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07.08.10 / Vergessener Querkopf / Friedrich Sieburg neu entdeckt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31-10 vom 07. August 2010

Vergessener Querkopf
Friedrich Sieburg neu entdeckt

Zeitkritische Essays, die vor über 50 Jahren erschienen sind, müssen nichts von ihrem Reiz und ihrer Aktualität eingebüßt haben. Ein Beweis für diese These ist Friedrich Sieburgs Buch „Die Lust am Untergang“, die jetzt in der „Anderen Bibliothek“ bei Eichborn erschienen ist. Entbehrlich sind höchstens Vor- und Nachwort von Thea Dorn, die dem „Literaturpapst“ der frühen Bundesrepublik nicht das Wasser reichen kann und einem mit etwas zu persönlich gehaltenen Bemerkungen darüber, wie sie Sieburg zum ersten Mal gelesen habe, zu nahe rückt. Der „Welt“-Literaturredakteur Tilman Krause, der seine Doktorarbeit über Sieburg geschrieben hat, wäre sicher ein geeigneterer Kandidat gewesen, uns den 1893 im westfälischen Altena zur Welt gekommenen und 1964 in Gärtringen bei Stuttgart verstorbenen Autor vorzustellen.

Sieburg berührt auf rund 400 Seiten die verschiedensten Themen, denen man sich kapitelweise nähern kann. Der vielschreibende Dandy, Verfasser des sprichwörtlich gewordenen Buches „Gott in Frankreich“, präsentiert sich uns als ein Leidender. Der Großkritiker, der in den Jahren 1956 bis 1963 den Literaturteil der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ leitete, begegnet den Zuständen in der Bundesrepublik der 50er Jahre mit einem gewissen ästhetischen Ekel. Die Zeit macht ihn geradezu krank, was auch einige Sätze ins Larmoyante abgleiten lässt. Überall sieht er den Kulturhass am Werke, der nichts weiter sei „als das Ressentiment gegen jeden Versuch des Einzelnen, Kontur zu gewinnen, ein eigenes Leben zu führen und sich einen Kern zu schaffen, in dem er unangreifbar ist“. Sieburg, der nach dem Motto „Der Stil macht den Herrn“ lebte, konnte dem schon damals zutage tretenden sozialen Pathos nichts abgewinnen. Sein aufwendiger Lebensstil, seine offene Verachtung für alles Hässliche in Gesellschaft, Musik, Kultur und allgemeiner Lebensart provozierte seine Gegner, die sich über eine weltmännisch-großbürgerliche Attitüde ärgerten und lustig machten.

Was – so fragt man sich – hätte Sieburg erst zu den Entgleisungen unserer Spaßgesellschaft gesagt? Wenn man einen Wunsch frei hätte, so läse man gern einen frischen Essay Sieburgs über die rot-grüne Kampfansage an die Gymnasien oder vielleicht auch die wenig schmeichelhafte Bekleidung der Herren bei sommerlichen Temperaturen. Schon der sich bahnbrechende „American way of life“ war ihm ein Dorn im Auge.

Mit der Gleichgültigkeit, mit der „die“ Bundesdeutschen dem Begräbnis Preußens zugesehen hätten, als ob die Problematik, die dem deutschen Charakter aus dem Wesen Preußens zuwuchs, mit dieser eiligen Einscharrung aus der Welt geschafft worden wäre, konnte er sich schon gar nicht anfreunden.             Ansgar Lange

Friedrich Sieburg: „Die Lust am Untergang − Selbstgespräche auf Bundesebene“, Mit einem Vor- und einem Nachwort von Thea Dorn, Eichborn Verlag, Frankfurt 2010, gebunden, 420 Seiten, 32 Euro


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