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31.07.10 / Volkes Stimme – warum nicht? / Mit dem Hinweis auf Weimar und Hitler wird »mehr Demokratie« verhindert

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-10 vom 31. Juli 2010

Volkes Stimme – warum nicht?
Mit dem Hinweis auf Weimar und Hitler wird »mehr Demokratie« verhindert

„Mehr Demokratie wagen“ wollte Willy Brandt, als er 1969 Kanzler wurde. Bei der Ankündigung blieb es bis heute. Auf Bundesebene darf das Volk nach wie vor nicht mitregieren – aus Angst vor „Weimarer Verhältnissen“ oder aus Angst der Politiker vor dem Volk?

Ein Gespenst geht um in Deutschland. Es heißt Weimar und wird immer dann aus der Mottenkiste der Zeitgeschichte hervorgekramt, wenn das Volk sich in die Politik einmischen will. Wegen schlechter Erfahrungen zu Zeiten der Weimarer Republik, so wird seit 61 Jahren unverdrossen behauptet, hätten die „Väter des Grundgesetzes“ die als Provisorium angelegte Verfassung der jungen Bundesrepublik von plebiszitären Elementen freigehalten.

Die „junge“ Republik ist inzwischen stolze 61 Jahre alt, das Grundgesetz längst nicht mehr provisorisch. Doch nach wie vor darf das Volk sich nur in zwei eng umrissenen Ausnahmefällen in direkter Demokratie üben: Wenn die Einteilung der Bundesländer geändert (Art. 29) oder das Grundgesetz durch eine neue gesamtdeutsche Verfassung abgelöst werden sollte (Art. 146). Alle anderen bundespolitischen Entscheidungen kann das Volk nur indirekt beeinflussen – schließlich bestimmt es in Wahlen, wer in Bundestag und Bundesrat das Sagen hat.

Nach zwei spektakulären Volksentscheiden auf Länderebene – zum Nichtraucherschutz in Bayern und zur Schulstruktur in Hamburg – ist erneut die Diskussion über „mehr Demokratie“ auch auf Bundesebene entbrannt. Prominente Befürworter: die ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog und Richard von Weizsäcker, die Bundesverfassungsrichter Andreas Voßkuhle, Johannes Masing und Gertrude Lübbe-Wolff sowie der frühere BDI-Chef Hans-Olaf Henkel. Sie alle meinen, das deutsche Volk sei 65 Jahre nach Krieg und Nationalsozialismus hinreichend demokratisch gereift, um selbst über Fragen wie die Verlagerung nationaler Souveränitätsrechte auf die EU zu entscheiden.

Kritiker einer direkteren Demokratie hingegen fürchten, Demagogen könnten per Volksentscheid selbst für eine Aushöhlung unverzichtbarer Grundrechte Mehrheiten bekommen, im Extremfalle gar die in Art. 79,3 formulierte Ewigkeitsklausel für Art. 1 (Menschenwürde) und 20 (bundes-, rechts- und sozialstaatliche Strukturen) aushebeln.

Untermauert werden solche Bedenken durch den Hinweis, die Weimarer Republik sei auch an den plebiszitären Elementen in ihrer Verfassung gescheitert. Eine Behauptung, die durch jahrzehntelange gebetsmühlenartige Behauptung nicht wahrer wird: Tatsächlich gab es während der gesamten Weimarer Zeit nur drei Volksbegehren, von denen zwei mit dem Quorum von zehn Prozent der Wahlberechtigten zum Volksentscheid führten, 1925 zur „Enteignung der Fürstenvermögen“ (mit 32 Prozent abgelehnt) und 1929 „gegen die Versklavung des Deutschen Volkes“. Damit sollte der Young-Plan zu Fall gebracht werden, der Deutschland Kriegs-Reparationen von 112 Milliarden Reichsmark, zahlbar bis 1988, auferlegte. Doch trotz des national besetzten Themas, trotz intensivster Propaganda der NSDAP und massiver Unterstützung durch die Hugenberg-Presse kamen am Ende nur klägliche 13,8 Prozent Ja-Stimmen heraus.

Ebenso haltlos ist die These, Hitlers Machtergreifung sei plebiszitären Elementen der Weimarer Verfassung anzulasten. Denn die NSDAP war nicht durch Volksentscheid an die Macht gekommen, sondern durch Entscheidungen des Reichstags, der Regierung und des Reichspräsidenten. Wenn da wer versagt hatte, dann nicht das Volk, sondern die Volksvertreter. Mit nunmehr 61 Jahren sollte die Bundesrepublik Deutschland alt und reif genug sein, um aus dieser Erkenntnis die Konsequenz zu ziehen. Hans-Jürgen Mahlitz


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