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28.08.10 / Wie ein Apfel / Großmütter sind ein kostbarer Schatz

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 34-10 vom 28. August 2010

Wie ein Apfel
Großmütter sind ein kostbarer Schatz

Meine Oma poltert immer, es sei Unsinn in eine Stadt zu ziehen, wo alles in großem Rahmen abläuft, und wo besonders der Chic dominiert. „Aber so hinterwäldlerisch kann man doch nicht denken“, sagt meine Schwester Jutta und verzieht abfällig ihre Mundwinkel.

Jutta hat Mut, denn Oma zu widersprechen wagt fast keiner aus der Familie; Oma fährt einem sofort über den Mund, aber so, dass sich Pitter, unser Kater, der es sonst mit jedem Dorfköter aufnimmt, mit eingezogenem Schwanz unter das Sofa verzieht.

„Alle meine Verwandten leben auf dem Dorf“, regt sie sich auf, „dort wo es überall grün ist, wo der Igel noch unterm Laubhaufen Winterschlaf hält, wo man mit den Dorfbewohnern gemütlich Tee trinken und über andere herziehen kann, wo man in die Wolken schauen darf, ohne als Träumerin dazustehen, wo die Kinder noch mit Puppen spielen, und wo es absolut kein Unsinn ist ein bisschen neben sich zu sein, wenigstens einen Augenblick lang.“

„Wo – wo – wo“, lacht Jutta spöttisch, „und wo man womöglich auch noch jeden Sonntag zur Kirche geht.“

„Gehst du etwa nicht?“ fragt Oma dann entsetzt und wischt sich kurz mit dem Schürzenzipfel über die Augen. „Schäm dich, Kind!“

Und die Atmosphäre in Omas Stube ist wieder mal zum Zerreißen gespannt. Doch da ist das Gewitter auch schon vorbei, Oma hat sich abreagiert und verteilt nun wie als Entschuldigung ihre herrlichen Äpfel aus dem eigenen Garten.

„Kommt, lasst uns meine Äppel schmausen“, ruft sie, „womöglich mit Strunk und Stiel, und seid wieder fröhlich. Ich bin es ja auch. Meinetwegen zieht sonstwohin, und sei es nach Xanten oder Buxtehude. Mir ist jedenfalls mein Dorf heilig.“

‘In manchen Dingen hat sie ja Recht’, denke ich meist so vor mich hin, ‚in Xanten gibt es bestimmt keinen Kater, dessen nächtliche Liebesrufe sich wie eine Kreissäge anhören, und vor allem gibt es keine Oma, deren Gesicht so ein bisschen verschrumpelt, aber rot und süß ist wie ein gereifter Apfel. Ja, das Gesicht meiner Oma sieht tatsächlich aus wie ein Apfel, zwar einer von der süßsauren Sorte, aber das sind immer noch die besten, selbst wenn hin und wieder der Wurm drin ist.             Gabriele Lins


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