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04.09.10 / Verlierer ist die Sicherheit / Sicherungsverwahrung: Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte erzwingt abenteuerliches Konstrukt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35-10 vom 04. September 2010

Verlierer ist die Sicherheit
Sicherungsverwahrung: Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte erzwingt abenteuerliches Konstrukt

Mit einem Scheinkompromiss zur Sicherungsverwahrung für hochgefährliche Schwerverbrecher rettet das schwarz-gelbe Bündnis den Koalitionsfrieden, vermutlich auf Kosten der bedrohten Bevölkerung und in jedem Fall des Steuerzahlers. Der Fall zeigt, zu welch abenteuerlichen Rechtskonstruktionen Urteile Europäischer Gerichte Deutschland zwingen können.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg ist nicht – wie in breiten Kreisen der Bevölkerung fälschlich angenommen – eine Einrichtung der EU, sondern des Europarates. Hier fällen mitunter also auch Richter aus zweifelhaften Staaten Urteile über die Menschrechtslage in Deutschland und Italien – bekanntes Beispiel ist das Verdikt gegen Schulkreuze in Italien vom November 2009, als ausgerechnet ein türkischer Richter verkündete, das Symbol der Christenheit verstoße gegen die Menschenrechte.

Beinahe gleichzeitig, im Dezember 2009, entschied der EGMR, die rückwirkend verhängte unbegrenzte nachträgliche Sicherungsverwahrung in Deutschland sei ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot – und damit gegen die Menschenrechte der aufgrund dieser Maßnahme einsitzenden Schwerverbrecher. Das Gericht hat also keineswegs – wie von FDP-Seite fälschlich behauptet – die nachträgliche Sicherungsverwahrung generell abgelehnt, sondern nur die rückwirkende nachträgliche Verhängung der unbegrenzten Sicherungsverwahrung aufgrund eines während der Haftzeit geänderten Gesetzes. Bis 1998 war die nachträgliche Sicherungsverwahrung nämlich auf zehn Jahre begrenzt, ehe eine Gesetzesänderung diese Schranke aufhob, um die Bevölkerung vor neuen Untaten haftentlassener Schwerverbrecher zu schützen – vor allem Sexualstraftäter und Mörder, bei denen die besondere Gefährlichkeit erst während der Haftzeit erkannt wird.

Der EGMR-Richterspruch könnte theoretisch rund 80 Gefangenen in Deutschland zur Freilassung verhelfen. 15 mussten bereits freigelassen werden – zum Schutz der Bevölkerung überwacht die Polizei diese Tätergruppe mit hohem personellen und finanziellen Aufwand rund um die Uhr. Die Zeit für eine Neuregelung drängt, denn im Lauf des Jahres könnten noch mehr der hochgefährlichen Schwerverbrecher auf freien Fuß kommen. Auch störte sich der EGMR daran, dass die Sicherungsverwahrung in der praktischen Umsetzung eine Verlängerung der Haft ist, also meist in Gefängnissen abgebüßt wird.

Der nun gefundene Kompromiss sieht so aus: Ein Großteil der bereits einsitzenden und offenbar gemeingefährlichen Schwerverbrecher soll mehr oder weniger für „psychisch gestört“ erklärt werden, durch je zwei unabhängige Gutachter vor Landgerichten. Die Bundesländer sollen schnell (und mit Millionenaufwand) eigene geschlossene forensische Anstalten schaffen, in denen die Sicherungsverwahrten „therapiert“ werden.

Im Eckpunktepapier der Regierung, das CDU-Innenminister Thomas de Maiziére und Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gemeinsam vorstellten, heißt es, die Verurteilten sollten „nach Möglichkeit den Weg in ein Leben ohne Straftaten finden, wie es auch dem berechtigten Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit entspricht“. Neue Konzepte und spezifische Therapieangebote für die Täter sollen dafür sorgen, dass deren Lebensführung „nur so weit eingeschränkt wird, wie dies für die Durchführung einer Therapie in einer geschlossenen Einrichtung nötig ist“. Dieser Formulierung merkt man die Handschrift von Leutheusser-Schnarrenberger an, gleichzeitig dürfte dies ein Kotau vor den Wünschen des EGMR sein.

Wie dies im Einzelnen ausgestaltet wird, hängt von den Ländern ab. Man darf davon ausgehen, dass diese Anstalten etwa im CSU-regierten Bayern anders aussehen werden als im rot-grünen NRW oder im rot-roten Berlin – wenn es überhaupt dazu kommt: Mehrere Ländervertreter von SPD und Grünen haben bereits Ablehnung über den Bundesrat angekündigt, die Bundes-SPD hingegen signalisierte Zustimmung.

Für künftige Fälle soll das Instrument der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung ausgebaut werden. Richter sollen häufiger als bisher schon im Urteil feststellen, dass der Täter möglicherweise rückfallgefährdet ist, was dann aber endgültig doch wieder während der Haftzeit festgestellt werden muss. Die bisherige nachträgliche Sicherungsverwahrung ist weiter ein Streitpunkt zwischen den Koalitionären: Die Union will sie beibehalten, Leutheusser abschaffen. Das muss im Lauf des parlamentarischen Verfahrens ausgekartelt werden. Insgesamt hat die Union nach heftigen Protesten speziell aus der CSU den verun- glückten Gesetzentwurf Leutheusser-Schnarrenbergers – er hätte vermutlich zur schnellen Freilassung aller 80 in Rede stehenden Verbrecher geführt – noch in vielen Punkten nachgebessert, nachdem er unverständlicherweise bereits das Bundeskabinett passiert hatte.

Hinter dem Projekt stehen weiter eine Menge Fragezeichen: Fraglich ist, ob die Regelung erstens den gewünschten Effekt erzielt, die Bevölkerung zuverlässig vor gefährlichen Straftätern zu schützen, zweitens, welche Kosten auf die Länder zukommen – die Rede ist von dreistelligen Millionenbeträgen, die man anderweitig sicher besser anlegen könnte –, und drittens, ob die Neuregelung letztlich vor dem EGMR und dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben wird. Schon im Spätherbst stehen nämlich in Karlsruhe weitere sechs Klagen von Sicherungsverwahrten zur Entscheidung an. Anton Heinrich


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