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31.07.10 / Seniorenkost statt Babynahrung / Das japanische Volk altert und schrumpft rapide – 70 Prozent des Sozialetats für Senioren, vier Prozent für Kinder

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-10 vom 31. Juli 2010

Seniorenkost statt Babynahrung
Das japanische Volk altert und schrumpft rapide – 70 Prozent des Sozialetats für Senioren, vier Prozent für Kinder

Die Doppelbelastung der Frauen als Mütter und Beschäftigte zeigt in Japan dramatische Folgen für die demographische Entwicklung, denn junge Japanerinnen sind mit einer nur noch von Süd-Koreanerinnen übertroffenen Radikalität in den Gebärstreik getreten. So sank die Geburtenrate von 5,1 Kindern pro Frau (1925) auf 3,7 Geburten (1950). Die für die Reproduktion der Bevölkerung nötige Geburtenzahl von 2,1 wurde 1971 unterschritten. Danach ging sie weiter abwärts bis 1,25 (2005). 2007 gab es eine kurzfristige Erholung auf 1,37 Kinder. Doch auch ein niedliches kaiserliches Baby oder glückbringende Jahreshoroskope vermochten den langfristigen Trend bislang nicht aufzuhalten, geschweige denn umzukehren.

Noch vor einem Jahrzehnt war das 25. Lebensjahr das magische Alter für die Eheschließung der Frauen, auf das Eltern wie Arbeitgeber nachdrücklich hinwiesen. Wer den Termin verpasste, galt als schwer vermittelbare Jungfer. Heute sind 54 Prozent der Japanerinnen zwischen 25 und 29 unverheiratet. Zwischen 30 und 34 Jahren sind es 26 Prozent. Unter Studentinnen halten gerade einmal zwölf Prozent die Ehe noch für erstrebenswert. Bei den Männern sind es immerhin noch 30 Prozent. Statt sich mit Ehe-, Familien- und Berufspflichten abzumühen, scheint das von den Medien und der Konsumwerbung propagierte Single-Dasein für die meisten verlockender. Als „Moratoriums-Generation“ verschiebt man das eigenverantwortliche Erwachsenwerden tunlichst, lebt weiter bei den eigenen Eltern und hat das ganze Einkommen für Modeartikel, Schönheit, Dinieren, Reisen, Kultur und endloses Amüsement zur Verfügung. So war die Großgruppe der weiblichen Singles die einzige, die während der Deflationskrise von 1992 bis 2002 ihre Konsumausgaben steigerte, weiter überteuerte Luxus- und Designerartikel kaufte.

Bislang half die wachsende Lebenserwartung von inzwischen 85,1 Jahren für Frauen und 77,9 Jahren für Männer (sie soll sich bis 2045 auf eigentlich sehr erfreuliche 92,5 Jahre für Frauen und 83,7 Jahre für Männer steigern) die Bevölkerungszahl Japans bei 127 Millionen stabil zu halten. Doch dieser Trend ist offensichtlich nicht unendlich fortsetzbar, abgesehen davon, dass er die dramatische Überalterung des Landes noch verstärkt. Seit 2005 ist die Bevölkerung Japans mit minus 19000 pro Jahr auch absolut rückläufig. Bis 2030 wird die Einwohnerzahl nach mittleren Szenarien der Vereinten Nationen auf 121 Millionen und bis 2050 auf 109 Millionen sinken. Nur Russland wird nach jenen Prognosen einen noch drastischeren Absturz erleiden: Von derzeit 144 Millionen auf 119 Millionen (2030) und 101 Millionen (2050). In Japan wird der Anteil der über 65-Jährigen von 17,3 Prozent (2000) auf 35,7 Prozent (2050) steigen. In Deutschland zum Vergleich von 16,4 Prozent auf 31 Prozent im gleichen Zeitraum.

Woher aus einer überalterten, schrumpfenden Bevölkerung wirtschaftliche Wachstumsimpulse kommen sollen, bleibt schleierhaft. Man kann zwar Babynahrung zur Seniorenkost umetikettieren. Auch wird der Markt in den Segmenten Pharma, medizinische Hilfsmittel und Pflegedienste wachsen. Es werden bequemere Autos, Schuhe mit Klettverschluss, leichter bedienbare Elektronikprodukte, größere Druckbuchstaben, Fertigessen in immer kleineren und fettfreien Portionen und klassische Texti-lien als ewiger Freizeitlook angeboten werden. So werden jetzt schon in Japan für jene 25 Prozent, die über 65 Jahre alt sind und über genügend Zeit und 53 Prozent aller Guthaben verfügen, erfolgreich nachgebaute Nostalgiesportwagen wie der Nissan Fairlady verkauft. Als Club-Tourismus wird themenorientiertes Reisen (Religion, Malen) für Alte organisiert. Zwar werden Ein-Personen-Haushalte zunächst massiv zunehmen, doch langfristig werden gesamtgesellschaftliche Investitionen und Innovationen unweigerlich sinken. Das Kapital wird als Anleihevermögen ins Ausland strömen. Es wird, wie an Japans dramatisch fallender Sparquote ersichtlich ist, zudem bereits massiv entspart. Die physische und soziale Infrastruktur wird eines Tages „zurückgebaut“ werden. Statt Wohn- und Straßenbau haben dann Abbruchunternehmen Konjunktur.

Wer sich gegen die Umwelt versündigt, den bestraft gnadenlos die Natur. Eine Gesellschaft, die ihre Mütter schlecht behandelt, wird von der Demographie genauso abgestraft, und sei es um den Preis des nationalen Aussterbens. In Japan, wo 70 Prozent des Sozialhaushaltes im Interesse der überalterten Wählerschaft für die Seniorenfürsorge und nur vier Prozent für Kinderzulagen aufgewandt werden, waren bis 2009 ernsthafte politische Reaktionen auf die mittlerweile weitverbreitete Problemeinsicht nicht sichtbar, genauso wenig übrigens wie in ähnlich betroffenen Nachbarländern Ostasiens oder in Ost-, Mittel- und Südeuropa. Im Zuge der nötigen Haushaltskonsolidierung 2010 fand die Regierung Naoto Kans (DPJ) ein Wahlversprechen von 2009 besonders kürzenswert: die zugesagte Kindergelderhöhung. Albrecht Rothacher


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