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24.07.10 / »Wie auf dem Jahrmarkt« / Kritik von allen Seiten an Versteigerung der AKW-Laufzeiten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 29-10 vom 24. Juli 2010

»Wie auf dem Jahrmarkt«
Kritik von allen Seiten an Versteigerung der AKW-Laufzeiten

Die Idee war nicht ganz neu: Mitte März hatten Mitarbeiter des Rheinisch-Westfälisches Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) angeregt, Laufzeitverlängerungen für Kernkraftwerke zu versteigern. Mitte Juli war der Gedanke auch bei Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) angekommen; er fand ihn „interessant“ und „einer ernsthaften Prüfung“ wert.

Die freilich dauerte nur wenige Stunden. Bundeskanzlerin Angela Merkel, als promovierte Physikerin nicht frei von Sachkenntnis, ließ verlauten, so etwas sei „mit mir nicht zu machen“. Prompt ruderte Röttgen zurück und bekundete, der „Gedanke mit Charme“ sei „in der Kürze der Zeit“ nicht gesetzlich umzusetzen.

Derweilen träumte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble schon von zusätzlichen Einnahmen in zweistelliger Milliardenhöhe. Einer seiner Amtsvorgänger, der Sozialdemokrat Hans Eichel, hatte vor zehn Jahren mit der Versteigerung der Frequenzen für den Mobilfunkstandard UMTS umgerechnet 50 Milliarden Euro in die Staatskasse fließen lassen. Kein Wunder, dass die Erinnerung an diesen Coup angesichts drohender Haushaltslöcher Begehrlichkeiten weckte.

Freilich war die Idee einer Laufzeitenversteigerung ebenso verlockend wie unausgegoren. Nicht nur rote und grüne Oppositionspolitiker, die ohnehin jede Verlängerung ablehnen, fanden auf Anhieb zahlreiche Schwachstellen. Die Umweltminister Tanja Gönner (CDU) aus Baden-Württemberg und Markus Söder (CSU) aus Bayern warnten vor einer „Jahrmarktveranstaltung“, die eher dazu diene, „von politisch notwendigen Entscheidungen ab-zulenken“, so CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich.

Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) zeigte sich ebenfalls skeptisch: Für das im Herbst fällige Energiekonzept der Bundesregierung komme eine Versteigerung „nicht in Frage“.

Beispielsweise war völlig un­klar, wer eigentlich bei einer solchen Auktion hätte mitbieten dürfen: nur die vier Stromkonzerne Vattenfall, RWE, Eon und EnBW als Betreiber der deutschen Kernkraftwerke oder auch andere Investoren. Offen blieb ferner, wer die Haftung für den Weiterbetrieb der AKW tragen sollte: der Ersteigerer zusätzlicher Strommengen oder der Kraftwerksbetreiber?

Schließlich bewegen sich auch die Hochrechnungen des zu erwartenden Versteigerungserlöses auf unsicherem Terrain. Das RWI schätzt, dass die Stromkonzerne aus einer Laufzeitverlängerung um acht Jahre 56 Milliarden Euro zusätzlichen Gewinn abschöpfen könnten. Wieviel davon zur Stabilisierung der Strompreise (auch für private Haushalte) sowie zur Förderung alternativer Energieträger dienen soll, ist politisch noch nicht entschieden. Klar ist inzwischen nur, dass auch „Vater Staat“ sich zum Zwecke der Etatsanierung aus diesem Topf bedienen will, bislang allerdings „nur“ mit jährlich 2,3 Milliarden Euro aus der geplanten Brennelementesteuer. Ob daraus jemals etwas wird, hängt davon, ob und wann die Bundesregierung ihrer Ankündigung einer Laufzeitverlängerung endlich Taten folgen lässt.             H.J.M.


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