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07.08.10 / »...weil es um die Menschen geht« / Die Allensteinerin Karla Schefter kümmert sich seit 20 Jahren um Patienten in der afghanischen Provinz

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31-10 vom 07. August 2010

»...weil es um die Menschen geht«
Die Allensteinerin Karla Schefter kümmert sich seit 20 Jahren um Patienten in der afghanischen Provinz

Selbstmordattentäter sprengen sich und Unschuldige auf belebten Märkten in die Luft, Soldaten werden in einen Hinterhalt gelockt und verletzt oder gar getötet – das sind die Schlagzeilen, die aus Afghanistan vermeldet werden. Wie aber sieht die humanitäre und medizinische Lage in der Provinz aus?

Afghanische Sicherheitskräfte sollen von Ende 2014 an selbst für die Sicherheit im Land sorgen. Das war das zentrale Ergebnis der Afghanistan-Konferenz im Juli in Kabul. Es ging dabei auch um dreistellige Millionenbeträge, die ausgegeben werden sollen, um das Land zu befrieden. Allzu oft wird in der Berichterstattung über das geschundene Land der Krieg in den Vordergrund gestellt, die humanitäre und medizinische Notlage der afghanischen Bevölkerung aber vergessen. In dem seit mehr als 30 Jahren durch Krieg und Bürgerkrieg zerstörten Land sind auch die Menschen Verlierer, die nicht oder noch nicht direkt in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt sind. Während es in der Hauptstadt Kabul einigermaßen erträglich ist, finden die Menschen in der Provinz nur schwer medizinische Hilfe.

In dem ohnehin zu den ärmsten Ländern der Welt gehörenden Land am Hindukusch (Nr. 170 von 174 Ländern in der UN-Statistik) gibt es keine funktionierende Infrastruktur mehr, die Menschen sind ohne Arbeit, die Felder vermint. Jede vierte Frau ist durch die Kriegswirren zur Witwe geworden; 16 von 100 Kindern sterben im ersten Lebensjahr. Die mittlere Lebenserwartung der Menschen liegt bei nur 43 Jahren. Die medizinische Versorgung ist vielerorts auf den Nullpunkt gesunken.

Doch es gibt Menschen, die sich um die Notleidenden sorgen. Dazu gehört die Ostpreußin Karla Schefter. Geboren 1942 in Allenstein, wollte sie schon als Kind entweder in die Mission gehen oder einen Forscher heiraten, um mit ihm Expeditionen in ferne Länder zu unternehmen. Ferne Länder hat sie schließlich viele besucht, in Afghanistan aber ist ihr Herz geblieben.

Seit mehr als 20 Jahren lebt und arbeitet die ehemalige Operationsschwester der Städtischen Kliniken Dortmund mehrere Monate im Jahr am Hindukusch. Den Rest des Jahres nimmt sie sich die Zeit, um auf Vortragsreisen in Deutschland von ihrem Tun zu berichten, wie kürzlich in der LO-Gruppe Dortmund.

Zentrum ihres Wirkens ist ein Tal in der Provinz Wardak, Distrikt Chak, etwa 75 Kilometer südwestlich der Hauptstadt Kabul. In diesem fruchtbaren Tal in 2400 Meter Höhe befindet sich ein Hospital, das sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten zu einer Insel des Friedens und der Hoffnung für viele Kranke entwickelt hat.

Das war nicht immer so. Der Anfang war beschwerlich und voller Hindernisse. Gelder fehlten und auch heute wird das Krankenhaus vornehmlich von privater Seite finanziert; nähere Informationen beim Komitee zur Förderung medizinischer und humanitärer Hilfe Afghanistans e.V. (C.P.H.A. e.V.), c/o Gerhard Sprißler, Frühlingstraße 26, 86690 Mertingen, und im Internet unter www.chak-hospital.org.

