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25.09.10 / Verkannter Meister der Pointe / Carl Spitzweg zum 125. Todestag – Der Maler war weit mehr als nur ein Darsteller deutscher Gemütlichkeit

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-10 vom 25. September 2010

Verkannter Meister der Pointe
Carl Spitzweg zum 125. Todestag – Der Maler war weit mehr als nur ein Darsteller deutscher Gemütlichkeit

Das frühere Deutungsmuster der Kunst Carl Spitzwegs (1808–1885) als „Inbegriff deutscher Gemütlichkeit und deutschen Lebensgefühls“ hat längst seine Geltung verloren. In einer Hinsicht hat der Spitzweg-Biograph Eugen Kalkschmidt jedoch recht behalten, der 1945 schrieb: Dieser alte Meister einer einzigartigen Biedermeiermalerei werde hierzulande immer wieder neu entdeckt, geschätzt und gefeiert werden. Allein im vergangenen Jahrzehnt waren mehrere Bildbände und erstrangige Ausstellungen dem Werk Carl Spitzwegs gewidmet. Anlässlich des 125. Todestags Carl Spitzwegs am 23. September gilt es, an den in Deutschland wohl populärsten Künstler zu erinnern, der zu seinem eigenen Pläsir malte und, bildhaft ausgedrückt, einen „Exodus“ (nach Schopenhauer) in das Reich der Phantasie vollzog.

Dorthin lässt sich der Betrachter seiner Gemälde gern entführen, und vielleicht aus diesem Grund begegnen sie uns so häufig als Reproduktionen, vor allem in Kalendern. Doch es sind meist dieselben Bilder wie „Der arme Poet“, „Der Bücherwurm“, „Der Schmetterlingsfänger“ und einige andere. Dabei schuf Spitzweg nicht weniger als 1700 Ölgemälde und Aquarelle, dokumentiert in einem vor wenigen Jahren erschienenen Werkverzeichnis. Namhafte in- und ausländische Museen und Privatsammlungen sind im Besitz seiner Gemälde und Zeichnungen, darunter solche in den USA und Kanada. Nirgends auf der Welt sind Arbeiten des bedeutenden Meisters der Spätromantik allerdings in größerem Umfang vertreten als im Museum Georg Schäfer in Schweinfurt.

1833, im Alter von 25 Jahren, entschied sich Carl Spitzweg nach einem abgeschlossenen Apothe-kerstudium für den Beruf des Kunstmalers, nachdem er durch eine Erbschaft finanziell unabhängig geworden war. Der hochbegabte Autodidakt erarbeitete sich seinen Frühstil selbst, indem er die Maler der deutschen Romantik studierte. Seit Mitte der 1830er Jahre schuf er klein- und mittelformatige Genre-Szenen und Landschaften und nahm als einer der ersten seines Münchener Künstlerkreises impressionistische Einflüsse auf. Man hat den Eindruck, seine Landschaften seien im Freien gemalt – sie entstanden jedoch wie alle Ölgemälde in seinem Münchener Atelier, dem „Stillen Winkel“.

Der Gegensatz von stimmungsvoller Kulisse und merkwürdiger Staffage tritt von Anfang an hervor: Skurrile und ganz hausbackene Typen, barocke und mittelalterliche Architektur, aber auch immer wieder die Vereinzelung des Menschen in einer traumhaft schönen Landschaft setzte der Künstler ins Bild. Die technischen Errungenschaften seiner Zeit sparte er aus. Auch mit biblischen Themen und Personen hat er sich beschäftigt, am meisten mit der Gestalt der Maria.

Der Maler liebte es, mit Witz und Ironie kritikwürdige Situationen und bedauerliche Zustände im menschlichen Leben zu entlarven. Er war ein Schöpfer gestörter wie heiler Idyllen, was man zunächst leicht übersieht, wenn man in erster Linie einen Blick in die „gute alte Zeit“ erhaschen möchte. Spitzweg ist also keinesfalls als eine Art Volkskünstler aufzufassen, sondern er war ein Meister der Pointe und der phantastischen Verfremdung bis ins Groteske.

Gerade das Spätwerk mit den vielfältigen Stimmungen und zahlreichen, meisterlich kolorierten Nachtstücken verweist auf die menschliche Gefährdung, auf Urängste, auf die „Spannung nahe am Abgrund“. Skandiert „Der arme Poet“ einen Vers oder zerdrückt er einen Floh zwischen Daumen und Zeigefinger, während er unter dem aufgespannten Regenschirm im Bett seiner Lektüre frönt? Indessen löst der scharfe Ausdruck der Resignation im Gemälde „Der Hypochonder“ Betroffenheit aus: Einer dieser Einsamen, die man Hagestolz nannte, schaut aus einem Dachgiebelfenster in die Ferne und hängt seinen Gedanken nach. Richtet sich der Blick des Betrachters auf ein junges Mädchen, das im Haus schräg gegenüber mit einer Handarbeit am Fenster sitzt – auf der anderen Seite der dunklen Gasse, doch für den Mann am Fenster in unerreichbarer Ferne –, so wird klar: Der Melancholiker bildet sich seine Kontaktschwäche keineswegs ein, er ist mit ihr geschlagen! Spitzweg selbst blieb unvermählt.

Als studierter Apotheker kam ihm seine pharmazeutische Ausbildung hinsichtlich der Herstellung von Farben zugute. So verwendete er ein leuchtendes Blau, das bei keinem anderen Maler zu finden ist. Auf seinen zahlreichen Reisen in die Schweiz, nach Frankreich und Italien, die er aus gesundheitlichen Gründen seit 1865 nicht mehr unternehmen konnte, traf er namhafte Künstler und griff neue Strömungen auf. Als Zeichner war er von schlagender Sicherheit. Von 1844 bis 1853 war er als Illustrator für die Zeitschrift „Fliegende Blätter“ tätig. Vier von ihm eingereichte Bilder fanden 1867 auf der Pariser Weltausstellung große Anerkennung.

In den letzten beiden Jahrzehnten seines Schaffens tritt die Bildpointe zurück, dennoch blieb er sich lebenslang treu mit seiner kritisch-heiteren Programmatik. 1880 verkaufte er 37 Bilder, mehr als je zuvor in einem Jahr. 1885 starb Carl Spitzweg auf dem Höhepunkt seiner künstlerischen Laufbahn.        Dagmar Jestrzemski

Foto: Carl Spitzweg: Der Sonntagsspaziergang (Öl, 1841)


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