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17.07.10 / Eine erstaunliche Familie / Andrea Wüstner untersuchte das Eltern-Kind-Verhältnis der Manns

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-10 vom 17. Juli 2010

Eine erstaunliche Familie
Andrea Wüstner untersuchte das Eltern-Kind-Verhältnis der Manns

Mit einem forschenden Blick auf das Eltern-Kind-Verhältnis der Familie Mann hat die Literaturwissenschaftlerin Andrea Wüstner ein hochinteressantes Buch über die „amazing family“ des 1929 zum Nobelpreisträger gekürten Schriftstellers Thomas Mann veröffentlicht. Die Autorin, die sich auf eine Fülle von Zeitzeugnissen bezieht, ist erstmals ausschließlich der Frage nachgegangen, wie es um das Verhalten von Thomas (1875–1955) und Katia Mann (1883–1980) ihren sechs Kindern gegenüber bestellt war. Desgleichen hat sie sich mit der Prägung der Kinder und den lebenslangen Auswirkungen einer Erziehung befasst, die inmitten des großen Wohlstands und unter dem Einfluss der wechselnden Gouvernanten vor allem durch Mangel an emotionaler Zuwendung, Orientierung und Präsenz der Eltern geprägt war. Die Biographie der Mitglieder dieses unkonventionellen Clans betrifft den Zeitraum vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Tode der 96-jährigen Katia Mann im April 1980. „Ich war immer verärgert, wenn ich ein Mädchen bekam“ lautet der Titel, der bereits einen Hinweis auf das Wesen der Mutter dieser Schar von außergewöhnlich begabten Kindern beinhaltet.

In ihrem temporeichen Buch zeichnet die Autorin desgleichen ein recht negatives Bild des Schriftstellers als Vaterfigur, der erst im Alter in einem milderen Licht erscheint. So mussten sich die Kinder aus Rücksichtnahme auf ihren Vater fast immer ruhig verhalten. „Und fürchterlich prasselte das Donnerwetter auf sie nieder“, wenn sie ihn einmal gestört hatten. Zwar äußerte sich Thomas Mann selbstkritisch: „Jemand wie ich ‚sollte‘ selbstverständlich keine Kinder in die Welt setzen.“ Dennoch ließ er seine Jüngsten, den 1919 geborenen Michael, eine völlig unbegründete Ablehnung spüren, während die mittlere Tochter Monika von beiden Elternteilen als unbedarft und daher als aus der Art geschlagen eingestuft wurde. Indessen standen die beiden Ältesten, die 1905 geborenen Zwillinge Erika und Klaus Mann, unter dem Erwartungsdruck der Eltern, Außerordentliches zu leisten. Dem mittleren, Golo, wurde zu wenig Liebe zuteil, im Gegensatz zur jüngsten Schwester Elisabeth, dem Liebling des Vaters. „Golo nimmt das hin, zähneknirschend, devot und wird noch als alter Mann über seine Obrigkeitshörigkeit klagen“, kommentiert Andrea Wüstner.

1905 hatte der damals 30-jährige Autor der „Buddenbrooks“ in die hochangesehene und wohlhabende Familie Pringsheim aus München eingeheiratet. Katharinas (Katias) Eltern, Alfred und Hedwig Pringsheim, entstammten beide zum Protestantismus konvertierten jüdischen Familien. Wie ihre vier Brüder hatte auch sie ein Studium aufgenommen. Geheiratet habe sie überhaupt nur, weil sie Kinder wollte, bekannte Thomas Manns Witwe gegen Ende ihres Lebens. Doch sie war eine spitzzüngige, ja, eine intrigante Mutter. Indem „Mielein“ ihre Älteste, Erika, zu ihrer Vertrauten machte, ahmte sie ein ihr aus dem eigenen Elternhaus bekanntes Verhaltensmuster nach. Hat wohl auch ihre Mutter bei Gelegenheit mit ihr über die Brüder gelästert, fragt man sich erschüttert. Geduld hatte sie mit ihren Kindern und Enkeln kaum, sondern nur „mit ihrer genialen Ehehälfte“ (Wüstner). Als aktive Gegner des Nationalsozialismus warnten Klaus und Erika ihre Eltern 1933, die sich im Ausland aufhielten, vor einer

Rückkehr nach Deutschland. Man lebte fortan bis zum Kriegsende 1945 an verschiedenen Orten in Europa und den USA im Exil.

Alle sechs Geschwister Mann leisteten Außerordentliches: als Musiker, Journalisten, Schriftsteller und Wissenschaftler. Elisabeth, wie Monika als Pianistin ausgebildet, machte sich in den 60er Jahren als Seerechtlerin einen Namen. Klaus, Erika, Golo und Michael jedoch durchlebten Krisen, wurden drogen- und medikamentenabhängig. Klaus und wahrscheinlich auch Michael nahmen sich das Leben. Nach dem Tod ihres Gatten 1955 führte Katia Mann mit Golo, dem bedeutenden Historiker, „eine ganz nette Ehe“ in der Kilchberger Villa der Familie. Bis zu ihrem Tod im Jahre 1969 lebte auch Erika dort. „Immer wieder erinnern Szenen aus der Familie Mann archetypisch an Märchenbilder oder Filmszenen“, sagte einmal der Schriftsteller Peter Härtling. Dagmar Jestrzemski

Andrea Wüstner: „Ich war immer verärgert, wenn ich ein Mädchen bekam – Thomas und Katia Mann als Eltern“, Piper Verlag, München 2010, gebunden, 380 Seiten, 19,95 Euro


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