28.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
31.07.10 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-10 vom 31. Juli 2010

Die Wüste lebt / Warum die alle zurücktreten, wie uns 20 Prozent der Deutschen Angst machen, und wieso sich die Politspitze in die Alpen zurückzieht
Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

Endlich hatten wir mal ein paar Tage, an denen keiner zurückgetreten ist. Das gibt uns die Gelegenheit, etwas tiefer darüber nachzudenken, was sich da eigentlich abgespielt hat. Warum hatten die nur alle auf einmal keine Lust mehr? Haben die etwas gesehen, was uns entgangen ist? Wenn ja, dann muss es sehr beunruhigend gewesen sein, sonst wären ja nicht so viele Spitzenleute auf einmal aus der aktiven Politik geschieden wie diesen Sommer. Sie gingen, ohne dass sie als Verlierer eines dramatischen Kampfes zum Rückzug gezwungen worden wären.

Ganz im Gegenteil: Selten haben sich die Parteien so eng aneinander gekuschelt wie heute. Man ist sich in allen wesentlichen Fragen einig, nur dass die Union meist etwas später einschwenkt als die anderen, weshalb sie konservativ genannt werden darf. Alles, was man sich an Zwistigkeiten noch zumutet, ist Geplänkel fürs Publikum. Beim Presseklub vergangenen Sonntag läutete der Vertreter des „Spiegel“ denn auch die höchste Vollendung der deutschen Parteienharmonie ein: Bald müssten alle mit allen koalitionsfähig sein, sogar Union und Linkspartei, „auch wenn das zur Zeit noch schwer vorstellbar erscheint“.

Was für eine wundervolle Vorstellung: Alle sind aus dem „überholten Lagerdenken“ herausgereift, erblüht in Eintracht, in der vollkommenen Harmonie unserer „bunten Republik“, wie unser Land von Christian Wulff und Annette Schavan gepriesen wurde. Wir stellen uns diese Republik aus Parteieneintracht und bunter Vielfalt vor wie einen Garten zum Herbstanfang.

Der Frühherbst ist ja sowieso die schönste Jahreszeit. Die Hitze ist überstanden, die Pflanzen ringen nicht mehr mit dem Wetter, mit Konkurrenten und Schädlingen, sondern faulen in greller Schönheit still dahin.

Ungemütlich ist nur das, was dann folgt: Es wird stürmisch, und eine dunkle Kälte haut uns die harte Realität um die roten Ohren. Nämlich, dass wir eben doch nicht in der Provence leben, sondern im weit weniger lieblichen Germanien. Einem Land, in dem es nach kurz oder lang immer wieder zur Sache geht, egal wie schön die warmen Tage gewesen sein mögen.

Der „Focus“ hat die Meinungsforscher von Emnid beauftragt, den Finger in den Wind zu halten, um herauszufinden, aus welcher Richtung der Herbststurm wehen könnte. Das kam heraus: 20 Prozent der Deutschen könnten sich vorstellen, eine „bürgerlich-konservative Partei rechts von der CDU“ zu wählen.

Das kann ja heiter werden. Ist es das, was die Rücktreter haben kommen sehen? Wollten sie lieber weit, weit weg sein, wenn’s losgeht?

Wundern muss das Emnid-Resultat schon. Allein, dass die Leute nicht bereits beim Reizwort „rechts“ die Straßenseite gewechselt haben, macht Angst. Mindestens 20 Jahre lang hatte man uns das Gehirn so porentief reingewaschen, bis wir „rechts“ für ein Synonym von „Verbrechertum“ hielten. Und „konservativ“? Konservativ ist man höchstens bei der Wahl des Tischweins, mehr ist nicht gestattet. Hamburgs designierter Bürgermeister Christoph Ahlhaus geriet heftig unters Feuer seines grünen Koalitionspartners, als ruchbar wurde, dass der CDU-Mann Mitglied einer Studentenverbindung sei, die im Verdacht stehe, „konservativ“ zu sein.

Die Minen lösten sich erst wieder, als der wackere Christdemokrat glaubhaft machen konnte, dort lediglich als Conkneipant, eine Art ständiger Gast, geführt zu sein, und die Öffentlichkeit wissen ließ, dass er die Verbindung gebeten habe, ihn von ihrer Liste zu streichen. (Sollte Ahlhaus bei der Turnerschaft Ghibellinia Heidelberg einen Stammplatz im Kneipsaal gehabt haben, möchten wir den Waffenstudenten höflichst empfehlen, den Stuhl zu schreddern.)