Zu 75 Prozent sind es Frauen und Kinder, die Hilfe suchen in diesem Hospital, das mit seinen 60 Betten nicht gerade groß, aber effektiv ist. Behandelt werden unter anderem Verbrennungen, Kriegs- und Minenverletzungen, Typhus, Malaria, Hirnschlag, Risikoschwangerschaften und Unterernährung. Die Patienten nehmen oft lange und für Europäer kaum vorstellbar beschwerliche Wege auf sich, um nach Chak-e-Wardak zu kommen, zu Fuß, getragen oder in einer Schubkarre gefahren. In das einzige Hospital in der Provinz Wardak mit seinen 500000 Einwohnern kommen auch Patienten aus den benachbarten Provinzen und aus der Hauptstadt Kabul. Im vergangenen Jahr waren es mehr als 86000 Kranke, die hier Hilfe fanden. Diese hohe Zahl zeigt, dass sich die Gesamtlage der Menschen in Afghanistan nicht verbessert, sondern eher noch verschlechtert hat. In Chak-e-Wardak erwarten sie gut ausgebildete Ärzte, darunter auch zwei Ärztinnen, vier Hebammen und engagiertes Pflegepersonal, übrigens alles Afghanen, sowie eine gute technische Ausrüstung (Röntgen, Ultraschall oder EKG). Wichtig für die Frauen: 20 Prozent des medizinischen Personals sind Frauen. Dennoch ist es in Afghanistan Sitte, dass kein Kranker allein in ein Hospital geht, und so wird er stets von mindestens einem Verwandten begleitet. Diese Begleitperson findet im Hospital schließlich auch einen Platz, muss aber mit anpacken, wenn es heißt, den Patienten zu versorgen. Ambulante Patienten müssen im Chak-e-Wardak-Hospital eine kleine Summe für die Behandlung bezahlen, die stationäre Behandlung ist kostenlos.

Karla Schefter, die seit 1993 das Projekt leitet und als einzige Europäerin immer wieder vor Ort ist, liegt es sehr am Herzen, die Situation der afghanischen Frauen zu verbessern. Sie werden als Krankenschwestern, Impfassistentinnen und Hebammen ausgebildet. Nicht zuletzt durch ihr Engagement zählt das Hospital heute zu den fünf am besten ausgerüsteten und geführten Krankenhäusern in Afghanistan. Im Herbst des vergangenen Jahres wurde Karla Schefter mit dem Deutschen Pflegepreis des Deutschen Pflegerats, Berlin, ausgezeichnet.

Wenn heute das Hospital über eine eigene Bäckerei, einen Tiefwasserbrunnen und eine Verbrennungsanlage für medizinische Abfälle verfügt, dann ist das vor allem auch dem Weitblick und dem Durchsetzungsvermögen der Allensteinerin zu verdanken. Es lag schließlich auch an dem Feingefühl, mit dem Karla Schefter der Europäern so fremden Kultur des Islam begegnete. Mit Respekt vor den anderen Sitten und Bräuchen, aber auch mit dem typisch ostpreußischen Dick-schädel, sich für lohnenswerte Dinge einzusetzen, erreichte sie das Unmögliche.

Verletzte werden –aus welchem Lager auch immer – glei-chermaßen behandelt. Karla Schefter und ihr afghanisches Team handeln nach einer einzigen Devise. „Wir sind eine medizinische Partei und sonst nichts. Wir tun unsere Arbeit, weil es um die Menschen geht.“

Schwierige Situationen (und die werden dieser Tage nicht weniger) haben die Gemeinschaft der Helfer zusammengeschweißt; gemeinsam arbeitet man, gemeinsam freut man sich am Erfolg.

„Wenn man jeden Tag so viele so kranke Menschen sieht, dann ist man von der Notwendigkeit eines solchen Projektes überzeugt“, so Karla Schefter, die Mitte September wieder für einige Wochen nach Afghanistan fliegt. Diesmal nach Kabul, weil es in der Provinz für sie zu gefährlich geworden ist (siehe Interview). Das schreckt sie aber nicht ab, sie tut weiterhin im Schatten des Terrors ihre Pflicht und das mit Überzeugung.   Silke Osman


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