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28.08.10 / Marktkampf ohne Regeln / Viele billige Lebensmittel enthalten heute oft nur noch »nahrungsmittelähnliche Substanzen«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 34-10 vom 28. August 2010

Marktkampf ohne Regeln
Viele billige Lebensmittel enthalten heute oft nur noch »nahrungsmittelähnliche Substanzen«

Infolge der Globalisierung hat sich die Nahrungsmittelindustrie weltweit zu einer Art Diktator hinsichtlich Produktion und Handel von Lebensmitteln entwickelt. Die Verteilung liegt in den Händen der Marktführer.

Den wenigsten Konsumenten dürfte bekannt sein, dass acht große Handelsgruppen mehr als 95 Prozent des Lebensmittelumsatzes in Deutschland erwirtschaften. Kollateralschäden dieses in Teilen der Welt fast ohne Regeln ausgetragenenen Marktkampfes sind die Folge, und eine Neuorientierung nicht nur des Nahrungsmittelsektors weltweit ist daher notwendig. Darüber hat die Journalistin Tanja Busse ein aufrüttelndes Buch geschrieben: „Die Ernährungsdiktatur – Warum wir nicht länger essen dürfen, was uns die Industrie auftischt.“

Möglichst billig und standardisiert werden die Produkte unseres Supermarktangebots erzeugt, stets unter dem Druck der Kostenminimierung und Gewinnsteigerung. Die billige Herstellung der Rohstoffe Weizen, Mais, Reis, Fleisch und Soja beruht auf globalen Handelsströmen per Container, während die Grundlagen oft zerstört werden: Die Böden verlieren an Fruchtbarkeit, werden überdüngt und mit Pestiziden vergiftet. Indessen schreitet die klimaschädliche Vernichtung des tropischen Regenwaldes für Palmölplantagen ungebremst fort, wobei die Waldbewohner allzu oft vertrieben werden. In den gemäßigten Breiten werden die ehemaligen Kleinbauern, die eine Vielfalt an Feldfrüchten erzeugten, zu Arbeitern auf riesigen Soja-Anpflanzungen.

Wer den Supermarkt mit gefüllten Plastiktüten verlässt, wird selten darüber nachdenken, wie die erworbenen Lebensmittel und ihre Verpackungen erzeugt wurden. Bei vielen Produkten, so die Autorin, werden immer dieselben Farbstoffe, Aromen und Geschmacksverstärker eingesetzt, dazu Gewürze und vor allem Zucker, wobei viele Stoffe im Endprodukt gar nicht mehr genannt werden. Von haarsträubenden Inhaltstoffen lesen wir, und der amerikanische Journalist Michael Pollan geht so weit zu behaupten, „dass das meiste von dem, was wir heute essen, genau genommen überhaupt keine Lebensmittel mehr sind“. Es seien dick und krank machende „nahrungsmittelähnliche Substanzen“. Über die andere Seite dieser Fehlentwick-lung erfährt man: Nach wie vor gibt die EU Milliarden jährlich aus, „um Überschüsse zu produzieren und gleichzeitig dafür, um sie auf dem Weltmarkt wieder loszuwerden“.

Längst prangern Menschenrechtsorganisationen die billigen Exporte aus der Europäischen Union nach Afrika und Hungerländern anderer Kontinente an, die das Angebot der Anbieter vor Ort an Fleisch und Getreide unterlaufen. Gleichzeitig wird unsere europäische Landwirtschaft nach wie vor mit hohen Zöllen vor Importen geschützt.

Seit 20 Jahren kämpfen Aktivisten wie Rudolf Buntzel gegen diese Fehlentwicklung. Er sagt, die Interessenverbände seien so gut organisiert, dass sie sich bisher erfolgreich gegen den von Agrarpolitikern geforderten Abbau von Exportsubventionen wehren konnten.

Der dritte Aspekt dieses Themas: Ohne die Futtermittel- und Agrosprit-Importe wie Palmöl aus Drittweltländern würde unsere industrialisierte Tierhaltung nicht funktionieren.

„Esst weniger Fleisch, baut keine neuen Mastställe!“, rufen die von der Autorin zu Rate gezogenen Experten den Verbrauchern zu. Da wir für die Tiermast, für Wurst und Käse billiges Soja aus Südamerika benötigen, schwindet dort infolge von Monokulturen der Artenreichtum. Das nehmen die Erzeuger in Lateinamerika in Kauf, da sie auf diese Weise Devisen erwirtschaften, mit denen sie ihre Schulden bedienen können.

Vorläufig gibt es auf diesem durch politische Entscheidungen und den Einfluss der Konzerne abgesteck-ten Feld nichts Ermutigendes zu berichten.

Das Buch hat die Autorin „den Bauernhöfen meiner Großeltern, die es nicht mehr gibt“ gewidmet. „Und der kleinbäuerlichen Avantgarde.“

            Dagmar Jestrzemski

Tanja Busse: „Ernährungsdiktatur – Warum wir nicht länger essen dürfen, was uns die Industrie auftischt“, Karl Blessing Verlag, München 2010, kartoniert, 332 Seiten, 16,95 Euro


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