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14.08.10 / Wie der Soldatenkönig zu seinen Soldaten kam / Die Wurzeln der Wehrpflicht reichen bis weit vor die Französische Revolution zurück – Kasernen gab es erst ab etwa 1760

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-10 vom 14. August 2010

Wie der Soldatenkönig zu seinen Soldaten kam
Die Wurzeln der Wehrpflicht reichen bis weit vor die Französische Revolution zurück – Kasernen gab es erst ab etwa 1760

Die Wehrpflicht als Dienst für die Allgemeinheit wird üblicherweise auf die Befreiungskriege des frühen 19. Jahrhundert zurückgeführt, ist aber in ihrem Kern viel älter. Am Anfang stand die Überlegung des Soldatenkönigs aus dem Jahre 1733, die rüden Methoden der Regimenter, die bei der Rekrutierung ihres Nachwuchses im In- und Ausland auf das Heftigste untereinander konkurrierten, zu beenden und durch ein System aus Anwerbung und Aushebung zu ersetzen.

Die für jedes preußische Regiment festgesetzten Aushebungsgebiete (Kantone) umfassten in Anlehnung an das Grundsteuerkataster 5000 bis 8800 Feuerstellen (Häuser mit eigenem Eingang und Kamin). Sie waren in (Ost-)Preußen mit seiner geringeren Bevölkerungsdichte größer und in bevölkerungsstarken Regionen kleiner. Dementsprechend zog das bis 1756 in Rastenburg und Gerdauen garnisonierende Infanterieregiment Nr. 2 seine Rekruten neben der Garnison aus den Ämtern Barten, Lötzen, Linkuhnen, Kukernese, Rautenburg, Heinrichswalde und Wingen, während das in Berlin stationierte Regiment Nr. 1 nur auf wenige Kantone in der Mark angewiesen war.

Aufgerufen wurde aber noch nicht der komplette Jahrgang, sondern nur der Ersatz für die beispielsweise krankheitsbedingt ausgefallenen bereits eingezogenen Kantonisten, so dass sich die Zahl im Frieden auf etwa 60 Soldaten pro Kanton und Jahr beschränkte. Wer dazu ausersehen wurde, war kein Wehrpflichtiger im heutigen Sinne, der zeitlich begrenzt diente und anschließend für bestimmte Zeit in die Reserve wechselte, sondern ein zwangsverpflichteter Soldat auf Lebenszeit mit langen Beurlaubungsperioden, und weil die weiterhin Angeworbenen ebenfalls Berufssoldaten waren, war die ganze Armee folglich eine Berufsarmee.

Weil die Ersetzten für eine weitere Verwendung ausfielen, entstand auch keine für die Wehrpflichtarmee typische Reserve. Sie war auch nicht bezweckt, denn im Falle eines Krieges sollten nicht die Leistungsträger der Wirtschaft, die es als wertvollstes Gut des Landes zu schonen galt, sondern die Angeworbenen die Hauptlast tragen. Während das Heer im Jahre 1740 nur zu einem Drittel aus Freiwilligen (Ausländern) bestand, schrieb das Reglement von 1743 für jede Kompanie zwei Drittel vor. Dementsprechend bunt blieb das Völkergemisch im blauen Tuch. Beim Infanterieregiment Nr. 10 befanden sich 1751 unter den 1629 Soldaten 552 Nichtpreußen, davon 526 Deutsche, sechs Franzosen, zwei Italiener, zehn Ungarn, vier Polen und vier Engländer. Als Ausländer zählten nicht nur die Einwohner anderer deutscher oder nichtdeutscher Staaten, sondern auch die nicht rekrutierten freiwilligen „Einländer“.

Um einen genauen Überblick über das personelle Aufkommen zu gewinnen, wurden alle männlichen Kinder bereits bei der Geburt erfasst, in jungen Jahren vorgemustert und anschließend mit Vor- und Zunamen nebst Alter und Größenangabe in die Stammrolle eingetragen. Als Beleg erhielten sie einen Laufpass, der ihnen bis zur endgültigen Einberufung mit Erreichen der nötigen Körpergröße von mindestens fünf Fuß und sechs Zoll (sechs Zentimeter über der damaligen Durchschnittsgröße von 1,67 Metern) und erfolgter Konfirmation einen den Beurlaubten ähnlichen Status gab. Ein gutes Maß war nicht die Marotte eines schrulligen Königs, sondern notwendig, um aufgrund der höheren Armspannweite den langläufigen Vorderlader schneller laden zu können und dadurch Feuerüberlegenheit im Felde zu erzielen.

Zunächst alle zwei Jahre, später jedes Jahr vor der Frühjahrsparade erfolgte die Auswahl durch einen Offizier und Beamten. Enrollierte, die zu diesem Zeitpunkt älter als 24 Jahre waren oder bis dahin mit Gewissheit die verlangte Mindestgröße nicht erreichen würden, wurden an die Garnisonregimenter abgetreten oder mit dem Entlassungsschein von der Wehrpflicht entbunden.

Etwa drei Wochen nach dem Auslesetermin erhielten die Rekruten eine schriftliche Ladung, die sie zum Soldaten machte. Wer trotz dreimaliger Mahnung nicht beim Regiment erschien, wurde von einem Kriegsgericht zum Deserteur erklärt.

In der Garnison nahm der Rekrut zunächst die Bekleidung auf, die unter den Dächern des Rathauses und der Kirchen kostenfrei lagerte. Tornister, Koppelzeug und Waffen empfing er im Zeughaus. Anschließend ging es ins Quartier. Bis zur Errichtung von Kasernen (um 1760) wohnte der Soldat im Privatquartier, wo er nicht in Hinterzimmern untergebracht werden durfte, weil er dort für den Meldegänger nicht anrufbar war. Von der Einquartierung war jeder Bürger unmittelbar oder mittelbar berührt. Auch Fried­rich Wilhelm I. und Friedrich II. beherbergten im Potsdamer Stadtschloss mehrere Soldaten. Jeweils zwei Soldaten teilten sich ein Bett. Bedeutete die Einquartierung lediger Soldaten bereits eine erhebliche Last, wurde die Leidensfähigkeit der Wirte erst recht geprüft, wenn die Soldaten eine Familie hatten. Das war bei den älteren Mannschaften häufig der Fall, weil der König das Heiraten im Interesse der Bevölkerungszunahme begünstigte.

Zur Grundausbildung erschien der Neue zunächst wiederum ohne Gewehr und Patronentasche auf dem Paradeplatz des Regiments, denn dem ausbildenden Korporal (Feldwebel) ging es zunächst nur um die korrekte Körperhaltung. Als nächstes folgte über zwei bis drei Tage nichts weiter als das Marschieren mit dem Antritt auf dem linken Fuß.

Waren der anstrengende Vormittagsdienst sowie die Putz- und Flickstunde in der Stube vorüber, konnte der Soldat über den Rest des Tages frei verfügen. Ging er dann in seiner Garnison spazieren, trug er vorschriftsmäßige Uniform: Hut, Rock, Halsbinde, Stiefeletten und Säbel an geweißtem Koppelzeug. Weil auch viele Zivilisten blaue Röcke trugen, die sie den Soldaten beim jährlichen Kleiderwechsel billig abgekauft hatten, fiel er nicht sonderlich auf. Das Preußisch Blau war dadurch auf den Straßen so häufig, dass mancher Reisende irritiert glaubte, sich in einer Kaserne zu befinden. Für gewöhnlich endete der Tag in irgendeiner Kneipe. Mit dem Zapfenstreich gingen in den Kaschemmen die Lichter aus.

Am Schluss stand die Eingliederung in die Kompanie. Die Hinführung auf das Höchstmaß an Beweglichkeit und Feuerkraft war nur durch äußerste Disziplin und extremen Drill möglich. Wer nicht von sich aus Einsicht zeigte, dem wurde sie eingebläut, und wer raisonierte oder gar aufmüpfig war, wurde in unbequemer Haltung, das heißt „krumm geschlossen“ oder durch die Spießrutengasse gejagt. Bis zu neun Läufe durch eine Doppelreihe von 100 Mann (etwa 60 Meter) waren Disziplinarmaßnahmen, darüber hinausgehende vom Gericht zu verhängende Strafen. Das Höchstmaß von 36-mal überstand kaum einer. In diesen Fällen stand nach Berichten der Sarg schon bereit. Mit dem Abschluss der Kompanieausbildung war der Geworbene oder eingezogene Kantonist ein verwendbarer Soldat. Erst jetzt (nach sechs Wochen) durfte er zum Wachtdienst eingeteilt werden.            Martin Guddat

Der Verfasser dieses Artikels ist Autor des Buches „Handbuch zur preußischen Militärgeschichte 1701–1786“. Von 1982 bis 1994 leitete er das Referat Bundeswehrverwaltung und Rüstungswirtschaft im Bundeskanzleramt. Zuletzt war er Chef der Rüstungsabteilung im Bundesministerium der Verteidigung.


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