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07.08.10 / Sie ließ es prickeln / Biographie über Barbe-Nicole Clicquot, Gründerin des Champagner-Imperiums

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31-10 vom 07. August 2010

Sie ließ es prickeln
Biographie über Barbe-Nicole Clicquot, Gründerin des Champagner-Imperiums

Champagner ist neben Kavier das bekannteste Luxusprodukt weltweit. Als unverzichtbar gilt der Schaumwein aus der Champagne bei festlichen Anlässen wie Hochzeiten und Neujahrsfeiern. Dank der technischen Neuerungen des 20. Jahrhunderts findet man Champagnerflaschen zu erschwinglichen Preisen in den Weinhandlungen. Eine Traditionsmarke wie „Veuve Cliquot“ hat jedoch ihren Ikonenstatus behalten, weil sie nach wie vor als exklusives Konsumgut der „Oberen Zehntausend“ gilt, und dies schon seit ziemlich langer Zeit. Wie lange genau und wie es dazu kam, darüber hat die Kulturhistorikerin und professionelle Feinschmeckerin Tilar J. Mazzeo aus dem kalifornischen Wine County ein Buch von kulturgeschichtlicher Bedeutung verfasst: „Veuve Cliquot – Die Geschichte eines Champagner-Imperiums und der Frau, die es regierte“, so der Titel des in einem dunkelgelben Umschlag steckenden Bandes, entsprechend der Farbe des Etiketts der berühmten Champagnerflaschen. Von der Frau, dank deren Geschäftssinn sich der kleine familieneigene Weinhandel mit seinem Nischenprodukt zu einem Erfolgsmodell, einem Mythos entwickelte, ist die Autorin fasziniert: Die umtriebige Witwe (Veuve) Barbe-Nicole Clicquot, geborene Ponsardin, (1777–1866) avancierte ab 1806 im napoleonischen Frankreich zu einer der europaweit führenden Unternehmerinnen.

Allerdings hatte sich die Forscherin mit einem Quellenproblem auseinanderzusetzen. Als sie Anfang 2007 Zugang zum Unternehmensarchiv Veuve Cliquot Ponsardin in Reims erhielt, muss ihre Enttäuschung grenzenlos gewesen sein: An biographisch aussagekräftigen Unterlagen wie Briefen und Tagebüchern der Barbe-Nicole fand sich so gut wie nichts, nur etliche mit Geschäftsbüchern gefüllte Regale. Tilar Mazzeo ließ sich nicht entmutigen und begann in der Champagne mit einer „donquichotettsken Suche“ nach Spuren und Überlieferungen aus dem Leben dieser Frau. Aus den gewissenhaft gesetzten Fußnoten geht hervor, dass sie sich zudem auf französischsprachige Literatur bezogen hat, darunter eine noch zu Lebzeiten der „Veuve“ veröffentlichte Biographie.

Ein inhaltlicher Schwerpunkt der Chronik ist der Champagner selbst. Wer genau ihn entdeckt hat, ist umstritten, doch sowohl Engländer als auch Franzosen führten seit Ende des 17. Jahrhunderts Experimente mit Schaumweinen durch. Unter den schwierigen Bedingungen des brüchigen Friedens und der Handelsbeschränkungen während der napoleonischen Ära erfand die kluge Geschäftsfrau Cliquot neue Herstellungsverfahren und stellte ihren Champagner an europäischen Höfen vor. Doch ohne ihre Entdeckung des remuage – einer Methode, den Champagner vom Hefetrub zu befreien, der nach der zweiten Gärung in der Flasche verbleibt – wäre ihr Produkt kein weithin beliebter Wein geworden. Der erste Kellermeister der Firma Anton von Müller (1788–1859), ein gebürtiger Schwabe, der sich Antoine de Muller nannte, erfand um 1813 das „Rütteln auf dem Pult“. Etliche Deutsche standen der Witwe Cliquot im Laufe der Jahre zur Seite, so auch Ludwig „Louis“ Bohne, ehemals der engste Vertraute ihres 1804 verstorbenen Mannes, der als Handelsvertreter unermüdlich auf dem europäischen Kontinent auf Reisen war und sogar Russland eroberte. Georg Christian von Kessler war von 1815 bis 1825/26 Teilhaber der Firma Veuve Cliquot und gründete anschließend in Esslingen am Neckar die erste deutsche Sektkellerei. Als Louis Bohne 1821 durch einen Unfall ums Leben kam, stand das Unternehmen längst glänzend da, bei weiter rasant steigender Nachfrage, da es auch die Amerikaner seit den 1820er Jahren immer mehr nach dem schäumenden Getränk verlangte. Die Witwe Cliquot war mit Anfang 40 als Herrin ihres Champagnerimperiums eine der reichsten Industriellen ihrer Zeit und Eigentümerin wertvoller Immobilien. Dem russischen Geschmack entsprechend hatte sie einen süßen und starken Champagner „erfunden“. Dieser verlor jedoch nach 1850 an Prestige, da die Engländer einen Schaumwein ohne sirupartige Süße verlangten. Damals nutzte eine andere Frau, die Witwe Louise Pommery, die Gelegenheit und entwickelte jenen knackigen, trockenen Champagner, den man heute als „brut“ kennt. Dagmar Jestrzemski

Tilar J. Mazzeo: „Veuve Cliquot – Die Geschichte eines Champagner-Imperiums und der Frau, die es regierte“, Hoffmann und Campe 2009, geb., 320 Seiten, 19,99 Euro


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