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21.08.10 / In der Türkei damals willkommen / Emigranten aus Deutschland prägten das Bild des jungen Atatürk-Staates

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 33-10 vom 21. August 2010

In der Türkei damals willkommen
Emigranten aus Deutschland prägten das Bild des jungen Atatürk-Staates

Die Debatte um die Aufnahme der Türkei in die EU wird seit Jahren heftig geführt. Auch die Einwanderung von Türken in die Bundesrepublik Deutschland ist ein Thema nicht nur an den Stammtischen. Vor 75 Jahren gingen die Menschen in die entgegengesetzte Richtung – Deutsche emigrierten in die Türkei.

„Heimatlos“ stand in großen Buchstaben in den Pässen der jüdischen Flüchtlinge, die während der Nazi-Diktatur Zuflucht in der Türkei suchten. Es waren nicht viele, die am Bosporus eintrafen, doch immerhin: Mehr als 1000 Deutsche emigrierten zwischen 1933 und 1945 in die Türkei und hinterließen dort bis heute sichtbare Spuren. Der Begriff „haymatloz“ wurde als Lehnwort in den türkischen Sprachschatz übernommen. „Haymatloz“ ist auch der Titel einer Wanderausstellung des Aktiven Museums Berlin, die seit zehn Jahren durch Deutschland tourt. Bis zum 26. September ist sie in der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache in Dortmund zu sehen.

Es waren meist gebildete Emigranten, um die sich die türkische Regierung besonders intensiv bemühte, erhoffte man sich doch wichtige Impulse beim Aufbau der jungen Republik. Etwa 800 Wissenschaftler, Künstler und Politiker kamen auf Einladung des Staatschefs Kemal Atatürk. Der Botaniker Alfred Heilbronn und der Zoologe Curt Kosswig gründeten das Botanische Institut in Istanbul und den ersten Nationalpark der Türkei. Der Komponist Paul Hindemith reformierte die türkischen Musikinstitutionen grundlegend. Der Rechtswissenschaftler Ernst E. Hirsch baute die juristische Fakultät der Universität Istanbul mit auf und war an der Abfassung des türkischen Handelsgesetzbuches beteiligt. Der Finanzwissenschaftler Fritz Neumark arbeitete das Gesetz zur Einführung der Einkommenssteuer in der Türkei aus. Der Königsberger Architekt Bruno Taut entwarf Schulen und Universitätsgebäude. Die meisten der Wissenschaftler kehrten nach dem Krieg nach Deutschland zurück. Taut indes liegt in Istanbul begraben.

Kaum einer der deutschen Urlauber, welche die Türkei besuchen, wird wissen, dass es deutsche Architekten waren, die das Bild der jungen Hauptstadt Ankara entscheidend geprägt haben. Bedeutende Architekten, Stadtplaner und Bildhauer gelangten in den frühen 1930er Jahren in die Türkei, darunter Bruno Taut, Rudolf Belling, Martin Wagner und Margarete Schütte-Lihotzky, eine Pionierin des „Neuen Bauens“ und Erfinderin der berühmten „Frankfurter Küche“.

Sie alle hatten Anteil am Aufbau der erst zehn Jahre zuvor gegründeten Türkischen Republik. Die ins Land geholten Spezialisten wurden von der Regierung zur Beschleunigung der Modernisierungsvorhaben ausgewählt und erhielten zumeist wichtige Schlüsselpositionen. Auch der spätere Berliner Bürgermeister Ernst Reuter kam 1935 in die Türkei. Als Experte für Verwaltungs- und Verkehrsfragen war er im türkischen Verkehrsministerium tätig; er lehrte als Professor für Kommunalpolitik und Städtebau an der Hochschule für Politische Wissenschaften Ankara und bemühte sich um die Gründung eines Instituts für Städtebau. Die Privatschule der Deutschen Botschaft Ankara trägt heute seinen Namen.

Die deutschen Emigranten wirkten an der Errichtung der Hauptstadt Ankara mit und als Professoren an der Akademie der Schönen Künste in Istanbul. Mit ihren Bauten, als Lehrer und Autoren beeinflussten sie die türkische Kulturgeschichte nachhaltig. Diesem besonderen, noch immer zu wenig bekannten Kapitel des deutsch-türkischen Kulturtransfers ist eine Ausstellung im Koblenzer Mittel-rhein-Museum gewidmet. Die Posterausstellung zeigt anhand von 34 Bauwerken den Dialog deutscher und türkischer Architekten beim Aufbau der Hauptstadt.

Einer der bekanntesten Vertreter des Neuen Bauens war der Königsberger Bruno Taut, der von 1936 bis zu seinem Tod 1938 an der Akademie der Schönen Künste Istanbul als Leiter der Architekturabteilung lehrte und das Baubüro des Unterrichtsministeriums leitete. Nach seinen Entwürfen entstand 1937 die Fakultät für Sprache, Geschichte und Geographie der Universität Ankara. Insgesamt sind 24 Projekte Tauts in der Türkei nachgewiesen. Sein eigenes Wohnhaus erinnert an Tauts Aufenthalt in Japan. Es liegt im edlen Istanbuler Vorort Ortaköy an den Ufern des Bosporus und fügt sich hervorragend in die Landschaft ein. Sein letztes Projekt war tragischerweise der Katafalk, auf dem Kemal Atatürk aufgebahrt wurde. Er kostete ihn das Leben, da er sich krank und überarbeitet an die Aufgabe gemacht hatte.

Tauts Königsberger Landsmann Martin Wagner, mit dem er schon in Berlin gemeinsam gearbeitet hatte, erhielt 1935 eine Berufung zum städtebaulichen Berater der Stadt Istanbul. Dort erarbeitete er eine Reihe städtebaulicher Gutachten und einen General-Ent-

wicklungsplan für die Stadt. Allerdings war sein Büro kaum mit Mitteln ausgestattet, auch fehlten Fachkräfte. Martin Wagner wie auch Bruno Taut setzten sich für eine Synthese zwischen Moderne und Tradition ein und wandten sich gegen eine kritiklose Übernahme westlicher Formen. „Ich finde es sehr spannend, dass unser Mittelrhein Museum sich in seiner neuesten Ausstellung diesem wichtigen und interessanten Thema widmet“, begrüßte der Koblenzer Oberbürgermeister  Joachim Hofmann-Göttig die Ausstellung „Wir bauen eine Stadt“, die in Kooperation mit der Türkischen Architektenkammer Ankara, der Universität Koblenz sowie der Middle East Technical University Ankara vorbereitet wurde. „Sie gibt Einblicke in das Schaffen erfolgreicher türkischer und deutscher Architekten, die in der Türkei städtebaulich gewirkt und voneinander gelernt haben. Die Ausstellung beleuchtet in zahlreichen Exponaten den intensiven architektonischen Austausch zwischen den beiden Ländern.“ Der Titel „Wir bauen eine Stadt“ bezieht sich übrigens auf eine Kinderoper von Paul Hindemith. 1930 schrieb der deutsche Komponist eine Serie von Miniaturen für Laienorchester, ein „Spiel für Kinder“, das den Bau und die Besichtigung einer modernen Großstadt beschreibt.          Silke Osman

Die Ausstellung „Wir bauen eine Stadt“ ist bis 6. September im Mittelrhein-Museum Koblenz, Florinsmarkt 15–17, dienstags bis sonnabends von 10.30 bis 17 Uhr, sonntags 11 bis 18 Uhr zu sehen, Eintritt 2,50/1,50 Euro.


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