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11.09.10 / Wirklichkeit erstickt Kinderwunsch / Unsichere Arbeitsplätze, instabile Beziehungen und unflexible Betreuungsmöglichkeiten wirken sich aus

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 36-10 vom 11. September 2010

Wirklichkeit erstickt Kinderwunsch
Unsichere Arbeitsplätze, instabile Beziehungen und unflexible Betreuungsmöglichkeiten wirken sich aus

Thilo Sarrazin befasst sich in „Deutschland schafft sich ab“ keineswegs nur mit dem Thema Integration. Auch rechnet er vor, wie sich wichtige wirtschaftliche Daten bei der jetzigen Geburtenziffer von 1,38 Kindern je Frau verschlechtern werden und um wieviel besser alles wäre, wenn die Geburtenziffer wenigstens bei 1,6 läge. Laut Umfrage wünschen sich die Deutschen auch Kinder, doch in den Geburtenzahlen schlägt sich dieser Wunsch nicht nieder.

„Entschuldigung, ich bin mal wieder nicht rechtzeitig aus dem Büro rausgekommen und dann war noch ein Traktor auf der Landstraße vor mir“, abgehetzt eilt die Mutter über den Schulflur. Schon wieder ist sie eine Viertel Stunde zu spät, um ihren Sohn abzuholen. Doch die 61-jährige Grundschulbetreuerin sagt schon gar nichts mehr, schiebt der Frau ihren Sohn entgegen und schließt den Raum ab. Ihr tun die Mütter von heute leid, sie zerreißen sich zwischen Arbeit und Familie und irgendwie kommt alles zu kurz. Wie viel besser hatte sie es doch, dass sie sich in den 80er und 90er Jahren ganz der Familie hat widmen können. Obwohl: Schon damals war es eng, mit nur einem Gehalt über die Runden zu kommen. Noch heute maulen ihr ihre Töchter die Ohren voll, dass sie traumatisiert seien wegen der Klamotten von C&A und des uralten Familienautos, was ihnen damals beides Hänseleien in der Schule eingebracht habe.

Keine 70 Kilometer Luftlinie entfernt bricht für den 45-jährigen Familienvater Markus Schümann gerade die Welt zusammen. Eben wurde ihm und seinen Kollegen mitgeteilt, dass ihr Arbeitgeber mit einem anderen Unternehmen fusioniert. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass sein Arbeitsplatz nach der Fusion nicht mehr existieren wird. Er denkt an seine Frau, die auf sein Drängen seit nun zwölf Jahren zu Hause ist, sich ganz um die drei Kinder kümmert und sich darauf verlässt, dass er das Geld verdient, um die Hausfinanzierung, das Auto und alle laufenden Kosten zu bezahlen. Doch was wird nun? Wo bekommt er in seinem nicht mehr ganz jugendlichen Alter in der strukturschwachen Region schnell einen neuen Job her, bevor er und seine Familie nachher gar zum Hartz-IV-Fall werden?

Diese beiden Beispiele zeigen, welche Gefahren und Entsagungen es in sich birgt, wenn Familien nur auf ein Einkommen setzen. Die „Flexibilisierung des Arbeitsmarktes im Rahmen der Globalisierung“, wie es so schön heißt, hat dazu geführt, dass Arbeitnehmer schlechter vor Kündigungen geschützt sind und in den letzten Jahren immer öfter auf Gehaltserhöhungen, Weihnachts- und Urlaubsgeld verzichten mussten. Wobei der Staat als Arbeitgeber hier vor allem im Bereich der Akademiker keine Vorbildfunktion übernimmt. Zwar hatte Ursula von der Leyen (CDU) in ihrer früheren Funktion als Bundesfamilienministerin betont, wie wichtig es sei, dass auch viele Akademiker Kinder bekämen, doch gerade die Hochschulen bieten häufig nur befristete Stellen, die eine langfristige private Planung unmöglich machen.

Erfreulicherweise ist das allgemeine Wohlstandsniveau trotz allem gestiegen, doch das lässt sich immer öfter nur finanzieren, wenn das Familieneinkommen aus mehr als einem Gehalt besteht. Erfüllen sich junge Paare nun ihren Kinderwunsch, stecken sie häufig in der Zwickmühle, entweder ihre Konsumwünsche oder die Zahl der Wunschkinder zu reduzieren oder den für ein Baby daheim bleibenden Elternteil schnell wieder in die Berufstätigkeit − zumindest Teilzeit − zurückkehren zu lassen. Das hat dann zur Folge, dass immer öfter Betreuungsplätze für Kinder nachgefragt werden. Bei der Ende August veröffentlichten Allensbach-Umfrage wünschten sich so auch die meisten befragten Eltern einen Ausbau der Kinderbetreuung. Hier wiesen vor allem Frauen darauf hin, dass sie sich flexiblere Betreuungszeiten wünschten. Die Mehrheit der Befragten zog den Ausbau von Kindergartenplätzen sogar einer stärkeren direkten finanziellen Unterstützung vom Staat vor.

Immer wieder hört man Eltern von den Mühen berichten, Betreuungsplätze in der Nähe zu bekommen und Arbeit und Betreuungszeiten miteinander in Einklang zu bringen. So mancher Wunsch nach einem weiteren Kind blieb wohl auch durch das Hin- und Hergehetze zwischen Kita, Arbeit, Arbeit und Kita auf der Strecke.

Neben den finanziellen Gründen strebt zwar ein Teil der jungen Mütter auch aus Gründen der Karriere schnell wieder zurück in den Beruf, doch hier sind ihre Motive häufig anders gelagert, als es sich die Frauenbewegung der 60er und 70er Jahre vorgestellt hat. Die jungen Mütter von heute wissen, dass sie bis 67 Jahre arbeiten müssen, sie haben häufig gesehen, welche negativen beruflichen Folgen eine zu lange Kinderpause bei ihren eigenen Müttern hatte und sie wissen, dass Beziehungen heute nicht mehr für die Ewigkeit gemacht sind. Vor allem gut ausgebildete Frauen wollen nicht das Risiko eingehen, im Falle einer Trennung vom Kindsvater plötzlich zum Sozialfall zu werden. Sie sind sich bewusst, dass alleinerziehende Mütter die Armutsstatistiken anführen und das neue Unterhaltsrecht ihnen sogar eine berufliche Tätigkeit abverlangt. Außerdem ist es für viele auch schlicht ein schönes Gefühl, für einige Stunden am Tag die eigenen beruflichen Fähigkeiten einzusetzen, zumal Familienarbeit in der heutigen Gesellschaft wenig Anerkennung erfährt.

Aber auch Veränderungen im Privaten haben dazu geführt, dass die Deutschen sich ihre Kinderwünsche nicht erfüllen. Zwar betont die Studie „Jugendsexualität 2010“ der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, dass junge Menschen heute später Sex haben und dann auch häufig mit einem festen Partner, trotz allem handelt es sich hier zumeist um Lebensabschnittspartner. Während bis vor wenigen Jahrzehnten überwiegend mit Anfang 20 eine Familie gegründet wurde, setzt die Familiengründungsphase heute gut ein Jahrzehnt später ein. Ob man dann allerdings gerade den richtigen Partner hat und dann auch noch biologisch alles klappt, wie es soll, ist ungewiss. Rebecca Bellano


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