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21.08.10 / Durch Wahrheit zum Miteinander / Gedanken zum Tag der Heimat 2010

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 33-10 vom 21. August 2010

Durch Wahrheit zum Miteinander
Gedanken zum Tag der Heimat 2010
von LO-Vize Dr. Wolfgang Thüne

Durch Wahrheit zum Miteinander“ – dieses Motto ist zeitlos gültig und zweifelsfrei richtig. Die Aussage ist aber wiederum so abstrakt, dass sich Jedermann ihrer bedienen und nach seinen Vorstellungen umdeuten kann. Wie vielfältig Wahrheit heute sein kann, zeigt der politische Alltag in unserer Parteiendemokratie. Jede Partei behauptet von sich, im Besitz der wahren Vernunft und damit der alleinigen Wahrheit zu sein. Wahrheit ist sehr subjektiv und relativ geworden.

Doch die Geschichte der Wahrheit ist auch die Wahrheit der Geschichte. Diese lässt sich, wenn auch mühselig, erarbeiten. Wer sich dieser Arbeit verweigert, bringt unsere beiden höchsten Güter, die Freiheit und den Frieden, in Gefahr, denn diese beruhen auf Recht und Gerechtigkeit. Alle Vertriebenen dieser Erde, die kollektiv und ohne  persönliche Schuld aus ihrer Heimat verbannt und ihres Hab und Guts beraubt wurden, haben nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, nach dem Recht zu rufen und Gerechtigkeit einzufordern. Diese Mahnung ist eine moralische Pflicht und kein Gejammer der Besitzlosen und Entrechteten. Wenn sie dennoch lästig erscheint und auf taube Ohren stößt, dann weil viele Menschen nicht verstehen, dass Unrecht und staatliche Willkür jeden treffen können.

In Zeiten kollektiver Maßlosigkeiten haben die staatlichen Organe die ganz besondere Pflicht, sich schützend vor die Rechtsgüter wie Leben, Freiheit, Eigentum zu stellen und diese vor Eingriffen Dritter zu bewahren. Gerade in einem freiheitlichen Gemeinwesen, in einem Rechtsstaat sind Freiheit und Eigentum untrennbar miteinander verknüpft. Ein Rechtsstaat darf Gleichheitsideologien keinen Freiraum lassen. Er hat mit all seiner Macht dafür zu sorgen, dass nicht Macht vor Recht geht, sondern sich Macht wie Mächtige dem Recht beugen. Ein Rechtsstaat muss Disziplin üben und auch seine eigene Macht dem Recht unterordnen. Nur so kann der Staat seiner Friedenspflicht nachkommen, denn sie beruht auf dem Prinzip: Gleiches Recht für alle! Wir wissen, dass jeder Mensch von Natur aus ein Egoist ist, ein um sein Wohl kämpfendes Einzelwesen. Unser wichtigster Trieb ist der Selbsterhaltungstrieb, der Überlebenstrieb. Nicht nur der Mensch, auch jede Pflanze, jedes Tier hat diese Triebe. Man schaue nur mal in ein Vogelnest, um zu begreifen, wie brutal um Nahrung und damit Leben gekämpft wird. Deswegen brauchen wir einen Rechtsstaat wie eine Solidargemeinschaft − für unseren Frieden, unsere Freiheit, unsere Sicherheit.

Als nach Flucht und Vertreibung unser Ruf nach Wahrheit erscholl, war vor allem die geschichtliche Wahrheit gefordert! Der Ruf nach Freiheit und Frieden ist ja nichts anderes als der Ruf nach Wahrheit. Wie heißt es in der Bibel? Nur die Wahrheit wird euch frei machen! Auch hinter der Forderung nach Recht und Gerechtigkeit verbirgt sich die Wahrheit, denn auch Gerechtigkeit bedarf der Wahrheit. Doch die Wahrheitsfindung scheint in einer pluralistischen Gesellschaft immer schwieriger. Nach der Entwertung aller Werte  durch die 68er Kulturrevolution scheint eine einvernehmliche Wahrheitsfindung geradezu utopisch. Der einzige Wert, der die Kulturrevolution überlebt hat, ist der Wert Geld. Doch was ist in Wahrheit das Geld wirklich noch wert? Alles kreist um den Mammon und glaubt, mit Geld alle Probleme lösen zu können. Wie illusionär!

Wer die heutige Zeit verstehen, den Zeitgeist richtig interpretieren will, muss wieder lernen, ihre Sprache zu verstehen. Diese ist ja nicht mehr eindeutig, sondern vieldeutig, weil meist abstrakt. Alle Rationalität, alle Vernunft ist vom Reden her zu erklären und nicht umgekehrt. Rationales Denken ist redefähiges Denken, logisch nachvollziehbares Denken! Doch was ist in unserer Zeit noch wirklich logisch nachvollziehbar? Schlagworte sind dies in der Regel nicht. Solch ein modernes politisches Modewort ist das Wort Krise. Jeder behauptet sie gesehen zu haben und verspricht sie zu bewältigen. Alle Parteien geben vor, die Zukunft zu gestalten. Doch was wissen wir von der Zukunft? Im Grunde nichts! Die Gegenwart ist ein flüchtiger Augenblick und alles was vor uns liegt, ist Zukunft. Worauf wir fest stehen, worauf wir bauen können, ist die Vergangenheit. Die Zukunft kommt ungeplant und / oder meistens nicht so, wie sie von uns geplant wurde. Wir würden sonst nicht von Krise zu Krise stolpern und mit der Bewältigung einer Krise sofort eine neue schaffen.

Wirklich menschliche Politik hat nicht auf die Veränderung des Menschen zu zielen, sondern auf die Beherrschung seiner Unzulänglichkeiten hinzuarbeiten. Wir Menschen sind nicht in der Lage, den Tod abzuschaffen. Wir sollten aber in der Lage sein, das kollektive Töten abzuschaffen. Wir Menschen sind nicht in der Lage, den Tod zu überwinden. Wir sollten aber in der Lage sein, das Verhungern von Menschen zu überwinden. Wir Menschen sind nicht in der Lage, das Wetter nach unseren Wünschen zu gestalten. Wir sollten aber in der Lage sein, uns besser vor dem Wetter zu schützen. Was will ich damit sagen? Politische Zielvorgaben dürfen nicht utopisch sein. Sie müssen die Realität des Menschen wie der Natur einbeziehen.

Die Politik lebt immer noch in dem Irrglauben, dass grundsätzlich alles machbar und auch vorhersagbar ist. Politiker wie Wissenschaftler spielen gerne den Laplaceschen Dämon. Es war der Glaube der klassischen Physik, dass alles in der Natur determiniert und damit berechenbar ist, wenn man nur die Randbedingungen kennt. Doch der Glaube, dass die Naturgesetze das zukünftige Geschehen vollständig festlegen, dass sich folglich der Ablauf des Geschehens mit beliebiger Genauigkeit vorhersagen lasse, ist ein Irrglaube. Die Quantenphysik wie die Relativitätstheorie haben offenbart, dass in der Natur ein Zustand plötzlich in einen anderen umschlagen kann, alles irgendwie chaotisch und folglich eine Vorhersage der Zukunft unmöglich ist. Am chaotischsten verhält sich unsere Atmosphäre, so dass alle Wettervorhersagen mit Unsicherheiten behaftet sind und nur eine sehr begrenzte Reichweite haben.

Wenn man sich die vielen von der Politik an die Wand gemalten Krisen anschaut, so findet man echte Krisen, vermeintliche Krisen aber auch eingebildete Krisen, die eher ein Zeichen für die Krise unserer Vernunft sind. Oft leitet das Krisenmanagement aufgrund falscher Prognosen erst das Unheil ein, das eigentlich verhindert werden sollte. Ein Beispiel? Nehmen wir die angebliche Bildungskrise, die unter anderem zur 68er Kulturrevolution führte.

 Man glaubte, diese Krise mit Geld, Geld und noch mehr Geld reformieren wie bewältigen zu können. Ist die Krise überwunden? Das Gegenteil ist eingetreten, sie hat sich eher verschärft. Immer wieder neue Milliardenspritzen sollen die Lösung bringen, doch was nützt alles Geld, wenn der Lernwillen, die Lernbereitschaft wie die Lerndisziplin nicht gefördert, sondern ins Belieben des Einzelnen gestellt werden?

Ordnung und Sicherheit in einem Staat können auch nur gewährleistet werden, wenn Rechtsdisziplin gefordert und die Einhaltung des Rechts überwacht wird. Es gilt: Kein Friede in der Gesellschaft ohne Gerechtigkeit, keine Gerechtigkeit ohne Frieden. Der Philosoph Immanuel Kant unterschied die Legalität als Handeln nach dem Gesetz von der Moralität als Handeln aus Achtung vor dem Gesetz. Wir Bürger, die wir zur Legalität wie Moralität vom Staat angehalten werden, haben das Recht zu verlangen, dass auch der Staat in all seinem Tun Legalität und Moralität wahrt. Wie kann ein Staat Tugendhaftigkeit von seinen Bürgern verlangen, wenn er selbst nicht tugendhaft ist?

