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31.07.10 / Entwundene Träume / Ost-Politiker über Irrungen und Verwirrungen 1990

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-10 vom 31. Juli 2010

Entwundene Träume
Ost-Politiker über Irrungen und Verwirrungen 1990

Nach den ersten freien Wahlen in der DDR im März 1990 sah die neue Regierung von Lothar de Maiziére die Wiedervereinigung Deutschlands als ihre Hauptaufgabe an. An diese 199 Tage will das Buch „Die letzten Monate der DDR“ mit verschiedenen Beiträgen von Menschen erinnern, die damals auf der östlichen Seite den Prozess der Einheit gestalteten. Die meisten stießen im heißen Herbst 1989 spontan zur Politik. Es waren Wissenschaftler, Theologen und Techniker, die sich nunmehr mit unglaublicher Motivation und einem ungeheuren Gestaltungswillen auf die so vielen zu bewältigenden Herausforderungen konzentrierten. Erschwerend wirkt ihre fast primitiven Arbeitsmöglichkeiten, und bei jedem neuen Mitarbeiter stellte sich zwangsläufig die Frage, wie er der aktuellen Entwicklung gegenüber eingestellt ist.

Der Leser erfährt, wie schnell sich eine Enttäuschung über Westdeutschland verbreitete. Hatten die „Ossis“ in ihrer vielleicht naiven, jedenfalls patriotischen Haltung eine herzliche Umarmung der „Wessis“ erwartet, so bleibt diese offenbar oft ziemlich hölzern. Das Verhältnis de Maziéres zu Kanzler Helmut Kohl war sachlich korrekt, aber nie freundschaftlich. „Die beiden deutschen Brüder sind zu unterschiedlich. Das sind eben zwei Welten“, heißt es im Buch.

Der DDR-Ministerpräsident sah sich stets als Anwalt seiner Bevölkerung. Zumindest gegenüber der UdSSR konnten er und Außenminister Markus Meckel sich durchsetzen. Von den bundesdeutschen Beratern waren gewiss manche wirklich an ihrer Aufgabe interessiert, doch viele der im Buch zur Wort kommenden vermitteln des Eindruck, dass so mancher von ihnen primär seine Karriere im Blick hatte. Ihre Unkenntnis über die DDR sei groß gewesen, zugleich legten sie nach Empfinden der Bevölkerung allzu oft „Siegermentalität“ an den Tag.

Die Menschen in der DDR drängen auf Einheit mit derselben Währung und dem möglichst gleichen Lebensniveau, juristische Fragen zwischen Berlin und Bonn interessieren sie kaum. In Moskau wiederum wurde Gorbatschows Position zusehends schwächer, es mehrten sich dort die Stimmen gegen die deutsche Einheit. Nach Ansicht eines führenden Bürgerrechtlers wurden unter dem Druck dieser Situation bundesdeutsche Gesetze einfach auf das DDR-Parlament gestülpt. Vielleicht gab es wirklich keine andere Chance. Vom Treffen zwischen Kohl und Gorbatschow im Kaukasus wurden die Noch-DDR-Parlamentarier weder von den Sowjets noch von Genscher informiert! Eine starke Brüskierung, die deutlich erkennen lässt, dass die DDR aus dem Spiel war und alle wichtigen Verhandlungen nur noch zwischen Bonn und Moskau laufen.

Kritiker der Wiedervereinigung, die in dem vorliegenden Buch auch zu Wort kommen, sollten sich allerdings fragen, wie die DDR heute aussähe, wenn man damals die Wiedervereinigung nicht erreicht hätte. Ohne die Währungsunion wäre die DDR spätestens im Sommer 1990 bei ihren Auslandsschulden in Devisen völlig zahlungsunfähig gewesen F.-W. Schlomann

Ed Stuhler: „Die letzten Monate der DDR“, Links-Verlag, Berlin 2010, geb., 248 Seiten, 19,90 Euro


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