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04.09.10 / Geschichte der Rekonstruktion / Eine Ausstellung in München beleuchtet die Beweggründe für die Wiederherstellung zerstörter Gebäude

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35-10 vom 04. September 2010

Geschichte der Rekonstruktion
Eine Ausstellung in München beleuchtet die Beweggründe für die Wiederherstellung zerstörter Gebäude

Die Geschichte der Wiederherstellung zerstörter Bauwerke ist fast so alt wie der Hausbau selbst. Um die Diskussion darum zu versachlichen und auf eine breite Dokumentationsbasis zu stellen, präsentiert das Architekturmuseum der Technischen Universität München in der Pinakothek der Moderne eine Ausstellung.

Anhand von 85 repräsentativen Fallbeispielen aus aller Welt, die von der Antike bis zur Gegenwart reichen, werden in zehn thematischen Abteilungen die unterschiedlichen Beweggründe für die Wiederherstellung verlorener Bauten dargestellt und analysiert. Die Chinesische Mauer steht ebenso im Blickpunkt wie Paul Gauguins mit Schlafzimmer und Atelier ausgestattete Holzhütte auf der Insel Hiva Oa. Der seit anno 690 alle 20 Jahre exakt kopierte Ise-Schrein in Japan wird ebenso vorgestellt wie das vor einigen Jahren mit angeschlossenem Einkaufszentrum wiedererbaute Braunschweiger Residenzschloss. Der Veranschaulichung dienen Modelle und Baupläne, Gemälde, Grafiken, Fotos und bewegte Bilder. Im Dreischritt werden 200 weitere Rekonstruktionen knapp angesprochen: Das erste Bild zeigt den originalen Bau, das zweite den zerstörten, das dritte den wiederhergestellten.

Zur grundsätzlichen Bedeutung von Bauwerken erklärt Winfried Nerdinger, der Direktor des Architekturmuseums: „Zur Ausbildung und Prägung eines kulturellen Gedächtnisses spielen Bauten, als exponierte und jedem direkt vor Augen stehende Zeugnisse der Vergangenheit, von jeher eine besondere Rolle.“ Indem sie das Bewusstsein für eine gemeinsame Vergangenheit schaffen, sind sie ein starkes Bindeglied für das Gefühl lokaler und nationaler Zusammengehörigkeit und Identität. So war es zum Beispiel für den Bürgermeister von Venedig selbstverständlich, dass der 1902 eingestürzte Campanile auf dem Markusplatz sofort wieder aufgebaut wird. Er verkündete: „Wie es war, wo es war.“

Zum Auftakt beleuchtet die Schau Rekonstruktionen an heiligen Orten, die der Sicherung religiöser Kontinuität dienen. Eine Federzeichnung von 1606 zeigt den Dom zu Speyer vor seiner Zerstörung 1689 durch französische Truppen im Pfälzischen Erbfolgekrieg. Fast 100 Jahre blieb er Torso. Dann erfolgte der Wiederaufbau mit der Vorgabe, so viel wie möglich vom alten Bau zu erhalten und das Verlorene unter Orientierung an den alten Formen zu ergänzen. Eva-Maria Seng berichtet im Katalog: „Solche antiquarischen Strömungen sind seit 1750 allgemein feststellbar.“

Diese Form der schöpferischen Wiederherstellung, die verlorene Bauteile in idealtypischer Weise ergänzte, war im 19. Jahrhundert besonders beliebt. Winfried Speitkamp berichtet in seinem Katalogaufsatz: So erst entstand „die deutsche Erinnerungslandschaft, wie sie heute überliefert ist und das Bild der Geschichte vor dem 19. Jahrhundert nachhaltig prägte und prägt.“

Prominente Beispiele sind die Burgen am Mittelrhein, etwa Burg Stolzenfels. Deren Ruine machte die Stadt Koblenz dem preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm zum Geschenk. Ein Modell präsentiert uns die 1836 bis 1847 auf Rechnung des Kronprinzen wiederhergestellte Burganlage – die vor ihrer Zerstörung so nie ausgesehen hat.

Als Touristenattraktionen be-sonders geschätzt sind auch weit über 1000 Jahre nach ihrem Untergang vorgenommene Rekonstruktionen antiker Bauten. Zu ihnen gehört das Limeskastell Saalburg (2. Jahrhundert nach Christus) bei Bad Homburg im Taunus. Kaiser Wilhelm II. legte 1900 den Grundstein für den Wiederaufbau des Kommandanturbaus („Principia“). Doch schon bald war klar, dass solche Bauten einst ganz anders ausgesehen hatten. Das vergrößerte die Skepsis gegen Rekonstruktionen, nachdem sich schon Ende des 19. Jahrhunderts erster Widerstand gegen die Wiederherstellung historischer Bauten geregt hatte.

Auf der „Generalversammlung des Gesammtvereins der deutschen Geschichts- und Alterthumsvereine“ in Kassel 1882 prägte der Archivar Hermann Grotefend die Formel: „Conservieren, nicht restaurieren“.

Aber erst nach den ungeheuren Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg ist die Wiederherstellung historischer Bauten zur jedermann berührenden öffentlichen Angelegenheit geworden. Die Rekonstruktionsgegner behaupteten, dass man mit architektonischen Wiederherstellungen die Spuren des Nationalsozialismus und damit auch der eigenen Mitschuld löschen wolle.

Der Schriftsteller Hermann Hesse hielt 1947 dagegen: „Vielleicht ist die Zahl der Menschen, in Deutschland wie außerhalb, heute noch nicht so sehr groß, welche vorauszusehen vermögen, als welch vitaler Verlust, als welch trauriger Krankheitsherd sich die Zerstörung der historischen Stätten erweisen wird.“

Originalgetreuer als die kürzlich unter Verwendung authentischer Bauteile jeweils an der ursprünglichen Stelle neu erstandene Dresdener Frauenkirche ist noch nie ein Bau wiederhergestellt worden. Vorbildlich erfüllt die Frauenkirche die Grundsätze heutiger Rekonstruktionen: Die fehlende Teile ersetzenden Elemente müssen vom Originalbestand unterscheidbar sein, damit die Restaurierung den Wert des Denkmals als Kunst- und Geschichtsdokument nicht verfälscht.          Veit-Mario Thiede

Die Ausstellung ist bis zum 31. Oktober im Architekturmuseum in der Pinakothek der Moderne, Barer Straße 40, München, dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr zu sehen. Der Katalog aus dem Prestel Verlag kostet im Museum 45 Euro, im Buchhandel 69 Euro. Eintritt 10/7 Euro.


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