Alle Krisen haben letzten Endes ihren Ursprung in der Politikkrise, die auf einem völlig falsch verstandenen Verständnis von Demokratie beruht. Die Tatsache, dass Regierungen an das Mehrheitsprinzip gebunden sind, erlaubt den regierenden Parteien nicht, sich über das Legalitätsprinzip hinwegzusetzen. Auch und vor allem der Staat muss sich dem Legalitätsprinzip unterordnen, sich auf seine Aufgaben beschränken und Maßhaltung üben. Das Legalitätsprinzip ist eine der größten moralischen Errungenschaften der Neuzeit. Alle hart erkämpften bürgerlichen Errungenschaften und Freiheiten, beginnend in England 1688, in den USA 1776, in Frankreich 1789, in Preußen 1794 mit dem Allgemeinen Landrecht sind als Stufen der Entwicklung der Menschenrechte anzusehen. Sie sind unveräußerliche, rechtlich unantastbare Freiheitsrechte jedes einzelnen  Menschen. Es sind individuelle Freiheitsrechte, die keine Regierung antasten darf, die sie schlicht und einfach zu schützen hat. Es gilt: Keine Gerechtigkeit ohne Freiheit, keine Freiheit ohne Gerechtigkeit. Auch hier hat Kant klare Worte gesagt: Freiheit ist das Dasein der Wahrheit. Denn Wahrheit ist nicht diktierte, sondern gesuchte und stets nur partiell gefundene Wahrheit.

Wir stellen fest: Alles politische Handeln ist nur dann dem Menschen gemäß, wenn die Unveräußerlichkeit der Würde des Menschen gewährleistet ist. Eine Demokratie kann ihren Bürgern nur dann Freiheit gewähren, wenn sie ein Rechtsstaat ist. Nur ein Rechtsstaat kann seinen Bürgern Rechtsgarantien wie den Rechtsschutz geben und somit Minderheiten vor Mehrheitsentscheidungen schützen. Dies ist in Zeiten der Globalisierung unabdingbar für das Zusammenleben von Menschen verschiedener Herkunft, Kultur und Geschichte in Frieden und Freiheit. Alles Leben unterliegt dem Zeitpfeil, ja die Zeit ist die Vorbedingung jeder Erfahrungswissenschaft. Wir werden die Zukunft nicht erschließen, wenn wir uns darauf beschränken, die Vergangenheit zu richten. Die Vergangenheit ist dazu da, um aus der Geschichte zu lernen und Fehler nicht zu wiederholen.  Der größte Fehler war die einseitige Ideologiegebundenheit, ja Ideologiebesessenheit. Auch heute blühen wieder zahllose Weltverbesserungsideologien und versuchen, sich Menschen mit Krisengesängen und Katstrophenängsten wie Sehnsüchten nach einer besseren Welt für Zwecke ihrer Macht nutzbar zu machen.

Offensichtlich haben wir aus der Geschichte wenig gelernt und fallen immer wieder in alte Denkschemata zurück. Daher unser Appell an den Rechtsstaat, strikt das Legalitätsprinzip zu wahren, Freiheit, Recht und Friede zu schützen und die Menschenrechte zu garantieren wie vom Grundgesetz gefordert: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“! Wenn wir Heimatvertriebenen, denen selbst schon das Recht auf Trauer streitig gemacht wird, dies einfordern, dann aus dem Bewusstsein heraus, dass ein Staat nur dann ein wirklich freiheitlicher Rechtsstaat ist, wenn er die Menschenrechte aller seiner Bürger auch konkret schützt. Der Staat ist zur Wiedergutmachung des Unrechts an seinen Bürgern verpflichtet, denn es sind die Bürger, die unter den Folgen einer verbrecherischen Politik zu leiden haben. Der Staat leidet nicht unter der Amputation der ostdeutschen Provinzen, wohl aber die Vertriebenen unter dem Verlust ihrer Heimat wie der andauernden Entrechtung.

Umso dankbarer sollte der Staat sein, dass die Vertriebenen auf zwischenmenschlicher Ebene über die neuen Grenzen hinweg Versöhnung praktizieren. Während die Staaten die Gespenster der Vergangenheit beschwören und Kollektivschuldthesen pflegen, bauen die Heimatvertriebenen tatkräftig an einem freiheitlichen und friedlichen „Haus Europa“.

Oppenheim, den 8. August 2010

Dr. Wolfgang Thüne

Lesen Sie Teil II (Schluss) nächste Woche an dieser Stelle.


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