23.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
31.07.10 / Der »italienische Bismarck« / Zwischen Cavour und dem Eisernen Kanzler gibt es bemerkenswerte Ähnlichkeiten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-10 vom 31. Juli 2010

Der »italienische Bismarck«
Zwischen Cavour und dem Eisernen Kanzler gibt es bemerkenswerte Ähnlichkeiten

Camillo Benso von Cavour und Otto von Bismarck waren beide Ministerpräsidenten. Beide dienten Herrschern, die weniger bedeutend waren als sie und die ihnen realtiv viel Gestaltungsfreiheit ließen. Beide machten ihre Staaten zu Kernstaaten eines von ihnen geschaffenen Nationalstaates. Beide machten ihren König zu dessen erstem Herrscher und wurden selber dessen erster Regierungschef. Und schließlich waren beide Realpolitiker.

Es soll Zeiten gegeben haben, da der aus dem Piemont stammende Politiker Camillo Benso Graf von Cavour dem deutschen Reichsgründer auch hierzulande an Bekanntheit weit überlegen gewesen ist. Bismarck, so wurde gesagt, sei der „deutsche Cavour“. Heute hingegen gibt es wenig Anlass, sich in Deutschland um die Bekanntheit Bismarcks zu sorgen, während Cavour allenfalls dem Italienreisenden durch die Vielzahl der dort nach ihm benannten Straßen und Plätze präsent ist.

Dabei steht das Werk Cavours hinsichtlich des historischen Ranges gleichberechtigt neben dem Bismarcks: Beide Staatsmänner führten im 19. Jahrhundert ihre vormals zersplitterte Nation zusammen, jeweils ausgehend von ihrem Staat und unter ihrem Monarchen. Der preußische König wurde Deutscher Kaiser, der König von Sardinien-Piemont König von Italien. Gilt die deutsche Reichsgründung von 1871 als das Werk Bismarcks, so ist der 1861 mit der Wahl Viktor Emanuels II. zum König von Italien entstandene Nationalstaat der Politik Cavours zu verdanken.

Spätestens im Zuge der französischen Revolution entstanden in dem seit langem aus kleineren Herrschaften bestehenden, oft dem Einfluss fremder Mächte unterworfenen Italien nationale Einheitsbestrebungen. Das unter dem Eroberer Napoleon I. entstandene „Regno d’Italia“ (Königreich Italien) hatte nur kurzzeitig Bestand. Bei der Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongress 1814/15 wurde Italien wieder als „geographischer Begriff“, um es mit dem Kongresspräsidenten Clemens von Metternich zu sagen, und nicht als Nation behandelt. Ähnlich wie Deutschland wurde Italien zwischen diversen Landesherren aufgeteilt. Während die deutschen Staaten jedoch wenigstens in der Regel Herrscherhäuser deutscher Herkunft und den „Deutschen Bund“ als einigendes Band hatten, war das auf dem Stiefel anders. Dort dominierten im Norden die Habsburger und im Süden die Bourbonen.

Das Königreich Sardinien-Piemont stellte hier mit seinem Herrscherhaus Savoyen eine Ausnahme dar. In der Hauptstadt Turin war am 10. August 1810 Camillo Benso Conte di Cavour geboren worden. Sein Vater sollte es hier später zum Polizeichef und Bürgermeister bringen. Camillo Cavour war eigentlich für eine Offizierslaufbahn vorgesehen, verließ aber bereits als 21-Jähriger die Armee. Er wirkte bei der Verwaltung der väterlichen Güter mit, beschäftigte sich aber vor allem mit historischen und ökonomischen Studien. Cavour entwickelte sich zu einem von liberalem Gedankengut geprägten, modernen Land-Unternehmer, der über Agrarreformen und Freihandel publizierte, sich aber auch um die Ausbildung seiner Leute sorgte.

Cavour konnte verfolgen, wie sich in ganz Italien der Wunsch nach einer Einigung bei gleichzeitiger Abschüttelung der Fremdherrschaft sowie Forderungen nach Verfassungen zeigten. Sichtbar wurden diese in einer Vielzahl von publizistischen Initiativen, vor allem aber durch Unruhen und Aufstände. Die Vorstellungen der vereinzelt agierenden Gruppierungen gingen jedoch weit auseinander. So waren die Ziele der radikalen Anhänger Giuseppe Mazzinis nur schwer in Einklang zu bringen mit den Vorstellungen der Gemäßigten, zu denen beispielsweise Vincenzo Gioberti zählte, dem ein geeinigtes Italien unter der Oberhoheit des Papstes vorschwebte.

Verschiedene italienische Monarchen sahen sich schließlich veranlasst, mehr Freiheiten und Rechte zu gewähren. So wurde in Sardinien-Piemont 1848 mit dem nach dem damaligen König Karl Albert benannten „Statuto Albertino“, eine nicht nur von Cavour vehement geforderte Verfassung erlassen. Bereits im Jahr zuvor war er als Mitbegründer der Zeitschrift „Il Risorgimento“ (Die Wiederauferstehung), die der ganzen Epoche (1815–1870) ihren Namen geben sollte, in die politische Diskussion eingetreten. Als Parlamentarier profilierte sich Cavour bei der Verteidigung der Pressefreiheit und beim Einsatz für die Abschaffung kirchlicher Privilegien. Er selbst verstand sich nicht als Revolutionär, sondern als zeitgemäßer Reformer. 1850 wurde er Minister für Landwirtschaft und Handel, 1852 Ministerpräsident. Unter ihm erfolgte eine massive wirtschaftliche Modernisierung des Landes. Ein Motiv mag es gewesen sein, Anschluss an andere europäische Mächte zu finden, vor allem aber stand für Cavour das Bestreben im Mittelpunkt, das Königreich Sardinien-Piemont in die Lage zu versetzen, sich an die Spitze des italienischen Eini­gungs­prozesses zu stellen.

Geschickt diplomatisch agierend, konnte Cavour den Ausgang des Krimkrieges (1853–1856), in den Piemont-Sardinien noch kurz vor Schluss auf Seiten der Sieger eingetreten war, in seinem Sinne nutzen. Den Franzosenkaiser Napoleon III. zog er auf seine Seite, so dass letztlich mit dessen Hilfe und dem auch Zweiter Italienischer Unabhängigkeitskrieg genannten Sardinischen Krieg (1859) eine deutliche Schwächung und schließlich eine Abschüttelung der österreichischen Herrschaft im nördlichen Teil des Stiefels gelang. Dem geschickten und nicht von sonderlich vielen Skrupeln bei seiner Machtpolitik geplagten Cavour gelang es, von der Befreiung Siziliens und Süditaliens von der Bourbonenherrschaft durch den legendären Giuseppe Garibaldi zu profitieren, diesen aber letztendlich politisch auszubooten. Der Zusammenschluss zu einem einigen Italien wurde durch Volksabstimmungen legitimiert.

Cavour wurde am 17. März 1861 der erste Ministerpräsident des Königreichs Italien, eines konstitutionellen Nationalstaates. Lediglich das bei Österreich verbliebene Venetien sowie Rom sollten erst später dazukommen. 1866 war Italien mit Preußen im Deutschen Krieg verbündet, nach dem preußischen Sieg bei Königgrätz musste Österreich Venetien abtreten. Wie vom zweiten profitierte das Königreich auch vom dritten deutschen Reichseinigungskrieg. 1870 nutzte es den Deutsch-Französischen Krieg, um Rom, das bis dahin unter französischem Schutz vom Papst beherrscht war, zu seiner Hauptstadt zu machen.

Cavour war es nicht vergönnt, die Vollendung der Einheit des ganzen Landes zu erleben. Er war bereits am 6. Juni 1861, erst im 51. Lebensjahr stehend, in seinem Geburtsort Turin gestorben. Erik Lommatzsch/M.R.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren