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11.09.10 / Über fehlende Eliten und mehr / »Welt«-Mitarbeiter zieht aufschlussreiche Bilanz der deutschen Einheit

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 36-10 vom 11. September 2010

Über fehlende Eliten und mehr
»Welt«-Mitarbeiter zieht aufschlussreiche Bilanz der deutschen Einheit

Seit 20 Jahren sind Westdeutschland und die ehemalige DDR nun vereint, doch noch heute gibt es Dinge, die den Journalisten Claus Christian Malzahn in der deutsch-deutschen Debatte zu kurz gekommen sind. In „Deutschland 2.0 – Eine vorläufige Bilanz der Einheit“ weist er beispielsweise darauf hin, dass viele von denen, die damals auf die Straße gingen und riefen „Wir sind das Volk“, gar nicht unbedingt die deutsche Einheit anstrebten. Selbst nach dem Mauerfall habe es viele Engagierte in den neu entstandenen Bürgerinitiativen gegeben, die in erster Linie eine modernisierte, aber trotz allem noch sozialistische DDR angestrebt hätten.

Dabei betont er, wie kontraproduktiv der vom Westen praktizierte Freikauf von politischen DDR-Häftlingen für die Herausbildung einer bürgerlichen Bewegung gewesen sei. „Eine schlagkräftige DDR-Opposition kann sich lange Zeit auch deshalb nicht aufbauen, weil diejenigen, die genug Mut und Organisationstalent besitzen, gerade wieder in einem D-Zug nach Westen gesetzt werden. Was für den einzelnen Dissidenten eine ,humane Lösung‘ – so der deutsch-deutsche Sprachgebrauch bei der Abwicklung solcher Grenzfälle – bedeutet, raubt der demokratischen Bewegung immer wieder das nötige kritische Potenzial, die unverzichtbaren Erfahrungen im illegalen Kampf. Und mit jedem, der geht oder gehen muss, fehlt der Opposition auch ein Stück Geschichte – und Selbstbewusstsein.“

Der leitende Redakteur bei der „Welt“-Gruppe sieht in dem massenhaften Wegzug der freiheitlich orientierten DDR-Bürger gen Westen vor, während und nach dem Mauerfall einen Grund, warum die bürgerlichen Parteien in den neuen Bundesländern nie ihren Bedarf an qualifiziertem politischen Führungspotenzial decken konnten, hingegen aber die SED-PDS-Linke keine Probleme hatte, Personal zu rekrutieren, das nur wenig politischen Gegenwind erfuhr.

Als einen Grund, warum es vergleichbar viele ehemalige DDR-Bürger gebe, die den alten Zeiten hinterhertrauern und über Westdeutschland klagen, sieht Malzahn den Umstand, dass die Bewohner der neuen Bundesländer nach dem Fall der Mauer relativ sanft durch die Milliardentransfers aus dem Westen aufgefangen worden seien. Während andere ehemalige kommunistische Staaten wie Polen den wirtschaftlichen Umbruch aus eigener Kraft meistern mussten, und die Fortschritte daher eher wertzuschätzen wüssten, fehle diese prägende Erfahrung in den neuen Bundesländern.

Auch erinnert der Autor, dessen Familie durch die Mauer getrennt worden war, wie wenig wertschätzend der Arbeiter- und Bauernstaat mit seinen Alten umging. Wer 65 Jahre alt war, konnte die DDR ohne Probleme verlassen, da er nichts mehr für die Volkswirtschaft leisten konnte und somit nur ein unnötiger Esser war. Die Folgen der niedrigen Renten und mangelnden Altenbetreuung kennt der Autor aus eigener Erfahrung: Seine eigene Großmutter starb aufgrund mangelnder Fürsorge.

Malzahn amüsiert, dass die Bürger der DDR gleich zweimal einen Machtwechsel erzwangen: einmal 1989 durch ihre Montagsdemonstrationen und einmal in Form von Überhangmandaten für die SPD 1998, und das, obwohl diese, wie der Autor immer wieder betont, überhaupt kein Konzept für einen Aufbau Ost hatte, schließlich sei der Partei die Wiedervereinigung suspekt gewesen. Und aufgrund der Tatsache, dass die SPD den Bürgern im Osten des vereinigten Staates nichts anzubieten gehabt habe, habe sie der PDS erst ihre Etablierung ermöglicht. Die Hartz-IV-Reformen taten dann ihr übriges.

Gegen Ende seiner teilweise aufschlussreichen Analyse wagt der Autor eine Prognose der nahen Zukunft Deutschlands. Hier sieht er die größten Probleme keineswegs in den Folgen der bei der Vereinigung gemachten Fehler, sondern in Fehlern, die bei der Integration von Zuwanderern gemacht wurden. Kurz gesagt: Malzahn greift ein Problem auf, für das Thilo Sarrazin bei seiner Buchveröffentlichung Wochen nach Erscheinen von Malzahns Buch heftigste Kritik einstecken musste.         Rebecca Bellano

Claus Christian Malzahn: „Deutschland 2.0 – Eine vorläufige Bilanz der Einheit“, dtv premium, München 2010, kartoniert, 137 Seiten, 12,90 Euro


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