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24.07.10 / Die ostpreußische Familie / Leser helfen Lesern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 29-10 vom 24. Juli 2010

Die ostpreußische Familie
Leser helfen Lesern
von Ruth Geede

Lewe Landslied,     

liebe Familienfreunde,

an diesen heißen Sommertagen geht bei uns Älteren, die eine unbeschwerte Kinderzeit im noch friedlichen Ostpreußen verleben durften, die Erinnerung zurück an sonnendurchglühte Strände und an nicht enden wollende Badefreuden in der See oder an einem See – davon hatten wir ja genug. Und an fröhliches Spiel im Schatten der Wälder, an deren Rändern die Himbeeren reiften und deren Lichtungen rot von Walderdbeeren waren und wo wir ständig schwarze Mäuler von den saftigen Blaubeeren hatten. Unsere Mütter hatten es nicht gerade leicht an diesen Hundstagen, sie mussten den Beerensegen zu Marmelade und Saft verarbeiten, und oft geschah das noch auf glühenden Kohleherden, eine schweißtreibende Arbeit – Tiefkühltruhe und Cerankochfeld hätten sie für eine Utopie gehalten. Da will ich schon ganz zufrieden sein, wenn sich auch – während ich diese Zeilen schreibe – das Außenthermometer an meinem Fenster bedrohlich der 40-Grad-Marke nähert. Aber eine Kindheit voller glutheißer Sommer und eiskalter Winter härtet anscheinend auch für ein sehr langes Leben ab.

„Barfootkes manke witte Sand …“, beschreibt die Dichterin Erminia von Olfers-Batocki in ihrem Gedicht „Wat es tohuus?“ den ostpreußischen Kindersommer. Aber an manchen Tagen wurden auch die braungebrannten Beine in weiße Strümpfe und die bloßen Füße – „Barfootkes“ – in schwarze Lackschuhe gezwängt, nämlich dann, wenn Kinderfest angesagt war. Das boten vor allem die Seebäder an, denn unsere Kurorte an der Samlandküste und auf den Nehrungen waren ja Familienbäder und herrliche Kinderparadiese, die nie vergessen wurden. Wie das Foto beweist, das uns Frau Ursula Ihme aus Stuttgart zugesandt hat. Denn als sie kürzlich in unserer Zeitung eine Aufnahme von Rauschen sah, tauchten bei ihr wieder Kindheitserinnerungen auf: „Große Ferien als Achtjährige mit Eltern und Bruder in Rauschen und dort an ein Kinderfest für Gäste und Ortsansässige. Da gibt es noch ein Foto vom Kinderfest im Jahre 1930 mit der Kinderdorfkapelle, das ich Ihnen schicke. Vielleicht erkennt sich noch jemand auf dem Bild und erinnert sich an die unbeschwerte Zeit damals?“ So schreibt Frau Ihme, und ich hoffe mit ihr, dass sich ein ehemaliges Rauschener Kind jetzt im späten Alter auf dem Bild wieder findet. Und sich an diese fröhliche Kinderkapelle erinnert, die mit Pauken und Trompeten aufzog, die Jungen im bunten Spielmannsanzug oder mit witte Büx, die Marjellchen mit Blumenkränzen im Haar. Vielen Dank, liebe Frau Ihme, für das hübsche Bild und auch an Ihre Erinnerungen an die ersten Werkwochen im Ostheim in Bad Pyrmont, die Sie damals leiteten, und an unsere gemeinsame Freundin Hannchen Wangerin.

Auch Frau Edeltraud Kötter fühlt sich in ihre Tilsiter Kindheit zurückversetzt, wenn sie das Foto betrachtet, das wir vor längerer Zeit als Erinnerungsfoto Nr. 1090 im Ostpreußenblatt brachten. Ob sie den Abdruck verwahrt hatte oder ihn erst jetzt in die Hände bekam, weiß ich nicht, jedenfalls übersandte sie ihn uns mit einigen Zeilen, die an Werner Stirnat gerichtet sind, der das Bild eingesandt hatte. Es zeigt eine Klasse der Volksschule Weinoten I bei Tilsit, aufgenommen etwa 1943/44. Herr Stirnat schrieb damals, dass er sich an einige Mitschüler noch erinnern könnte wie an Edith und Irma Krause, Ulla Budwig, Gerda Kropat, Frieda und Bruno Schlooß und Ruth Stirnat, sowie an Lehrer Stein und Lehrerin Göring. Ob er Erfolg gehabt hat, können wir nicht feststellen, aber jedenfalls bahnt sich jetzt einer an, denn Frau Kötter schreibt: „Lieber Werner, sende Dir herzliche Grüße aus Hagen/Westfalen. Da ich die Enkelin vom Schmied Julius Franz, Stadt­heide 77 bin, zum Milchholen waren wir bei Euch, die Mutter und kleine Schwester gerne in der Scheune beim Schaukeln. Nun bin ich mit Cousine Edith Mosler die Letzte der Familie aus Tilsit. Wohin es uns auch geführt hat: Edith Klapp. Am Atzelberg 48 in 60389 Frankfurt. Meine Anschrift: Edeltraud Kötter, Am Karweg 45 in 58135 Hagen, Telefon (02331) 402790.“ Ich hoffe, dass Herrn Werner Stirnat diese Nachricht – die ich im Wortlaut wiedergegeben habe, um Irrtümer zu vermeiden – erreicht, vielleicht aber auch weitere ehemalige Schülerinnen und Schüler der Volksschule Weinoten anregt, sich zu melden.

Natürlich war mein Kollege und – über viele Ecken – Verwandter Eberhard Jung überrascht, als er in der PAZ Folge 26 das Bild von den planschenden Kindern in einem Teich auf dem Schulgelände von Kiaulkehmen entdeckte – sollte er auch sein! Natürlich interessiert er sich für die Erinnerungen von Herrn Bruno Fietz und für das weitere Foto aus dessen Besitz von dem Schulhaus, in dem die Dichterin Frieda Jung aufwuchs, das aber leider zur Veröffentlichung nicht geeignet war, für ihn aber sehr wichtig ist. Im vergangenen Sommer ist der Urgroßneffe der Dichterin mit seiner Cousine auf Spurensuche in das Land „In der Morgensonne“ gereist, so hat Frieda Jung ihre Kindheitserinnerungen als Lehrerskind in Kiaulkehmen geschildert – das Buch hat noch heute seinen festen Platz im ostpreußischen Schrifttum. Es war auch für Eberhard Jung ein guter Wegweiser, wie er schreibt: „Mit einem Taxi sind wir von Insterburg nach Nemmersdorf (Majakowskoje) gefahren und haben dann anhand der Erzählungen von Frieda Jung den rund sechs Kilometer langen Weg nach Kiaulkehmen gesucht und gefunden. Aber sonst kaum etwas. Es gab an dem schmalen Feldweg jede Menge Obstbäume, Äpfel und Birnen, und auch jenseits des Wegrandes standen noch alte Apfelbäume, die seit Jahrzehnten nicht beschnitten waren, aber auf ehemalige Gärten hinwiesen. Es gab einen Teich in einer Senke und viele Backsteine, die auf frühere Behausungen deuteten. Wir glaubten, den richtigen Ort gefunden zu haben, der in der russischen Karte als Jungort in Klammern verzeichnet ist, das bedeutet: Er existiert nicht mehr.“ Weil es so gut wie keine sichtbaren Spuren mehr gibt, ist Eberhard Jung an denen in Wort und Bild hinterlassenen interessiert. Er bittet deshalb unsere Leserinnen und Leser, die in irgendeinem Kontakt zu der Dichterin standen, sie vielleicht als Kind gekannt haben und aus ihrem Umfeld in Buddern oder Insterburg stammen, sich mit ihm in Verbindung zu setzen. Der Kreis dürfte allerdings sehr begrenzt sein, denn Frieda Jung verstarb vor 80 Jahren in Insterburg. In manchen Familien könnten aber auch Erinnerungen an die Dichterin in Gesprächen oder Erzählungen weiter gegeben worden sein. „Es ist natürlich die letzte Möglichkeit, noch etwas zu erfahren“, meint der Urgroßneffe, und da hat er Recht. (Eberhard Jung, Deutschherrenstraße 131 in 53179 Bonn, Telefon 0228/330901.)

Eines der schönsten Kapitel aus Frieda Jungs „In der Morgensonne“ ist das von der „Schulvisitation“. Es bezeugt die Bemühungen des Dorfschullehrers, seinen Schutzbefohlenen ein tadelloses Deutsch beizubringen, was im vielsprachigen Ostpreußen keine leichte Aufgabe war. Aber bei der Prüfung durch den „alten Konster“, den hoch geachteten, aber ob seiner Kontrollfunktion auch gefürchteten Konsistorialrat, zeigten sich dann die Früchte dieser Arbeit. Frieda Jung beschreibt dies so: „Wir halten uns auch mündlich. Es kann selbst Rienzens Karl nicht passieren, dass Schneewittchen von dem Jäger in dem Wald geführt wird und dass er seine Schlorren unter der Bank stellt. Der alte Herr redet ihm freundlich zu, aber Karl hat seine begründete Ansicht und stellt die Schlorren unter die Bank“. Fazit des alten Konster: „Ja, die deutsche Sprache. Es gibt mir immer einen Stich durchs Herz, wenn ich sie so verhunzen höre. Kinder, daheim und wenn ihr unter euch seid, lieber plattdeutsch reden. Ein ehrliches Platt passt zu uns Ostpreußen. Aber wenn Hochdeutsch, dann kein verkrüppeltes.“ Daran hat Frieda Jung sich immer gehalten – und ich auch!

Diese Stelle aus dem Buch fiel mir ein, als ich die Jugenderinnerungen unseres Lesers Ulrich Czichy aus Burghausen las, die er mir zugesandt hat – herzlichen Dank dafür, lieber Landsmann, auch für die literarische „Kostprobe“: Ihre Gedichte, die von nie versiegender Heimatliebe sprechen. In Ihren Erinnerungen „Aus Masuren nach Pannaugen“ zeigen Sie die Schwierigkeiten auf, die sich aus der jahrhundertelangen Siedlungsgeschichte bedingten Vielsprachigkeit der Ostpreußen ergaben. Ulrich Czichy war knapp zehn Jahre alt, als seine Familie im Oktober 1935 von Wolfsheide, Kreis Johannisburg nach Pannaugen, Kreis Labiau zog. Der Grund war eine Vergrößerung des Truppenübungsplatzes Arys, die durch Einverleibung von Randdörfern mit ihren Flurstücken ermöglicht werden sollte. Dazu gehörte auch der Hof der Familie Czichy aus Wolfsheide, die schon seit Generationen dort lebte und fest verwurzelt war, wie die noch masurisch sprechenden Großeltern bewiesen. Der Hof gehörte jetzt Ulrichs Onkel Gustav Czichy, bei dem der Junge lebte, nachdem seine Mutter früh verstorben war. Nun hieß es also Abschied nehmen von dem angestammten Grundstück und Übersiedlung in das neu erworbene im nördlichen Ostpreußen. Ulrich Czichy schildert die Probleme, die sich arbeitsmäßig aus der Umstellung vom masurischen Sandboden auf den schweren Lehmboden ergaben, aber auch die sprachlichen Schwierigkeiten. „Vor allem war es die plattdeutsche Mundart, die wir nicht verstehen konnten. Noch eigenartiger kam es uns vor, dass die älteren Verwandten des Vorbesitzers Otto Gabriel Litauisch sprachen. Genauso muss es aber ihnen ergangen sein, wenn sich meine Großeltern in ihrer masurischen Mundart unterhielten. Mein neuer Klassenlehrer, Herr Hick­mann, war von meinem fehlerfreien Hochdeutsch sehr angetan und setzte mich neben die Försterstochter Christa Wicht. Er versprach sich wohl von uns beiden einen guten sprachlichen Einfluss auf die Klasse, aber die Rechnung ging nicht auf. Schon bald beherrschte ich die plattdeutsche Mundart und sprach in dieser mit meinen Mitschülern, ohne dass jedoch mein Hochdeutsch Schaden nahm.“ Na, da hätte doch der „alte Konster“ seine helle Freude gehabt!

Bunt wie ein ostpreußischer Flickenteppich ist eben unsere ostpreußische Sprache, und so manches Wort gibt Rätsel auf. So auch unserer Leserin Frau Michaela Lehmann, die sich mit folgender Frage an uns wendet: „Die Familie meiner bereits verstorbenen Mutter stammt aus Ostpreußen, aus dem Ermland. Häufig benutzen wir noch heute ostpreußische Ausdrücke. So sagte meine Mutter immer, wenn jemand besonders hässliche Kleidung trug: Das ist ja wie aus der Kuripest! So habe ich diesen Ausdruck neulich auch benutzt und wurde doch etwas verdutzt angesehen. Da fiel mir erst auf, dass ich eigentlich nicht genau weiß, was der Ausdruck bedeutet. In Büchern oder im Internet konnte ich die Bedeutung nicht herausfinden. Könnten Sie mir vielleicht weiterhelfen?“ Können wir, obgleich ich auch zuerst stutzte, das „i“ irritierte mich. War es ein Begriff aus der Zeit der Großen Pest, von der die Bewohner der Kurischen Nehrung besonders betroffen wurden? Mitnichten, denn es handelt sich in diesem Fall um die „Kurrepest“, und bedeutet soviel wie: vor langer, langer Zeit! Die „Kurr“ ist im ostpreußischen Sprachgebrauch eine Pute, der Kurrhahn der Puter. Die Geflügelpest hat früher (vor langer, langer Zeit) oft dem Federvieh den Garaus gemacht, besonders Puten sind empfindliche Tiere. Ich kannte in Verbindung mit Puten allerdings nur den Begriff „Daukurr“ – das war eine Pute, die nachts draußen geblieben war und am Morgen mit vom Tau durchweichten Gefieder einen jämmerlichen Anblick bot. In Bezug auf die Pest war mir aber der Ausdruck „aus der Kiekelpest“ geläufig. Kiekel – das klingt ja auch etwas netter, denn es handelt sich ja um die Keuchel, die kleinen Küken.

Unsere Leserin Frau Marianne Stullich sucht ein Buch über Königsberg, von dem aber weder Titel noch Autor bekannt sind. Es müssten mehrere Autoren sein, denn es handelt sich um eine Anthologie. Einer der Beiträge stammte von Robert Forstreuter – das ist der einzige konkrete Ansatzpunkt außer der Verlagsangabe „Gräfe & Unzer“. Wann es erschienen ist, wer der Herausgeber war – alles Fragezeichen. Ich konnte Frau Stullich auch nicht weiterhelfen, aber vielleicht besitzt noch jemand dieses wahrscheinlich in den 20er Jahren herausgegebene Buch und teilt dies der Suchenden mit. (Susanne Stullich, Bergmühle 81 in 45356 Essen.)

So, das ist heute leichte Sommerkost, ausgelöst durch liebevolle und heitere Kindheitserinnerungen. Ich hoffe, es hat Euch geschmeckt! Auch wenn Ihr im Augenblick keinen Appetit auf Putenfleisch haben solltet. Aber vielleicht auf „Bluubeere – wat Goods!“ – so riefen die berühmten Königsberger Handelsfrauen, wenn sie mit vollen Obst- und Gemüsekarren durch die Straßen zogen.

Eure Ruth Geede


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