18.04.2024

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21.08.10 / Die angeblich keltische Wunderscheibe

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 33-10 vom 21. August 2010

Die angeblich keltische Wunderscheibe

Die Beliebtheit vorgeschichtlicher Völker unterliegt starken Modeschwankungen. Keineswegs nur in Deutschland waren im 19. und frühen 20. Jahrhundert die Germanen groß in Mode. Auch in Skandinavien, den Niederlanden und England gab es damals viel Schwärmerei um die angeblich so tüchtige Völkerfamilie. Nach der Nazi-Barbarei waren die Germanen zunächst „mega-out“, doch erst mit einiger Verzögerung folgte eine Kelteneuphorie, die bis heute andauert: Halloween hat bald den Rang eines Volksfestes, und in den Esoterikabteilungen des Buchhandels biegen sich die Regale unter pseudo-keltischem Kram.

Ärgerlich ist, wenn die Ahungslosigkeit auf angesehene Medien übergreift. So berichtete die „Frankfurter Allgemeine“ am 11. März 2003 allen Ernstes über die „keltische“ Himmelsscheibe von Nebra, die „Zeit“ behauptete am 31. März 2005 explizit: „Zu dieser Zeit [= um 1600 v. Chr.] lebten im Tal der Unstrut die Kelten ...“

Der Linguist Jürgen Udolph hat dem nun in einem wissenschaftlichen Aufsatz widersprochen. „Als Bereich, der in hohem Maße verdächtig ist, die Keimzelle der keltischen Sprachen gewesen zu sein, lässt sich anhand der Gewässernamen der Westalpenraum und das Rhone-Gebiet wahrscheinlich machen.“ Das frühe 1. Jahrtausend vor Christus habe als Zeitansatz für diesen Entstehungsprozess der keltischen Sprache „einiges für sich“. Jahrhunderte vorher, so Udolph bündig, könne von Kelten keine Rede sein und auch später hätten sie im mitteldeutschen Raum nie gesiedelt. Sein Fazit über die Hersteller und Nutzer der Himmelsscheibe: „Es waren keine Kelten oder Germanen, es waren Angehörige indogermanischer Stämme.“         K.B.

 

Zeitzeugen

Spyridon Marinatos und die Insel Santorin – Auf den griechischen Archäologen Syridon Marinatos (1901−1974) geht eine eingängige Theorie zurück. Marinatos glaubte, dass die gewaltige Eruption der Vulkaninsel Santorin in der späten Bronzezeit (oben die Reste des Eilandes) die minoische Kultur zerstört habe. Das gilt im Kern als widerlegt, doch Varianten der Theorie sind noch aktuell.

Francois Bertemes – Der 1958 geborene Althistoriker und Philologe lehrt seit 1999 an der Universität Halle-Wittenberg. Der deutsch-luxemburgische Wissenschaftler  leitete die Ausgrabungen der rund 7000 Jahre alten, jungsteinzeitlichen Kreisgrabenanlage von Goseck in Sachsen-Anhalt. Die rekonstruierte Anlage gilt als das älteste bekannte Sonnenobservatorium der Menschheit.

Heinrich Schliemann – Mit Archäologie Schlagzeilen zu machen ist nicht einfach, Sponsoren zu finden noch schwieriger. Das wusste schon der legendäre Troja-Entdecker Schliemann (1822− 1890). Seine visionäre Kraft hatte auch Schattenseiten: Schliemanns Grabungstechniken zerstörten viel, nicht alle Funde analysierte er mit der gebotenen Zurückhaltung.

Wolfram Euler – Der 1950 geborene Linguist hat viel über die Verwandtschaftsverhältnisse in der indogermanischen Sprachfamilie geforscht, er gilt als einer der Entdecker der griechisch-indoiranischen und der balkanindogermanischen Gruppe im Indoeuropäischen. Euler vertritt die Ansicht, dass sich im westlichen Indogermanisch im frühen 2. Jahrtausend vor Christus zunächst die Vorform der späteren germanischen Sprachen vom sogenannten Italo-Keltischen trennte. Während danach noch bis zur Abwanderung der späteren Italiker aus dem böhmischen Raum nach Italien (noch im 2. Jahrtausend vor Christus) noch prägermanisch-präitalische Kontakte bestanden, ging das Keltische zunächst ganz eigene Wege. Erst im ausgehenden 1. Jahrtausend kam es wieder zu intensiven germanisch-keltischen Kontakten, die deutliche Spuren in den germanischen Sprachen hinterließen. Eulers Einschätzung ist völlig mit dem archäologischen Befund vereinbar, den er intensiv würdigt.


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