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07.08.10 / Baby-Boom am Prenzlberg / Junge Zuzügler aus ganz Deutschland sorgen für starken Anstieg der Geburtenzahlen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31-10 vom 07. August 2010

Baby-Boom am Prenzlberg
Junge Zuzügler aus ganz Deutschland sorgen für starken Anstieg der Geburtenzahlen

In Berlin wurden 2009 so viele Kinder geboren wie seit 20 Jahren nicht. Nicht ausländische Zuwanderer, sondern zugezogene Deutsche sind für den Anstieg verantwortlich. Zentrum des Baby-Booms sind die beliebten Altbauviertel im Osten Berlins.

In Berlin erblickten vergangenes Jahr 32104 Neugeborene das Licht der Welt – so viele wie seit 20 Jahren nicht mehr. Selbst das bisherige Rekordjahr 2008 wurde übertroffen.

Der Trend betrifft allerdings vor allem beliebte Stadtteile. In weiten Teilen der Stadt sind die Geburtenzahlen nach wie vor gering oder sinken gar weiter ab. So werden Kinder zunehmend Statusobjekte: An den Neugeborenen lässt sich ablesen, wo das soziale Klima noch auf Kinder ausgerichtet ist. Berlins Szene- und Trend-Stadtteil Friedrichshain-Kreuzberg erzielte mit 11,9 Geburten je 1000 Einwohner die höchste Zuwachsrate. Junge Leute ziehen in diesen Bezirk, gerade „Prenzlberg“ ist populär. In Steglitz-Zehlendorf liegt die Rate dafür gerade einmal bei 7,1 Geburten, in Reinickendorf bei 7,7. Der alte bürgerliche Westen Berlins droht demnach zu vergreisen, junges Leben konzentriert sich zunehmend in den Trendvierteln und im Osten.

Die Entwicklung ist nicht neu und hat bereits Folgen für die Einwohnerstruktur vieler Bezirke ebenso wie für die Schulsituation. Die Stadt ist nicht mehr überall auf Zuwachs eingerichtet: In Spandau mussten Eltern schon bei der Beurkundung auf dem Standesamt warten, dabei ist der statistische Zuwachs dort nicht einmal besonders groß – 8,2 Geburten je 1000 Einwohner. Berliner Mediziner, die auf den Geburtsstationen großer Krankenhäuser den neuen Trend zum Kind zuerst erleben, sehen als Ursache für den statistischen Baby-Boom den Zuzug junger Menschen im gebärfähigen Alter.

Berlin profitiert demnach von seiner Anziehungskraft. Nicht so sehr die Berliner bekommen Kinder, sondern Zugezogene. Diese kleine Geburten-Sensation bahnt sich seit 2007 an. In jenem Jahr stieg erstmals seit langem die statistische Gesamtzahl aller jährlichen Berliner Geburten über die der Todesfälle. Zuletzt traf das laut Bevölkerungsexperten in den 80er Jahren zu – damals aber nur auf den Osten. Auch in Pankow und Weißensee gibt es seit gut drei Jahren mehr Neugeborene, der Osten sorgt also für Belebung.

Die Daten zeigen auch, dass die neue Baby-Zunahme nicht auf Zuwandererfamilien aus dem Ausland zurückzuführen ist. Zwar bekommen ausländische Frauen im Durchschnitt mehr Kinder als deutsche, aber die Zunahme ist bei den deutschen Frauen zu verzeichnen. Es sind die jungen Aufsteiger, die öffentlich das Bild vom neuen Baby-Boom beherrschen: Aus Politik, Film- und Fernsehen, aus dem hauptstädtischen Gewinnerzirkel, dem gehobenen Beamten- und Verwaltungsmilieu kommt der neue Nachwuchs. Die Neu-Berliner bevorzugen die gewachsenen, alten und weitgehend nur im Osten so erhalten gebliebenen Wohnbereiche im Zentrum und werten sie auf. Somit sagt der Zuwachs nicht nur etwas über die Sozialstruktur der Eltern aus: Gut leben lässt es sich vor allem in den sanierten Altbauten gewachsener Bezirke. In den Vierteln der architektonischen Moderne sieht junges Leben immer seltener einen geeigneten Ort für Kinder.

Dass es sich bei den Trend-Babys zunehmend um Wunschkinder in mehrfacher Hinsicht handelt, zeigt auch das Geschlechterverhältnis: Die Zahl neugeborener Mädchen kommt der der Jungs näher (15710 zu 16394). Der medizinische Fortschritt verhilft Kinderwilligen immer öfter zum Glück. Mit selbstorganisierten Spielplätzen und Einrichtungen für Kinder können diese Eltern ihr Viertel aufwerten. Berlin fehlen dafür oft die Mittel.

Der Geburten-Tiefpunkt von 1994 scheint damit in Teilen überwunden. Damals kamen in Berlin nur 28503 Kinder zur Welt. Ob die Entwicklung sich verstetigt, hängt vor allem von der wirtschaftlichen Situation und der damit verbundenen Anziehungskraft der Metropolregion ab. Der Geburtenanstieg ist somit noch lange kein Grund zur Beruhigung.

Der starke allgemeine Abwärtstrend seit Anfang der 70er Jahre ist durch die jüngste Geburtensteigerung nicht einmal lokal aufgehoben, in Deutschland insgesamt gehen die Geburtenzahlen, von ohnehin sehr schwachem Niveau, weiter zurück. Das Institut für angewandte Demographie warnte bereits vergangenes Jahr vor dem Berliner Jubel: Die Zahl der Geburten liege noch immer ein Drittel unter dem Niveau, das für eine stabile Bevölkerung nötig sei. Zum lange Zeit düsteren Gesamtbild trug auch Berlins Ruf als Abtreibungshauptstadt bei. 344 Schwangerschaftsabbrüche gab es 2006 je 1000 Geburten. Die Gesamtzahl der Abtreibungen sinkt seither, doch Berlin behauptet mit insgesamt 9402 Abtreibungen (2009) immer noch einen Spitzenplatz. Die Mehrheit der Frauen, die abtreiben, ist ledig und unter 30 Jahre. Auch hier zeigt sich: Auf Kinder lässt sich ein, wer sie sich leisten kann. Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Mario Czaja, sagt zu den Abtreibungszahlen: „Viele junge Mütter haben große Zukunftsängste, glauben nicht, dass sie Familie und Beruf vereinbaren können.“ Erfreulich, dass diese Ängste wenigstens in einigen Gegenden Berlins etwas geringer geworden sind.         Sverre Gutschmidt


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