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24.07.10 / Schluss mit Steppen-Flair / »Europacity«: Gigantische Brache nördlich des Berliner Hauptbahnhofs wird endlich bebaut

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 29-10 vom 24. Juli 2010

Schluss mit Steppen-Flair
»Europacity«: Gigantische Brache nördlich des Berliner Hauptbahnhofs wird endlich bebaut

Nördlich des Berliner Hauptbahnhofs wird ein neues Viertel entstehen, das in seinen Dimensionen an den Potsdamer Platz erinnert. 2012 soll das erste Hochhaus fertig sein.

Mit dem Baubeginn des 17 Stock­werke hohen Total-Turms (frz.: „Tour Total“) sieht Berlin einem neuen Stadtviertel komplett vom Reißbrett entgegen. Die Stadt, die Deutsche Bahn und der französische Mineralölkonzern Total als Investor erhoffen sich mehr Anschluss für den nahen Hauptbahnhof, eine Belebung der zentral gelegenen Brache und viele positive Signale für die ganze Stadt. Doch, ob das Projekt aus den Fehlern früherer Großplanungen und Investoren-Verlockungen lernt, ist offen.

Allein auf weiter Flur steht Berlins Hauptbahnhof heute da. Gut 300000 Besucher täglich stolpern beim Verlassen des größten Eisenbahnkreuzes von Europa in Richtung Norden ins Leere: Eine riesige Freifläche erstreckt sich davor. Nach Streit mit dem Architekten und so manchem Mangel bei den Zufahrtswegen ist jetzt eine positive Veränderung in Sicht: die „Europacity“. So soll das Areal nördlich des Knotenpunkts künftig heißen.

Fünf Jahre passierte außer Planungen fast nichts; es sah so aus, als würde die Stadt nicht die Attraktivität ausstrahlen, Investoren zum Lückenschluss im Zentrum zu bewegen. Den Anstoß zur Bebauung gibt Total. Mit dem Turmbau fällt der Startschuss zur sehnsüchtig erwarteten Belebung des ganzen Viertels. Der zuständige Quartiersentwickler und größte Grundeigentümer Vivico Real Estate und In­vestor Total haben einen Vertrag unterzeichnet, der den Ölkonzern zum Mieter von 14000 Quadratmetern in dem neuen Turm macht.

Bis 2012 soll der Total-Turm im Norden des Bahnhofsvorplatzes stehen. Er wird 69 Meter hoch sein und bis zu 550 Mitarbeitern Platz bieten. Die Berliner Architekten Regine Leibinger und Frank Barkow liefern die Pläne für das Objekt, das bereits zu 100 Prozent vermietet ist.

Kritiker stoßen sich indes an der Höhe, befürchten ein neues Hochhausareal. Immerhin könnten die geplanten 90 Fahrradstellplätze am Turm auch dem Bahnhof von Nutzen sein.

Laut Vivico geht der Verkauf weiterer Grundstücke „sehr gut“. Die anderen Investoren nennt der Grundeigentümer jedoch nicht. Insgesamt umfassen die Planungen für das Quartier 400000 Quadratmeter Fläche entlang der Heidestraße. Viel Büro- und Gewerbeflächen haben die Macher im Auge. Am Berlin-Spandauer Schifffahrtskanal sind zudem knapp 2000 exklusive Wohnungen vorgesehen. Die Planer schenken dem Wohnen viel Aufmerksamkeit: Fußgängerfreundliche Straßen, Ruhe, öffentliche Plätze und Freiflächen. Da die Arbeiten an den Wohnungen frühestens 2011 beginnen, werden jedoch Bahn wie Geschäfte noch eine Weile auf neue Kunden warten.

Berlins Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) lobt dessen ungeachtet vorab das „eigene städtebauliche Erscheinungsbild“ des Viertels. Dies, obwohl das Aussehen des neuen Viertel noch weitgehend offen ist. Anfang 2008 hatten das Land Berlin, Vivico und die Deutsche Bahn einen städtebaulichen Wettbewerb ausgelobt. Im Juni dieses Jahres verabschiedete Berlin den Bebauungsplan für zunächst einmal 33500 Quadratmeter. Junge-Reyer schwärmt für das Projekt: „Die Europacity ist ein Standort für hochwertiges Wohnen und Arbeiten. Ich bin überzeugt: In unmittelbarer Nähe zu Regierungsviertel und Hauptbahnhof entsteht ein herausragendes Berliner Quartier, das Investoren anziehen wird.“

Inwieweit dieses in Berlin übliche Marketing der späteren Realität entspricht, ist offen. Ein Hotel in Bahnhofsnähe ist laut Vivico immerhin geplant. Die Bürgerbeteiligung für das gesamte Planungsgebiet der Europacity läuft indes noch. Mitte 2011 soll die Planungsgrundlage für das Viertel geschaffen sein. Ob das Gesamtkonzept ein lebendiges Viertel oder ein Büro­ghetto mit Politikerwohnungen in der Mitte wird, ist schwer zu sagen. Die Entwürfe für den „total wichtigen Turm“ lassen äußerlich wenig Neues erahnen. Dass einfallslose Architektur kein Hindernis für touristischen Erfolg sein muss, zeigt jedoch der Potsdamer Platz, das am ehesten vergleichbare Projekt der Vergangenheit. Erfolgsgaranten dort sind ein Großkino und zahlreiche Geschäfte – im Europacity-Quartier fehlt dafür noch die Grundlage. Planerisch setzte die Stadt damals in Gestalt von Stadtplaner Hans Stimmann Grenzen. Das ist Vergangenheit.

Der Potsdamer Platz hat allerdings die Erfahrung gerade, dass sich zwar Großinvestoren (damals Daimler und Sony) aus dem einst hoch gelobten Neubaugebiet wieder zurückzogen. Doch der Platz wurde dem zum Trotz ein Erfolg. Der Europacity könnte es ähnlich gehen. Zur Unterstützung will sich auch der Bund kräftig engagieren: Am Kapelle-Ufer entstehen im Laufe der kommenden Jahre ein Neubau des Bundesministeriums für Bildung und Forschung sowie ein „Haus der Zukunft“. Letzteres soll auf 4000 Quadratmetern Schaufenster für Wirtschaft und Wissenschaft sein, heißt es im Forschungsministerium.

Schon bald könnte ein Kunst-Campus, bestehend aus Hamburger Bahnhof/Museum für Gegenwart, den Rieck-Hallen mit der Friedrich Christian Flick Collection, den Galerien in der Halle am Wasser sowie weiteren öffentlichen Ausstellungsflächen und Ateliers, mit dem Bahnhofsgelände verbunden werden, hoffen die Planer. Sverre Gutschmidt


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