Trotz all solcher Bemühungen um lückenlose Ausgrenzung geben 20 Prozent zu, sich vorstellen zu können, ihr Kreuz bei den Bösewichtern zu machen. Was soll man denn noch machen? Was, wenn alle Belehrung, Bedrohung und Gesinnungsprüfung letztlich verpufft?

Immerhin hat man es geschafft, dass die 20 Prozent parlamentarisch nicht vertreten sind. Zwischen der Union und dem rechten Rand gähnt eine gewaltige Wüste. Ab und zu streifen da mal kleine Trupps von Desperados hindurch. Doch die verdursteten bislang entweder von selbst, verirrten sich in braunen Staubwolken oder sie wurden von den Patrouillen der Politischen Korrektheit aufgespürt und zur Strecke gebracht.

Da ist also nichts, außer riesigen Bergen stillgelegter Wähler, die an keine Urne mehr finden. Oder doch? Wer näher rangeht, der entdeckt schon etwas. Aber wie es so ist beim Leben in der Wüste: man muss genau hinsehen, um es zu erkennen. Denn nicht die schrille Empörung sprießt hier, es ist mehr so eine bräsige Resignation, die sich durch harten Boden der Einöde quält.

Es fängt ganz klein an: In Hamburg lassen Protagonisten der erfolgreichen Volksinitiative gegen die „Primarschule“ durchblicken, dass sie politisch aktiv bleiben wollten. In Berlin wirft eine Parteigründung rechts der Union ihre Schatten voraus, angeschoben von frustrierten CDU-Politikern. Ironischerweise lässt CDU-Landeschef Frank Henkel jede Menge Dünger auf das zarte Gewächs regnen, indem er seine Partei gleich noch ein wenig linker aussehen lässt, als die Enttäuschten schon ahnten, und indem er den Vorreiter der Dissidenten, Rene Stadtkewitz, eigenhändig zum Helden der Meinungsfreiheit herausputzt. Wer berät diese Leute eigentlich?

Henkel ist nicht allein. Man solle sich mehr um die Wähler von SPD und Grünen kümmern, fordert der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Peter Altmaier. In der Mitte würden nämlich die Wahlen gewonnen. Deshalb müsse die Union noch „moderner“ werden, sich intensiver um Klimawandel und Frauenpolitik kümmern. Annette Schavan blickt stolz auf das, was sie damals in Baden-Württemberg mit der Einführung des Islamunterrichts erreicht habe: Die Nichtmuslime hätten jetzt viel mehr Verständnis für den Islam. Islamische Intoleranz gegenüber Nichtmuslimen gehört offenbar zu den Wüsten­themen, die in der wohlgeordneten Welt der Bildungsministerin  nicht vorkommen. Kanzlerin Merkel thront über all dem so überzeugend überzeugungslos wie eh und je.

Ahnt auch sie nichts? Sie, die Füchsin der Macht? Man mag es kaum glauben. Misstrauisch machen die Urlaubspläne der CDU-Chefin, ebenso wie die einiger anderer Spitzenpolitiker: Merkel,  Ursula von der Leyen, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Ilse Aigner und Dirk Niebel – alle machen sich in die Alpen davon. Ist das wirklich nur Urlaub? Die Verunsicherung hat tiefe Wurzeln. Denn den historisch Bewanderten durchfährt unweigerlich Beklemmung, wenn die deutsche Politspitze im Korps in die sicheren Höhen der Alpen strebt. Das riecht unwiderstehlich nach Zusammenbruch.

Möglicherweise haben die Beusts und Kochs und wie sie alle heißen ihre Ämter schnell noch weggeworfen, um später behaupten zu können, nicht wirklich dabei gewesen zu sein bei der fauligen Herbstblüte, als Haushalts-oder Bevölkerungspolitik, Energie- oder Sicherheitsvorsorge so sehr verunkrauten konnten, dass es die mühsam aufgebaute Republik beinahe zerlegt hätte. Dagegen spricht indes die locker-leichte Art, in der sie sich verabschiedet haben: Das sah weniger nach Panik aus als nach dieser Mischung aus Müdigkeit und eitler Beschwingtheit, welche die Historiker aus der Zeit des späten Rokoko kennen. Merkel und die ihren werden zurückkehren aus den Alpen und einen Barbarenwall gegen die Wüste errichten. Wenn die Emnid-Befragten dennoch ernst machen sollten, dann zeigt man ihnen eben die Instrumente „gegen Rechts“. Dann kuschen die schon. Oder?


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren