29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
11.09.10 / »Wettbewerb der Mörder« aufgedeckt / In der Wojwodina wird das Schicksal der Donauschwaben aufgearbeitet − Die Vertriebenen wurden bereits 2003 rehabilitiert

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 36-10 vom 11. September 2010

»Wettbewerb der Mörder« aufgedeckt
In der Wojwodina wird das Schicksal der Donauschwaben aufgearbeitet − Die Vertriebenen wurden bereits 2003 rehabilitiert

Die Wojwodina blickt auf ein langes und meist gedeihliches Miteinander von Serben, Ungarn, Deutschen und anderen Volksgruppen zurück. Heute will die zu Serbien gehörende Region wieder an diese Tradition anknüpfen.

Sandor Egeresi, Präsident des Parlaments der Autonomen Provinz Wojwodina, weilte kürzlich in Ulm. Dort ist stets etwas in Sachen Donau-Verbundenheit zu bereden, derzeit die Strategie zur „Donau-Euroregion“, die Mitte 2011 unter ungarischer EU-Präsidentschaft starten soll. Ende September wird Egeresi den „traditionellen“ Besuch der Donauschwaben empfangen, der Nachfahren jener Deutschen, die ab dem späten 17. Jahrhundert auf ihren „Ulmer Schachteln“ angeschippert kamen. Erst sie haben nach der Rückeroberung der Region von den Türken mit neuen Agrartechniken der Wojwodina zu Reichtum verholfen.

Die Wojwodina war bis zu den Türkenkriegen im 16. Jahrhundert mehrheitlich von Serben besiedelt, gehörte aber bis 1918 zum habsburgischen Ungarn. Unter ungarischem Chauvinismus vor allem ab 1867 hatten Serben und Donauschwaben gleichermaßen zu leiden, was ihr zunächst problemfreies Zusammenleben im späteren Jugoslawien erklärte. Laut Volkszählung von 1931 lebten 478640 Deutsche in Jugoslawien, kurz vor dem Zweiten Weltkrieg waren es 558000, 1948 aber nur noch 55337, dann 8712 (1981), 3901 (2002), davon 3154 in der Wojwodina. Deutsche gehen von einer manipulierten Zahl aus, was die elf Verbände der Wojwodina-Deutschen daran hindern soll, sich zu einem „Deutschen Nationalrat“ zusammenzuschließen.

Der Germanist Zoran Ziletic, Ehrenpräsident der 1991 gegründeten „Vereinigung für serbisch-deutsche Zusammenarbeit“, und der Historiker Zoran Janjetovic sind nur zwei von mehreren, die sich kundig und engagiert um historische Aufarbeitung bemühen. Dazu zählt auch der Schriftsteller Nenad Novak Stefanovic, der mit bislang drei Büchern die Nachkriegsleiden der Donauschwaben beschrieb. Diese Autoren folgen dem slowenischen Philosophen Taras Kermauner (1930–2008), der schon im Juli 1987 rügte: „Wir Slowenen und Serben rühmen uns, nie einen Völkermord verursacht zu haben. Und was bedeutet die Endlösung der deutschen Frage in der Wojwodina?“ Diese provokante Frage griff die Belgrader Wochenzeitung „NIN“ auf und beantwortete sie rückhaltlos in der fünfteiligen Artikelreihe „Das Schicksal der Volksdeutschen in Jugoslawien“.

Deutsche Blätter aus der Wojwodina, etwa „Fenster“ aus Karlowitz (Sremski Karlovci), betonen: Deutsche waren vogelfrei, nachdem der AVNOJ, höchstes politisches Machtorgan der Tito-Partisanen, ihnen 1944/45 mit 37 Beschlüssen und Dekreten Staatsbürgerschaft, Rechte und alles Eigentum wegnahm. Allein in der Wojwodina wurden Deutschen 380256 Hektar Land weggenommen und bis Jahresende 1945 an 45000 „verdiente Partisanen“ vergeben.

Darüber schwieg man lange, bis das Parlament der Wojwodina 2003 seine „Resolution über die Nichtanerkennung von Kollektivschuld“ beschloss und darin „Einsatz für die volle Rehabilitierung aller Vertriebenen und aller, die während des Krieges und danach unschuldig drangsaliert wurden“, zusagte. Daran arbeitete man  schon seit Ende 2000, als das Parlament eine Untersuchungskommission von Kriegsverbrechen in den Jahren 1941 bis 1948 einsetzte. Die von dem Historiker Dragoljub Zivkovic geleitete 50-köpfige Kommission verteilte 300000 Fragebögen und sammelte 30000 Zeugenaussagen. Nach sieben Jahren Arbeit resümierte Zivkovic: „Es ist ergreifend, wie alle unsere Deutschen leiden mussten.“ Anstelle der bislang angenommen 70000 Opfer aller Nationalitäten kam auf man 110000 – „nur unschuldige Opfer, keine Waffenträger“.

Einiges davon war schon bekannt: Ende 1944 hatte die im Norden Jugoslawiens operierende Sowjetarmee 11000 Deutsche, meist Frauen, nach Russland deportiert. Bei Kriegsende zählten die Jugoslawen 80000 deutsche Kriegsgefangene, darunter 7000 Volksdeutsche. Denen ist nicht viel passiert, weniger als den deutschen Zivilisten, die in 72 Lagern interniert waren. Als „Lager“ dienten meist Viertel der deutschen Dörfer, die mit Stacheldraht umzäunt wurden. Kinder wurden von ihren Eltern getrennt und mit Alten und Kranken zusammengesperrt, und alle waren auf Monate hinaus der Willkür der Bewacher ausgesetzt. Nahrung gab es kaum, medizinische Betreuung erst ab 1947. Im März 1948 wurden die Lager aufgelöst, bis dahin waren mindestens 47000 Deutsche umgekommen.

Im August 2006 hat die Zivkovic-Kommission ihre Arbeit beendet, zuvor eine unerwartete Fülle von Material gesichtet, oft von Tätern hinterlassen. Wer die meisten „Gegner“ umbrachte, wurde befördert und das erklärt „die Leidenschaft der Täter, Spuren zu hinterlassen und zu notieren, wen sie umgebracht haben“: 47000 Serben, 17000 Donauschwaben, 6000 Ungarn und so weiter allein in der Wojwodina.

Nach dem Lagerelend galt von 1950 bis 1960 ein „Repatriierungsvertrag“, den neun Zehntel der verbliebenen Deutschen zur Aussiedlung nach Deutschland nutzten. Nach 1960 besuchten erste Deutsche die alte Heimat, wo man sie meist freundlich aufnahm und ihnen erbetene Familiendokumente problemlos aushändigte. Donau-schwaben gab es kaum noch, aber in Deutschland 600000 „Jugo-Schwaben“, Gastarbeiter, die von 1961 bis 1984 27 Milliarden D-Mark nach Hause schickten.

Seit 2000 wurden an immer mehr Orten der Wojwodina Gedenktafeln aufgestellt, und seit Mai 2009 sind die CDs „Auf dem Weg zur Wahrheit“ zu haben, die die Ergebnisse der Zivkovic-Kommission enthalten. Wegen Geldmangels konnte man sie nicht als Buch herausbringen.           Wolf Oschlies


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren