf den Jakobsweg, der ins spanische Santiago de Compostela führt.

Im Kern gründet das Pilgern wohl in der Sehnsucht, dem Mysterium Gottes zu begegnen. Es ist die Attraktivität des „ganz anderen“, die Junge und Alte aus ihren festen Lebenszusammenhängen herauslockt. Der Pilgernde macht keine Wanderung, sondern will eine neue Welt finden. Im Orient gingen Menschen dafür buchstäblich eine Zeitlang in die Wüste; in unseren Gegenden macht man sich zu Fuß, per Fahrrad oder hoch zu Ross auf einen Pilgerweg.

Der Pilgernde ist dabei nicht auf einer vom Reisebüro organisierten Reise, sondern in einen Ausnahmezustand. Als Vagabund durchquert er oder sie Landschaften. Das Gepäck sollte möglichst leicht sein, das Schuhwerk gut und die Kameraden auf dem Weg verständnisvoll. Viel Geld braucht man nicht mitzunehmen, denn vieles ist auf dem Weg umsonst. Eine Übernachtung oder eine Mahlzeit wird dem Pilger oft genug geschenkt.

Wer allein auf dem berühmtesten dieser Wege, dem St. Jakobusweg in das spanische Santiago de Compostela, unterwegs ist, findet in der Regel schnell jemanden, mit dem man eine zeitlang zusammen wandern kann. Fast nie ist der Pilger allein auf dem Weg, der übrigens auch nicht das Ziel ist, wie ein Bonmot sagt. Pilgernde wandern nicht um des Wanderns willen, sondern um eine geistliche Erfahrung zu machen und ein bestimmtes Ziel, einen gleichsam heiligen Ort zu erreichen.

Im Judentum, im Christentum und im Islam kennt man die Wallfahrt als Reise zu einem Ort, an dem Gott besonders nah ist und wirkt. Von Anfang an waren für die Christen Jerusalem als Ort des Wirkens Jesu Christi sowie Rom als Ort der Märtyrer und der Verehrung der Heiligen die zwei wichtigsten Wallfahrtsziele. Und sie sind es bis heute. Im Mittelalter kamen Orte wie Santiago oder die Blutwunderkirche in Wilsnack (Brandenburg) dazu.

Wer sich von Deutschland aus auf den Weg machen will, findet mehrere Einstiegsmöglichkeiten auf den Jakobusweg. Pilger, die beispielsweise von Sachsen-Anhalt nach Santiago gehen wollen, beginnen in Stendal, Magdeburg oder Quedlinburg. Über Klostermannsfeld und Lutherstadt Eisleben geht es dann weiter nach Naumburg. Dort treffen die Pilger auf Gleichgesinnte, die vielleicht aus Schlesien kommen und auf der „Via Regia“ unterwegs sind, dem alten Königsweg von Ost nach West. Der Strom der Pilger auf deutschen oder französischen Wegen, die durch teilweise sehr schöne Landschaften führen, ist in der Regel überschaubar. Kleine Gruppen treffen sich abends in den Stationen, wo häufig eine kostenlose Übernachtung in einem Zelt, Gemeindehaus oder Hospiz möglich ist. Anders sieht es in Spanien aus. Hat man die regnerischen, oft in Wolken gehüllten Pyrenäen erst einmal mühevoll überquert, wandern die Pilger teilweise zu Hunderten auf den staubigen Wegen. Wer dann tagelang in praller Sonne und auf einem Schotterweg (neben einer Hauptverkehrsstraße!) gehen muss, weiß am Abend, was hinter ihm liegt.

Um solche Wege zu gehen, muss man schon eine Menge Sünden auf dem Buckel haben und abbüßen wollen, so ein geflügeltes und vielleicht trost-reiches Wort unter den Pilgern. Nachts drängeln sich die Pilger in einfachsten Unterkünften. Wer später als 15 Uhr ankommt, muss häufig unter  freiem Himmel übernachten. Das ist im Norden Spaniens, wo es gar nicht selten regnet, durchaus nicht angenehm. Verglichen allerdings mit den Strapazen, die Menschen früher auf sich nahmen, sind das Kleinigkeiten.

Schon seit dem 9. Jahrhundert pilgern Menschen aus allen Richtungen Europas zum „Ende der Welt“ in den Nordwesten Spaniens, dort wo das Grab des Apostels Jakobus verehrt wird. Jakobus war einer der wichtigsten Jünger Jesu und erlitt im Jahr 43/44 als erster der zwölf Apostel unter König Herodes den Märtyrertod. Seine ursprünglich im Heiligen Land verehrten Gebeine wurden wahrscheinlich im 8. Jahrhundert vor einer möglichen Zerstörung durch die muslimischen Eroberer in Sicherheit gebracht und fanden in der nordwestlichen Ecke der iberischen Halbinsel einen Zufluchtsort. Seit dem 9. Jahrhundert begannen Menschen, selbst aus dem fernen Skandinavien oder dem damaligen Konstantinopel (Istanbul), zum Grab des Apostels Jakobus in Santiago (span. San [t] Iago) zu pilgern.

Was erwartet den Pilger am Ziel? In einem Heiligen Jahr – das ist immer dann, wenn der Festtag des Heiligen Jakobus am 25. Juli auf einen Sonntag fällt – drängelt sich in Santiago alles, was in Spanien und Portugal Rang und Namen hat, das spanische Königspaar eingeschlossen. Das Portal der Kathedrale ist festlich beleuchtet und die Nacht von einem prächtigen Feuerwerk erhellt. In der riesigen Kathedrale, wo das Grab des Apostels Jakobus verehrt wird, feiern die ankommenden Pilger einen Gottesdienst nach dem anderen. Ein riesiges Weihrauchfass wird durch die ganze Kirche geschwenkt.

Wer sich dann in die lange Schlange der Pilger einreiht und nach vielen Monaten, Wochen und Tagen das Grab des Apostel aus der Nähe sieht und seine Sorgen ablegen darf, spürt fast automatisch die heilige Gegenwart des Höchsten und seine Anziehungskraft durch die Jahrhunderte.           Hinrich E. Bues


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